HafenCity. Zwei Millionen Besucher: Ansturm auf Hamburgs neues Wahrzeichen hält an. Konzerthaus-Führungen bis August ausgebucht.
„Am Wochenende warten die ersten Gäste schon um viertel vor neun vor der Tür“, sagt Marie Flüh. Die junge Hamburgerin steht hinter dem Tresen des Besucherzentrums gegenüber der Elbphilharmonie, an dem die Tickets für die Gäste ausgegeben werden. Es ist der zurzeit am meisten frequentierte Ort im Lande.
Hamburgs neues Wahrzeichen zieht die Menschen in Scharen an – und in seinen Bann. Mehr als zwei Millionen Besucher aus aller Welt hat das spektakuläre Gebäude an der Elbe nach sechs Monaten angelockt. Damit hat die Elbphilharmonie bereits nach einem halben Jahr die bisherigen Spitzenreiter – Miniatur Wunderland und Michel kommen jeweils auf rund 1,3 Millionen Besucher pro Jahr – abgelöst. Und die sonnigen Monate kommen erst noch.
Die Gäste bekommen das Ticket direkt am Tresen
„Am häufigsten stellen die Besucher bei uns die Frage, was ein Ticket kostet“, sagt Marie Flüh. Und die wenigsten könnten dann glauben, dass sie völlig kostenfrei in das Konzerthaus hineinkommen. Die Gäste bekommen das Ticket direkt am Tresen, sie können es aber auch an einem der beiden Automaten erhalten. Dort wird angezeigt, dass an diesem Sonntag die Karten, die gegen eine Buchungsgebühr von 2 Euro auch online vorbestellt werden können, für das Zeitfenster zwischen 12 und 13 Uhr ausverkauft sind. So wird sichergestellt, dass das Gedränge auf der 37 Meter hohen Plaza nicht zu groß wird.
„Auf die Plaza lassen wir derzeit maximal rund 1300 Personen, das ist auch abhängig vom Wetter“, sagt Enno Isermann, Sprecher der Kulturbehörde. In den Sommermonaten könnten es sicherlich noch mal einige mehr werden. „Wir werden das aber im Betrieb genau beobachten, wie viele Besucher auf die Plaza können, sodass sich alle dort auch wohlfühlen und den wundervollen Blick genießen können.“
Unten vor dem Besucherzentrum hat sich die erste Gästegruppe gebildet. 30 Personen dürfen es maximal sein, jeder hat 13 Euro für die einstündige Konzerthausführung bezahlt. Allein am Sonnabend gab es 20 Führungen, am Sonntag 15. „Die Führungen sind bis August ausgebucht“, sagt Marie Flüh.
Mit der größten gebogenen Rolltreppe der Welt geht es nach oben
Vor der Tür versammelt Anette Neben die Gruppe um sich und erklärt den Besuchern die Geschichte des Konzerthauses. „Der Backsteinbau von Werner Kallmorgen wurde 1966 fertiggestellt, dort wurde Kakao und Kaffee gelagert“, sagt die Hamburgerin, die auch Führungen im Rathaus macht. Doch nur wenige Jahre später verlor das Lagerhaus durch den zunehmenden Containerhandel im Hafen seine Funktion und stand leer. Drei Jahrzehnte später wurde die Idee geboren, auf dem Kaispeicher ein Konzerthaus zu bauen.
Mit der größten gebogenen Rolltreppe der Welt geht es nach oben. Zweieinhalb Minuten dauert die Fahrt mit der 80,2 Meter langen Tube, sie endet an einem riesigen Glasfenster, das den spektakulären Blick auf Stadt, Elbe und Hafen freigibt.
Auf der Plaza wird es langsam voller und damit schwieriger, noch eine Lücke am Geländer zu finden. Die Menschen machen Selfies und schauen dann fasziniert zu, wie die „Bright Horizon“, ein riesiges mit Containern beladenes Stückgutschiff, von zwei Schleppern gekonnt von ihrem Liegeplatz auf die Elbe bugsiert wird. Das minutenlange Wendemanöver auf Augenhöhe findet quasi direkt vor der eigenen Nase statt.
Deutlich gestiegene mediale Aufmerksamkeit
Drinnen führt Anette Neben ihre Gruppe hinauf in die Konzertsäle. „Die Architekten haben das Gebäude so geplant, dass alle Treppen ins Licht führen“, sagt sie und spricht auch von „Himmelsleitern“. Oben stehen die Besucher staunend an den gewaltigen Fensterfronten und genießen den weiten Blick nach draußen und die geschwungenen Wände und Decken im Innern. Anette Neben sagt, die einzigartige Architektur lasse sich im Grunde mit einem Satz zusammenfassen: „In der zehnjährigen Bautätigkeit sind alle Beteiligten an ihre Grenzen gegangen.“ Auch die Handwerker, denn alles, was kein rechter Winkel ist, sei Handarbeit. Nach einem rechten Winkel muss man im Gebäude lange suchen.
„Im Kleinen und im Großen Saal darf nicht fotografiert werden“, sagt Anette Neben. Dafür gibt es, welch glückliche Fügung, im Großen Saal um halb zwölf ein kostenloses Musik-Erlebnis. Zehn Cellisten proben mit einer Sopranistin, die stillen Besucher im obersten Rang genießen jeden Ton. „Dafür hätte ich auch noch 10 Euro extra bezahlt“, sagt einer. Mit dem Fahrstuhl geht es hinunter in den achten Stock. Die Gäste bedanken sich für die spannende Führung und verabschieden ihren Guide mit Beifall. „Mein Ziel ist es, dass die Besucher nach jeder Führung dieses Gebäude lieben und schätzen lernen“, sagt Anette Neben.
Die Oper in Sydney verzeichnet acht Millionen Besucher jährlich
Im Elbphilharmonie-Shop schieben sich die Menschen an den Regalen vorbei auf der Suche nach einem Souvenir. Draußen macht Andreas Böhm Fotos von der Stadt. „Auffällig sind die vielen Dialekte, die man hört“, sagt er. Die Elbphilharmonie sei „ein internationales Statement der Kulturstadt Hamburg“.
Auch in der Kulturbehörde registriert man jetzt eine international deutlich gestiegene mediale Aufmerksamkeit für Hamburg. „Gerade in der letzten Woche gab es wieder große Artikel in US-amerikanischen Zeitungen“, sagt Enno Isermann. Es dürfte also noch voller werden. Fünf Millionen Besucher pro Jahr – die Oper in Sydney verzeichnet acht Millionen jährlich – scheinen realistisch. Zumindest verkehrstechnisch bereitet der große Ansturm momentan noch keine Probleme, „weil die meisten Besucher den Weg von der U-Bahn-Station Baumwall zur Elbphilharmonie nehmen“, sagt Isermann.