Hamburg. Nach einem Unfall ist das Bilden einer Rettungsgasse Pflicht. Doch dies scheitert meist. Feuerwehr spricht von “sehr schlechter Moral“.
Wenn Feuerwehrsprecher Werner Nölken über die „schlechte Moral vieler deutscher Autofahrer spricht“, ist es mit der gewohnten Gelassenheit des Feuerwehrsprechers vorbei. Insbesondere, wenn es um ihr Unvermögen oder auch ihren Unwillen geht, eine Rettungsgasse zu bilden,„Dass das nicht klappt, erleben wir bei jedem, bei wirklich jedem Einsatz auf der Autobahn“, sagt Nölken. Jüngstes Beispiel: Erst am Montag verlängerte sich die Anfahrt der Feuerwehr zu einer Unfallstelle auf der A7, weil Autofahrer keinen Platz gemacht hatten. Mit der Folge, dass nicht nur ein Auto komplett ausbrannte, sondern auch ein 20 Kilometer langer Stau bis zur Landesgrenze nach Schleswig-Holstein entstand.
Die A7 bei Moorburg, südliche Fahrtrichtung, gegen 15.45 Uhr am Montagnachmittag: Nachdem auf der Strecke ein Auto wegen eines technischen Defekts liegengeblieben ist, rückt die Polizei mit einem Sicherungsfahrzeug zur Unfallstelle aus. Die Beamten wollen den Pkw an der Ausfahrt Moorburg von der Autobahn leiten, doch plötzlich fängt es an zu qualmen. Zunächst versuchen die Polizisten, das Feuer „mit Bordmitteln“ selbst in den Griff zu bekommen. Als dieser Rettungsversuch misslingt, fordern sie zur Unterstützung die Feuerwehr an. Ein Löschzug rückt auch sofort aus. Doch er trifft auch nach mehreren Minuten nicht am Brandort ein – weil Fahrzeuge den Weg blockieren, weil Autofahrer keine Rettungsgasse gebildet haben.
Feuerwehr musste sich "stückchenweise" durch den Stau kämpfen
Stattdessen habe sich die Feuerwehr „stückchenweise“ durch den Rückstau vorarbeiten müssen, sagt ein Polizeisprecher. „In der Zwischenzeit hatte sich das Feuer so weit entwickelt, dass eine teilweise Sperrung der A7 in dieser Fahrtrichtung notwendig geworden war.“ Zwei von drei Fahrstreifen hätten gesperrt werden müssen. In der Spitze habe sich der Verkehr auf einer Länge von 20 Kilometern und damit bis zur Landesgrenze gestaut. „Das Ausbrennen des Fahrzeuges konnte nicht mehr verhindert, und die Sperrung musste aufrechterhalten werden“, so die Polizei weiter. Dabei hätte die Verzögerung und damit auch ein weiteres Anwachsen des Staus vermieden werden können – hätten die Autofahrer rechtzeitig eine Rettungsgasse gebildet.
Solche Fälle kennt Feuerwehrsprecher Werner Nölken aus dem Eff-Eff. „Die meisten Autofahrer verhalten sich eben nicht so, wie es der Gesetzgeber vorsieht“, so die Erfahrung des Feuerwehrmanns. Gesetzeskonform bedeutet: eine Rettungsgasse muss gebildet werden, sobald der Verkehr auf der Autobahn nur noch mit Schrittgeschwindigkeit unterwegs ist. Autofahrer müssen dann zwischen dem äußerst linken und dem unmittelbar rechts daneben liegenden Fahrstreifen Platz für die Durchfahrt von Polizei- und Hilfsfahrzeugen schaffen. So sieht es eine im Dezember 2016 in Kraft getretene Änderung der Straßenverkehrsordnung vor. Vor der Novellierung reichte es, die Gasse erst bei stockendem Verkehr zu bilden. Doch selbst das funktionierte nur in den seltensten Fällen. Viele Autofahrer glaubten wohl, sie müssten erst dann zur Seite fahren, wenn Blaulicht im Rückspiegel zu sehen ist.
Bildung einer Rettungsgasse ist Pflicht!
Dabei ist die Bildung einer Rettungsgasse aus gutem Grund Pflicht. Denn nur so können Feuerwehrleute und Rettungskräfte schnell zum Unfallort gelangen. Nur so können sie ihren Job machen: unverzüglich Leben retten und Feuer bekämpfen. Umso ernüchternder ist es für die Feuerwehr, wenn sie wieder und wieder durch Autofahrer im Einsatz behindert wird. Erst Ende April mussten auf der A7 bei Kassel Sanitäter und Polizisten einen zwei Kilometer Fußmarsch zur Unfallstelle zurücklegen, weil Fahrzeuge den Weg dorthin blockiert hatten.
Bestraft wird das Fehlverhalten – es handelt sich um eine Ordnungswidrigkeit, die mit einem Verwarn- oder Bußgeld von bis zu 20 Euro geahndet wird – aber nur in den seltensten Fällen. Schlicht deshalb, weil Polizei und Feuerwehr bei Unfällen Wichtigeres zu tun haben, als die Personalien der Missetäter festzustellen. Deutlich schärfer bestraft wird, wer sich in Österreich nicht an die Vorschriften hält. Dort wird für das Behindern eines Rettungsfahrzeuges eine Geldstrafe von bis zu 2180 Euro fällig.
Viele Autofahrer nutzen Rettungsgasse für eigene Durchfahrt
Während Unkenntnis oder mangelnde Umsicht in vielen Fällen die Ursache für das Fehlen einer Rettungsgasse sein dürfte, ist das Verhalten anderer Autofahrer in derartigen Situationen an Dreistigkeit kaum zu überbieten. „Während der Einsätze erleben wir es immer wieder, dass unsere Leute mit Blaulicht anrücken, sich Autofahrer dann aus dem Stau lösen und ihnen folgen, um schneller voranzukommen“, sagt Nölken. Erst vor kurzem habe er erlebt, wie ein Autofahrer mit seinem weißen Nissan Qashquai einem Rettungsfahrzeug durch den Stau bis zum Unfallort folgte und dann den Weg für die nachrückenden Einsatzkräfte blockierte.
Wie das Bilden einer Rettungsgasse funktioniert, hat erst jüngst das Hamburger Miniatur Wunderland dargestellt – mit einem Video, das im Internet der Renner wurde. Der Film zeigt spielerisch mit Figuren und Fahrzeugen aus dem Miniatur Wunderland, wie sich Autofahrer bei Unfällen verhalten sollen, um die Rettungskräfte nicht zu behindern.