Hamburg. Aktion zu Pfingsten erinnert an Reformation von 500 Jahren: 157 Proben sind schon da – von der Atacama-Wüste bis Neu-Kaledonien.
Die Lüneburger Sülfmeisterin Anabel, die Erste, ist es nicht gewöhnt, Salzbestellungen in einer Kirche zu empfangen. Aber die 25-Jährige Anabel Köhlbrandt repräsentiert das alte Handwerk der Salzgewinnung in der Lüneburger Saline. Und so kam es, dass Anabel I. am Montag vor dem Altar der Hauptkirche St. Michaelis stand. Neben ihr: Hauptpastor Alexander Röder. Der Geistliche verlas kurz und knapp die Bestellung von 500 Pfund Lüneburger Salz. Rechtzeitig zum Pfingstgottesdienst am 4. Juni soll die weiße Ware im Michel eingetroffen sein, lautet die Vereinbarung.
Am Pfingstsonntag nämlich findet ein einzigartiges Projekt seinen Höhepunkt, den die Michel-Stiftung initiiert hat. Unter dem Bibel-Motto „Ihr seid das Salz der Erde“ soll Salz aus allen Kontinenten mit dem heimischen Lüneburger Salz vermischt werden. Dahinter stecken weder kulinarische noch kommerzielle Absichten, sondern ein Projekt zum Reformationsjubiläum. Hauptpastor Alexander Röder trat am Montag vor das Pult im Altarraum und sprach ins Mikrofon, während zahlreiche Michel-Besucher seinen Worten lauschten: „Wir wollen mit diesem Satz aus der Bibel an die Reformation vor 500 Jahren erinnern.“ Martin Luther wollte die Menschen in der Kirche beteiligen. „Jeder einzelne Christ sollte deshalb ein Salzkorn sein, das diese Welt würzt.“
Michel-Freunde aus aller Welt schicken Proben
Bereits zu Jahresbeginn hatte die Michel-Stiftung mit ihrem Geschäftsführer Michael Kutz Michel-Freunde auf der ganzen Welt dazu aufgerufen, kleine Salzpäckchen zu schicken. Inzwischen sind 157 Proben eingetroffen – aus Nordamerika und auch Australien und Ozeanien. Dazu gehört Salz aus der 15 Millionen Jahre alten Atacama-Wüste in Chile genauso wie aus der Kalahari-Wüste in Südafrika, der Wüste Gobi, dem Toten Meer in Israel und aus einem Salzwasserbecken in den Mangrovensümpfen von Neu-Kaledonien.
Auch der Vizebürgermeister von Nantes, André Sobczak, brachte eine kleine Salzspende vorbei. Der aus Hamburg stammende Politiker vertrat das Partnerland Frankreich beim diesjährigen Hafengeburtstag. „Unser Salz aus der Bretagne darf bei diesem Projekt nicht fehlen“, sagte er. Die milden Gaben liegen derzeit, fein verpackt, in einem Salztrog vor dem Michel-Altar – dort, wo in der Advents- und Weihnachtszeit die Krippe thront.
Am Donnerstag wird das Lüneburger Salz gewonnen
Bis sich das Salz der Erde vereint, muss allerdings erst noch das Lüneburger Salz hergestellt werden. An diesem Donnerstag wird deshalb Michel-Hauptpastor Röder in die niedersächsische Stadt reisen, um im Deutschen Salzmuseum das Salzsieden zu beobachten. Mitglieder des Fördervereins werden aus einer 26-prozentigen Sole auf dem offenen Feuer Salz herstellen. Nach zwei Stunden hat man aus 50 Litern Sole 17 Kilo Salz gewonnen.
Die Leiterin des Salzmuseums, Hilke Lamschus, kennt die Kulturgeschichte des Natriumchlorids bis ins Detail. Seit Jahrtausenden dient es nicht nur zum Würzen von Speisen, sondern auch dem Abtöten von Bakterien. „In Lüneburg wurden einst jährlich 23.000 Tonnen Salz gewonnen und per Hansekoggen nach Nordeuropa verschifft“, sagt die Expertin und kommt auf die Reformation zu sprechen. Naja, meint sie, dieses Ereignis habe der Lüneburger Saline wirtschaftlich geschadet. Weil der Protestant Luther die bei den Katholiken gängige Fastenzeit ablehnte, sei der Konsum von gesalzenen Heringen als Fastenspeise damals drastisch zurückgegangen – schlecht für die Sülfmeister, die Besitzer der Siedepfannen. „Den Lüneburgern hat die Reformation nicht gutgetan.“
Produktpiraterie: Hamburger fälschten Lüneburger Salz
Außerdem, fügt die Museumschefin hinzu, hätten findige Hamburger das relativ teure Lüneburger Salz gefälscht. Unter Lüneburger Etikett sei schmutziges Meersalz verkauft worden. „Fake war schon damals Methode.“
Die Zuhörer im Michel merkten am Montag rasch, wie viele Geschichten sich um das Salz ranken. Dazu zählen auch die persönlichen Erfahrungen der Salz-Spender aus aller Welt. So schenkte eine Frau Salz aus dem Toten Meer, weil sie sich in Israel vom christlichen Glauben getragen fühle.
Das Salz kommt mit einem Salzewer nach Hamburg
Wenn die 500 Pfund Salz in Lüneburg gesiedet sind, treten sie ihre Schiffsreise an. Am 26. Mai wird die Fracht auf einen Salzewer verladen und über den Elbe-Seiten-Kanal und die Elbe nach Hamburg gebracht. Am 29. Mai soll die Ladung im Michel eintreffen und in Gestalt eines kleinen Salzberges im Altarraum präsentiert werden.
Bevor zu Pfingsten das „Salz der Erde“ gemixt wird und der Verkauf für einen guten Zweck startet (siehe Kasten rechts), verleihen die Künstler Michael Batz und Igor Zeller dem Projekt musikalischen Glanz. Am Sonnabend, 3. Juni, 18.30 Uhr, gibt es die Uraufführung ihrer „Salzchoräle“. Batz will sie mit Gesellschaftskritik würzen: „Wir leben in Zuckerzeiten. Weil alles immer schneller wird, essen die Menschen zu viel Zucker.“