Hamburg. „Open Access“ heißt ein neues Experiment. Hamburger aus unterschiedlichen Kulturkreisen mischen mit. Und der Direktor ist mittendrin.

Mit der neuen Ausstellung „Open Access“ will Kunsthallen-Direktor Christoph Martin Vogtherr an die Bildungsideale des Gründungs­direktors Alfred Lichtwark anknüpfen, der um die Jahrhundertwende ein Bürgermuseum für die ganze Stadt anstrebte. „Mir geht es um eine Erweiterung der klassischen Ausstellungsformate und um die Entdeckung neuer Wege“, sagt Vogtherr. Zwölf Menschen, die aus unterschiedlichen Kulturkreisen stammen und heute in Hamburg leben, haben neben ihm selbst daran teilgenommen und die Ausstellung inhaltlich und ästhetisch mitgestaltet.

In diesem Raum hängen Gemälde zum Thema „Gemeinschaft“. Die Gedanken der Teilnehmer sind auf dem Boden zu lesen
In diesem Raum hängen Gemälde zum Thema „Gemeinschaft“. Die Gedanken der Teilnehmer sind auf dem Boden zu lesen © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Die Idee

Auf Einladung des Museums sind diese zwölf Männer und Frauen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Glaubens zu sechs Workshops zusammengekommen, um das Projekt „Open Access“ gemeinsam mit dem Neu-Hamburger Vogtherr und einem kleinen Team zu realisieren. Die meisten von ihnen waren bis dahin nicht in der Kunsthalle gewesen und hatten sich nur selten mit Bildender Kunst beschäftigt.

In den Arbeitsgruppen ging es zunächst darum, herauszufinden, was im Leben eigentlich wichtig ist. Dann wählten die Teilnehmer aus der Museums-Datenbank diverse Kunstwerke zu ihren jeweiligen Gedanken aus. Im Anschluss ging es zur engeren Auswahl ins Depot vor die Originale, und schließlich erarbeitete das Team Vorschläge dazu, wie die Ausstellung aussehen könnte. Die Gedanken der Workshop-Teilnehmer zu dem jeweiligen Werk sind jetzt darunter auf dem Boden zu lesen.

Fünf Hauptthemen

Auf fünf zentrale allgemeinmenschliche Themen haben sich die Teilnehmer geeinigt: Freiheit, Gemeinschaft, Dialog, Respekt und „Empowerment“ (englisch für: Ermächtigung). Aussagestarke, kraftvolle, aber auch abstrakte oder rätselhafte Kunstwerke haben sie ausgewählt. Ein Großformat des Hamburger Malers Werner Büttner hängt im ersten Raum zum Thema „Freiheit“: Es ist die schwarze, gesichtslose Gestalt eines Mannes, hinter dessen Kopf das Wort „Svoboda“ steht.

Dazu schrieb die Teilnehmerin Heide Kadula, die aus Thüringen nach Hamburg kam: „Es ist nicht nur der Gefangene, der die Freiheit in leuchtend blauer Ferne herbeisehnt. Auch wir sind gefragt, wachsam die errungenen Freiheiten zu schützen und zu verteidigen.“

Der junge afghanische Student Hossein Youssofi findet, dass „Open Access“ eine „sehr, sehr gute Idee“ ist: „Ich bin begeistert. Jeder von uns hat zwar andere Ideen, aber vieles gleicht sich auch!“ Youssofi hat sich im Themen-Raum „Empowerment“ ein Bild des französischen Rokoko-Malers Jean-Honoré Fragonard ausgesucht, weil ihm Bildung extrem wichtig ist: Es zeigt einen greisen, über die Bücher gebeugten Philosophen. Youssofi hat sich in Hamburg vom Hauptschüler zum Studenten hochgearbeitet.

Zum Thema Gemeinschaft hat sich der schon ältere Khalil Balbisi (Israel/Jordanien), der ebenfalls im Workshop mitgearbeitet hat, ein romantisches Orient-Bild betender Muslime mit Turbanen von Jean-Léon Gérôme ausgesucht. Über dieses Gemälde kommt er auf die Gemeinschaft der Teilnehmer zu sprechen: „Uns hat nicht weiter interessiert, was der andere glaubt. Es wurde einfach akzeptiert. Das ist Frieden, finde ich. Und Frieden wünschen sich alle Menschen.“

Das Ergebnis

Herausgekommen sind spannende, multiperspektivische, bereichernde Gedanken und vielfach ein frischer, in jedem Fall nachvollziehbarer Blick auf die ausgewählten Kunstwerke, die man auf diese Weise ganz neu betrachten kann. Einerseits beweist dieses Experiment, wie unterschiedlich Kunst und Bildsprache verstanden werden können. Zum anderen kristallisierte sich im Laufe der gemeinsamen Arbeit aber auch heraus, dass die Teilnehmer ähnliche zentrale Werte vertraten.

Jeder Mensch sehnt sich nach Freiheit, Respekt oder Dialog – ohne die stünde eine so heterogene Gesellschaft wie sie in deutschen Großstädten entstanden ist, vor der Auflösung. „Obwohl ich seit 17 Jahren in Hamburg lebe, war ich noch nie in der Hamburger Kunsthalle“, gesteht Delphine Takwi aus Westafrika, die ebenfalls in der Gruppe mitgearbeitet hat. „Durch dieses Projekt habe ich meine Liebe zur Kunst entdeckt. Die Kunsthalle ist für mich ein Haus der Ideen und der Inspiration geworden.“

„Open Access: 13 Blicke in die Sammlung“ Hamburger Kunsthalle/Hubertus Wald Forum, bis 27.8., Glockengießerwall 5 (U/S Hbf.), Di–So 10.00–18.00, Do bis 21.00, Eintritt Mo–Fr 12,-/6,- Euro, Sa/So 14,-/7,- Euro