Hamburg. Der Versicherer hat das beste Bruttoergebnis der Firmengeschichte erzielt. Doch es gibt auch Risiken – nicht zuletzt aus der Politik.

Trotz der Niedrigzinsen hat die HanseMerkur, der einzige größere Versicherer mit alleinigem Sitz in Hamburg, das Jahr 2016 mit einem Rekordergebnis abgeschlossen. Ein Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden Eberhard Sautter über die Herausforderungen für das Unternehmen und die gesamte Branche.

Die HanseMerkur wächst seit Jahren schneller als der Markt. Ist das auch 2016 wieder gelungen?

Eberhard Sautter: Die laufenden Beitragseinnahmen haben im vorigen Jahr um 4,1 Prozent zugenommen. Damit übertreffen wir den Branchenschnitt deutlich – und das, obwohl wir im Lebensversicherungsbereich kräftig auf die Bremse getreten haben.

Aus welchem Grund?

Durch das Lebensversicherungsreformgesetz und die EZB-Politik ist unser Ertragspotenzial in diesem Geschäft geringer geworden. Darum haben wir erheblich weniger Einmalbeiträge von den Kunden angenommen als zuvor. Insgesamt war 2016 ohnehin kein einfaches Jahr für die Branche, schließlich bewegen wir uns immer noch im Niedrigzinsumfeld. Trotzdem haben wir das beste Konzernergebnis in der Unternehmensgeschichte erzielt, und wir konnten unser Eigenkapital kräftiger aufstocken als je zuvor.

Haben auch die Mitarbeiter etwas von dem guten Ergebnis?

Für ihre Superleistung bedanken wir uns mit einem Bonus von je 2000 Euro. Das können wir auch deshalb tun, weil wir als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit ja keine Dividende zahlen. Im Zuge des Wachstums haben wir aber auch weitere Arbeitsplätze geschaffen. In Hamburg hat die Zahl der Mitarbeiter um 24 auf 1336 zugenommen.

Noch einmal zurück zum Niedrigzins­umfeld: Die älteren, noch relativ hoch verzinsten Anleihen im Kapitalanlagebestand der Versicherer laufen nach und nach aus – die Lebensversicherungskunden erhalten aber Garantieverzinsungen von bis zu vier Prozent. Bringt das nicht auch die HanseMerkur künftig in Bedrängnis?

Weil die Lebensversicherungssparte in früheren Jahrzehnten für die HanseMerkur-Gruppe keine so große Rolle gespielt hat, haben wir vergleichsweise wenige Verträge mit sehr hohen Garantien. Im Durchschnitt über unseren Bestand beträgt die Garantieverzinsung knapp 2,5 Prozent, während es in der gesamten deutschen Versicherungswirtschaft rund 3,0 Prozent sind. Und mit unseren Kapitalanlagen haben wir zuletzt eine laufende Verzinsung von 3,4 Prozent erwirtschaftet, wobei sich der Abstand zu den Garantien bei uns eher vergrößert als verkleinert.

Wodurch ersetzen Sie die fest verzinslichen Papiere, deren Rendite zuletzt kaum noch attraktiv war?

Wir setzen immer stärker auf Sachwerte wie Aktien und Immobilien. Der Aktienanteil ist mit bis zu zehn Prozent des Kapitalanlagebestands von insgesamt 7,5 Milliarden Euro einer der höchsten der Branche, wobei wir die Kurse zuletzt auf einem immer höheren Niveau abgesichert haben. Unseren Immobilienanteil von derzeit etwa zehn Prozent wollen wir weiter deutlich steigern. Allein in den vergangenen zwei Jahren haben wir Bestandsgebäude und Projektentwicklungen für rund 1,1 Milliarden Euro gekauft.

Welche Rendite erwarten Sie aus den Immobilien? Ist dieser Markt in Deutschland nicht langfristig durch schrumpfende Bevölkerungszahlen bedroht?

Wir rechnen mit einer ordentlichen Rendite von drei bis vier Prozent. Ich kenne auch die Prognosen, wonach die Einwohnerzahl von heute gut 80 Millionen in den nächsten Jahrzehnten in Richtung 60 Millionen sinken wird. Aber das sind nicht unsere Annahmen. Die Zuwanderung hat zuletzt das Risiko aus der Demografie ja auch verringert.

Das Hauptgeschäft der HanseMerkur ist die private Krankenversicherung. Zuletzt tauchten Berichte auf, das Unternehmen fahre hier einen riskanten Wachstumskurs mit „Einsteiger“-Billigtarifen von teils weniger als 150 Euro im Monat, die man zu knapp kalkuliere und die daher später zur Gefahr würden. Wie stehen Sie dazu?

Eine Vollversicherung für monatlich 150 Euro kenne ich nicht. Unsere Prämien der Produkte sind risikogerecht und unterliegen strengen Kalkulationskriterien. Wir müssen jedes Jahr für jeden einzelnen Vertrag neu prüfen, ob die Einnahmen die voraussichtlichen Kosten noch decken, und gegebenenfalls die Prämie anpassen. Damit ist der Kalkulationsspielraum minimal.

Wie hoch ist bei HanseMerkur der Anteil solcher „Einsteigertarife“ am Neugeschäft?

Er beträgt 60 bis 70 Prozent. Das liegt daran, dass wir uns auf die Kundengruppe der Selbstständigen und Freiberufler ausgerichtet haben. Diese Menschen versuchen naturgemäß, zu Beginn ihrer Laufbahn die Ausgaben für die Krankenversicherung niedrig zu halten. Wenn es später besser läuft, stellen sie dann aber auf Tarife mit höheren Leistungen um. Und wenn es mit der Selbstständigkeit gar nicht klappt, ist in bestimmten Fällen auch eine Rückkehr in die gesetzliche Krankenversicherung möglich.

In der Reiseversicherung ist HanseMerkur in die Schlagzeilen geraten als größter Kreditgeber des Reiseportal-Anbieters Unister (ab-in-den-urlaub.de, fluege.de), der im Juli 2016, kurz nachdem Firmengründer Thomas Wagner bei einem Flugzeugabsturz starb, Insolvenz anmeldete. War es richtig, sich bei der schon zuvor umstrittenen Firma mit einem mittleren zweistelligen Millionenbetrag zu engagieren?

Aus meiner Sicht wird Thomas Wagner im Rückblick zu negativ beurteilt. Er hat deutlich mehr richtig als falsch gemacht. Für HanseMerkur als zweitgrößter Reiseversicherer Deutschlands war es naheliegend, mit dem größten deutschen Touristik-Portal zusammenzuarbeiten – so wie auch praktisch alle Reisekonzerne mit ihm kooperiert haben. Unsere Reiseversicherungssparte hat aber 2016 fast ein Rekordergebnis erzielt. Die Unister-Insolvenz hat uns also nicht so schwer getroffen, wie dies mancherorts dargestellt wurde.

Es könnte HanseMerkur aber hart treffen, wenn Deutschland nach der Bundestagswahl eine von der SPD geführte Regierung bekäme. Denn das von der SPD, den Grünen und den Linken favorisierte Modell einer Bürgerversicherung würde wohl auf längere Sicht das Ende der privaten Krankenversicherung bedeuten. Müssen Sie den 24. September fürchten?

Ich verstehe nicht, wie man die sogenannte Bürgerversicherung überhaupt zum Wahlkampfthema machen kann. Tatsächlich hat Deutschland das beste Gesundheitssystem der Welt, viele andere Staaten beneiden uns darum und nehmen sich unser Modell zum Vorbild. Objektiv gesehen haben wir unter allen Industrieländern die geringsten Wartezeiten auf medizinische Leistungen. Und die Deutschen sind Umfragen zufolge mit dem Gesundheitssystem heute so zufrieden wie noch nie. Hochleistungsmedizin entsteht jedenfalls nicht durch Gleichmacherei: Wenn Ärzte oder Kliniken mit dem Geld von Privatversicherten moderne Geräte anschaffen, stehen diese doch auch den Kassenpatienten zur Verfügung.

Noch ein letztes Mal zurück zum Niedrigzins: Wann endet diese Phase?

Wohl nicht in den nächsten zwei Jahren. Ich wäre schon froh, wenn in fünf Jahren der Zins auf Anleihen mit zehnjähriger Laufzeit wenigstens bei zwei Prozent liegen würde.

Mehr Kunden bei der HanseMerkur

Um 5,3 Prozent sind die Beitragseinnahmen der HanseMerkur im ersten Quartal 2017 gestiegen. Das teilte der Vorstandschef Eberhard Sautter bei der Bilanzvorlage mit. Im Jahr 2016 gingen die Beitragseinnahmen um 8,1 Prozent auf 1,88 Milliarden Euro zurück, weil die Einmalbeiträge in der Lebensversicherung planmäßig um 236 Millionen Euro zurückgefahren wurden. Die Zahl der Kunden kletterte in 15 Monaten bis Ende März um 500.000 auf 9,8 Millionen. Zwar verbesserte sich das Bruttoergebnis um 8,2 Prozent auf den Rekordwert von 269,9 Millionen Euro. Der Überschuss nach Steuern sank aber um 30 Prozent auf 56,6 Millionen Euro. Einer der Gründe: das Investment in die neue Tochter Advigon (Vaduz).