Hamburg. Vor 20 Jahren stellte Henning Voscherau sein Konzept für einen neuen Stadtteil vor. Damit überraschte er den eigenen Senat.
Kurz vor dem Veröffentlichungstermin wäre Hamburgs bestgehütetes Geheimnis beinahe doch noch vorzeitig verraten worden. Wenige Tage bevor Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) am 7. Mai 1997 seine Idee von der HafenCity verkünden wollte, erhielt der Senatschef im Dienstwagen einen Anruf. Er sei danach sehr aufgebracht gewesen, erinnert sich eine Mitarbeiterin. Journalisten wollten von ihm etwas über ein geheimes HafenCity-Projekt wissen ...
Ohne den Senat zu informieren, hatte Voscherau die HafenCity „generalstabsmäßig, aber im Stillen“ geplant, erinnerte sich der frühere Umweltsenator Fritz Vahrenholt in einem Beitrag zum Tode Voscheraus im Sommer vergangenen Jahres. „Vorbei an Senat und Bürgerschaft ließ Voscherau die Grundstücke in der HafenCity heimlich durch den damaligen HHLA-Chef Peter Dietrich und Staatsrat Giszas aufkaufen.“
Der Umweltsenator wusste Bescheid
Vahrenholt war in die Pläne eingeweiht. Er habe als Umweltsenator dafür sorgen müssen, dass die HEW das Kohlekraftwerk Hafen auf dem Gelände der künftigen HafenCity abrissen und durch ein Gas-Heizkraftwerk ersetzten. „Voscherau wusste nur zu gut, dass bei Bekanntwerden seiner Pläne Widerstände und Bedenken von allen Seiten hochkämen, vor allen Dingen aber die Grundstückspreise durch die Decke schießen würden“, schrieb Vahrenholt.
Und so kam es, dass Europas größtes innerstädtisches Stadtentwicklungsprojekt „sechs Jahre lang keine Senats- oder Bürgerschaftsbefassung“ erfuhr. Doch dann, unmittelbar vor Voscheraus Rede, „steckte“ jemand wichtige Details an die Presse durch. Das Abendblatt berichtete am 7. Mai, dass Voscherau am Abend „den Mitgliedern des Übersee-Clubs und ihrem Ehrengast Bundespräsident Roman Herzog seinen neuesten Plan zur Stadtentwicklung präsentieren“ wolle. Der Senatschef habe das „Areal zwischen Kehrwiederspitze und Norderelbe im Visier“.
In höchsten Tönen
Voscheraus Wahl war nicht zufällig auf den Übersee-Club gefallen. Er gilt als einflussreiches Forum für wirtschaftliche und politische Fragen. Im November 1983 hatte an selber Stelle Voscheraus Vorgänger Klaus von Dohnanyi eine wegweisende Rede zum „Unternehmen Hamburg“ gehalten und dabei – für einen Sozialdemokraten eher ungewöhnlich – unternehmerische Initiative in höchsten Tönen gelobt.
Rückkehr an die Elbe
Voscherau hatte seine HafenCity-Rede in neun Kapitel unterteilt. Doch bereits im ersten Abschnitt kam er auf „ein großes, ganz konkretes Projekt des Stadtumbaus“ zu sprechen. „Es geht darum, mit einer Großtat unserer Stadt und unserer Wirtschaft neue, hochwertige Entwicklungsräume zu öffnen, in bewusster Abkehr von den in mehr als 100 Jahren gewachsenen Strukturen.“
Nachdem man in den Jahren zuvor mit der Hafenerweiterung in Altenwerder begonnen habe, sei jetzt die City dran, sagte Voscherau. „Jetzt muss sich vor allem die Innenstadt in den nächsten Jahrzehnten ausdehnen können, um für metropoltypische Wirtschaftszweige attraktiv zu sein – und für die Rückkehr zentrumsnahen Wohnens in einer der reizvollsten Lagen Europas am Elbufer.“ Im Blick hatte der Senatschef das Gebiet zwischen dem Grasbrook und dem Baakenhafen, also das gesamte Gelände zwischen Niederbaumbrücke und Kaispeicher A. „Hier ist das einzige direkt an die City anschließende Areal, das so große und zusammenhängende Flächen aufweist und das für die Wiedereinbeziehung in die Innenstadt geeignet ist“, sagte Voscherau und fügte hinzu: „Entscheiden wir uns nach vier Generationen für die Rückkehr der Stadt an die Elbe!“
Im fünften Abschnitt seiner Rede berichtete Voscherau darüber, wie er seit Anfang 1994 „vorsichtig und schrittweise die Rückgliederung des nördlichen Elbufers“ vorbereitet habe. „Dabei kam es darauf an, Partikularinteressen, private Interessen, vertraglich möglichst leise einzubinden oder auszuräumen.“ Die Geheimnistuerei habe einen Grund gehabt, sagte der Senatschef: Er habe die „Auslösung spekulativer Immobilieninteressen“ verhindern wollen.
Ole von Beust als Macher
An jenem 7. Mai 1997 konnte Voscherau Vollzug melden. Die Stadt verfügte über wesentliche Teile des innerstädtischen Hafenrandes, das alte Kraftwerk am Grasbrook wurde aufgegeben. Zudem hoffte Voscherau, dass ein später geplanter Verkauf von Flächen Geld in die Stadtkasse für die Hafenerweiterung in Altenwerder spülen würde.
So wichtig dem Senatschef die Geheimhaltung seiner HafenCity-Idee war, genauso wichtig war ihm die Feststellung, dass Senat und Bürgerschaft das letzte Wort hätten. „Man kann das Ganze unterlassen“, sagte Voscherau kurz und bündig. Doch die Reaktionen auf seine Idee waren überwiegend positiv. Die Handelskammer sprach von einem „zukunftsweisenden städtebaulichen Impuls“, die Grünen begrüßten, dass der Grasbrook und der Baakenhafen „endlich aus dem Würgegriff des Hafenentwicklungsplans befreit“ worden seien.
Zentrum im Kaispeicher A
Die oppositionelle CDU hingegen tat sich schwer und präsentierte wenige Tage nach Voscheraus Rede eine eigene Vision. Ole von Beust, Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahl im September 1997, schlug vor, keinen neuen Stadtteil am Innenstadtrand zu schaffen, sondern innerstädtische Flächen anders zu nutzen. Damit werde den Menschen geholfen, die schon in der Stadt lebten und arbeiteten, sagte von Beust. Voscheraus Plan hingegen sei eine „schöne Vision, fernab von der Hamburger Wirklichkeit“. Die Ironie der Geschichte liegt darin, dass die Entwicklung der HafenCity – erste Bauarbeiten begannen im April 2000 – in Beusts Amtszeit als Bürgermeister richtig Fahrt aufnahm und der Christdemokrat das Stadtentwicklungsprojekt unterstützte. Vor allem aber entschied sein Senat, in Hamburg mit der Elbphilharmonie eines der besten Konzerthäuser der Welt zu bauen. Und zwar auf dem Kaispeicher A, wie Beust am 5. Dezember 2003 verkündete.
Auch Henning Voscherau hatte sich in der Rede vor dem Übersee-Club mit dem Kaispeicher A beschäftigt und in Anspielung auf einen aus Hamburg und Schleswig-Holstein zu bildenden Nordstaat gesagt: „Den würde ich so gern als Sitz des norddeutschen Ministerpräsidenten nutzen.“