Hamburg. Das Hamburger Start-up Klangmanufaktur restauriert Steinway-Instrumente – und verkauft sie auch an Investoren.

Es ist eine liebevolle Bewegung, mit der Oliver Greinus über den Deckel des Flügels streicht. Helles Holz, ungewohnt pur und fast schon roh wirkt das Instrument: ein A-Flügel von Steinway & Sons aus dem Jahr 1960. „Der war früher schwarzglänzend wie fast alle Steinway-Flügel, dann ist er matt überlackiert worden“, sagt Greinus. Vor einigen Monaten hat der gelernte Klavierbauer angefangen, das Instrument abzuschleifen.

„Von seinem Plastikpanzer zu befreien“, wie er es nennt. Es wurde eine Art Wiedergeburt für das Instrument. Nicht nur ein neuer Look kam zum Vorschein, sondern nach einer Generalüberholung auch ein neuer Klang. Inzwischen hat Greinus den Flügel für 51.500 Euro an einen Anleger verkauft. Gespielt wird er aber von einem Künstler-Ehepaar – es hat ihn für 172 Euro im Monat gemietet

Neuartiges Mietmodell

Hinter dem innovativen Konzept steckt das Hamburger Start-up Klangmanufaktur. In den Räumen einer ehemaligen Keksfabrik in Hammerbrook restaurieren Greinus und seine Mitstreiter Steinway-Flügel. Neben dem Verkauf der Instrumente haben die Gründer ein neuartiges Mietmodell entwickelt. „Die Idee ist, beim Flügel die Geldseite von der Nutzerseite zu trennen“, sagt der 48-Jährige.

Und das funktioniert so: Ein Kapitalanleger kauft einen der aufgearbeiteten Flügel, dann wird er über die Klangmanufaktur für zehn Jahre vermietet. „Ein Steinway liegt oft jenseits der finanziellen Möglichkeiten von Künstlern und kleineren Konzerthäusern“, sagt Greinus. „Wir machen die Instrumente wieder denen zugänglich, für die sie gemacht werden.“ Für die Investoren in die Instrumente springen jährlich vier Prozent Rendite heraus. Garantiert.

Jahrzehntelange Steinway-Expertise

Der Gründer kommt wie die meisten der zehn Mitarbeiter der Klangmanufaktur vom Unternehmen Steinway. Greinus hat 16 Jahre in der Klavierfabrik in Bahrenfeld gearbeitet und dort zuletzt die Konstruktionsabteilung geleitet. Mitgründer Jan Kittel, der bei dem Start-up für den Klang zuständig ist, war zehn Jahre lang für Steinway als Konzerttechniker unter anderem für die Flügel in der Laeiszhalle zuständig.

Auch die Gründungsmitglieder Kay Bürger, Gerd Fründ und Pierre Hellermann haben jahrzehntelange Steinway-Expertise. „Es ist der einzige Flügel, der diese Werthaltigkeit hat“, sagt Greinus, und man hört den Stolz in seiner Stimme. Bei der Traditionsfirma gekündigt hat er, weil er mehr wollte. „Sich noch kompromissloser auf die einzelnen Instrumente einlassen und sie noch feiner ausarbeiten.“

In der Werkstatt stehen mehrere Flügel, mehr oder weniger vollständig. „Wir bauen die Instrumente komplett zurück“, erklärt Greinus und holt eine Skizze aus der Schublade, die das Messprotokoll des Resonanzbodens eines knapp 100 Jahre alten Konzertflügels abbildet. Dann klopft er mit der Faust auf das Holz. „Das klingt noch ziemlich dumpf und schwer. Wenn wir es überholt haben, wird das besser als zu dem Zeitpunkt, als der Flügel das Steinway-Werk verließ.“ An einem anderen Arbeitsplatz baut der Auszubildende Julius Leuzinger gerade ein historisches Notenpult nach.

Insgesamt stehen auf der Fabriketage etwa 25 Instrumente der weltweit führenden Marke. Gefunden haben die Flügel-Erneuerer sie auf Auktionen in verschiedenen europäischen Ländern. Besonders bemerkenswert ist ein Flügel aus dem Jahr 1884, gebaut in Hamburg und handbemalt in London. Jetzt hat er seinen Platz – noch im nicht restaurierten Zustand – im Mittelpunkt der Klangmanufaktur gefunden, nahe an Küche und Esstisch. „Irgendwann kommt jemand und will genau den“, sagt Greinus und lächelt.

Investitionen von rund einer Million Euro

In der Klangmanufaktur stecken Investitionen von rund einer Million Euro, finanziert mit privaten Mitteln und einem Gründungsdarlehen. Allein die Instrumente haben einen Wert von 600.000 Euro. Im September 2016 haben die Gründer ihr Unternehmen eröffnet, seit Anfang des Jahres läuft das Mietmodell. „Die ersten sechs Verträge sind unterschrieben“, sagt Greinus, der Geschäftsführer der GmbH ist.

Zu den ersten Anlegern gehört ein Hamburger, der ursprünglich eine Wohnung als Geldanlage hatte kaufen wollen. Nachdem das Immobiliengeschäft geplatzt war, entschied er sich für einen Flügel aus der Klangmanufaktur. „Der steht jetzt in einem Konzertsaal in Hessen.“ Die Musiker sind glücklich, auch der Investor ist höchst zufrieden. Ein Flügel steht im Hamburger Tschaikow­sky-Saal. Im Mai geht einer an das Zeiss-Großplanetarium in Berlin. Weitere kapitalkräftige Interessenten stünden bereit. Aber anders als in anderen Geldanlagebereichen geht es hier nicht um das schnelle Geschäft. Zwei Komplettrestaurierungen schafft das kleine Team derzeit im Monat, Ziel sind drei.

Ab 10 Euro pro Stunde auf einem Steinway üben

Aus dem Konzertraum klingt Schumann. Moises Mattos, Pianist aus Brasilien, sitzt an einem A-Flügel, Baujahr 1914, aus Rio-Palisander. Der 28-Jährige hat sich an diesem Tag in der Klangmanufaktur eingemietet, um sich auf seine Aufnahmeprüfungen an verschiedenen Musikhochschulen in Norddeutschland vorzubereiten. „Für mich ist es das Paradies hier“, sagt er und hört dem vollen Klang des Flügels nach.

Im August sollen fünf Flügelstudios zwischen 12 und 16 Quadratmetern fertig sein, in die sich Klavierlehrer mit ihren Schülern einmieten können oder Klavierspieler, die gern mal auf einem Steinway-Flügel üben wollen – zu moderaten Preisen ab 10 Euro pro Stunde und mit Rabatten für langfristige Mieter. Die Nachfrage ist groß, vor allem auch für den Ensemble-Raum mit einer Größe von 48 Quadratmetern.

Steinway-Flügel für Hamburger Schulen

Konkurrenz zu ihrem ehemaligen Arbeitgeber sehen die Start-up-Unternehmer nicht. Eher eine Ergänzung. „Wir decken komplett unterschiedliche Bereiche ab“, sagt Greinus. Der Kontakt sei freundschaftlich, alle Ersatzteile würden beim Hersteller gekauft. Für die Zukunft hat der Klavierbauer eine Vision: Über eine Stiftung möchte er auch Steinway-Flügel an Hamburger Schulen in einen perfekten Zustand versetzen und langfristig erhalten. „Gerade für junge Leute muss der Klang stimmen.“