Hamburg. Werner Husmann hat sich vom Lehrling an die Spitze des Hamburger Flügelbauers hochgearbeitet – nun geht er in den Ruhestand.
Werner Husmann atmet tief ein. „Riechen Sie mal“, sagt er, und auf seinem Gesicht breitet sich ein tiefes Wohlgefühl aus. „Dieser Geruch nach Holz. Einfach wunderbar.“ Der 67-Jährige steht in der Furnier-Werkstatt von Steinway & Sons. Es ist der Ort, den er am meisten liebt in der Fabrik des Flügelbauers in Bahrenfeld. Fast zärtlich streicht er über ein Standbein aus Makassar-Ebenholz, das ein Mitarbeiter gerade fertiggestellt hat.
„Vor allem chinesische Kunden mögen die Geschichten und mystischen Figuren, die sie in den Maserungen entdecken“, sagt der Geschäftsführer der Deutschland-Niederlassung des weltbekannten Unternehmens. Eher nebenbei erfährt man, dass er es war, der vor knapp 20 Jahren die Verarbeitung von neuen Edelhölzern bei Steinway eingeführt hat.
Ungewöhnliche Karriere
Ein Schritt in einer ungewöhnlichen Karriere. Husmann – groß, lebhaft, leicht zerknitterter Anzug – ist 50 Jahre lang bei dem Instrumentenbauer beschäftigt gewesen, wenn er Ende März in den Ruhestand geht. Angefangen hatte der Hamburger mit 17 Jahren als Lehrling. Seit 2012 führt er mit Manfred Sitz die Geschäfte von Steinway & Sons Europe in einer Doppelspitze.
Der offizielle Titel lautet: Vice President & Managing Director Steinway & Sons Europe, sein Schwerpunkt ist das Asiengeschäft. Das Büro im obersten Stockwerk hat er schon Anfang des Monats an Nachfolger Guido Zimmermann übergeben, der von der Luxusmarke Montblanc zu Steinway wechselt und vom kommenden Jahr an die Geschäftsleitung allein übernimmt. Die letzten Tage seiner Berufstätigkeit wird Asienliebhaber Husmann für eine Abschiedsreise nach China nutzen.
Fast ausschließlich Handarbeit
Treppauf, treppab geht es durch den weitläufigen Backsteinbau am Rondenbarg, in dem seit 1928 Flügel und Klaviere des Marktführers fast ausschließlich in Handarbeit gebaut werden. Werner Husmann kennt hier jeden Zentimeter. „Bis zu den unterirdischen Katakomben“, nicht mehr genutzten Heizungstunneln, die er als Azubi in der Mittagspause erkundet hat. Zu Steinway war der Sülldorfer, der als Jugendlicher in einer Rock-’n’-Roll-Band Gitarre und Bass spielte, aus Begeisterung für die Musik gekommen.
„Ich hatte wohl auch die Hoffnung auf Mitarbeiterrabatte“, sagt er. In einem winzigen Büro über dem heutigen Empfang hat er kurz nach Beginn seiner Ausbildung als Industriekaufmann gesessen und den Versand mit riesigen Stecktafeln und Korknadeln für jeden Flügel gemanagt. Damals, erinnert er sich, kostete ein Konzertflügel noch 16.000 D-Mark. Heute sind es 154.000 Euro.
Unvergesslicher Zwischenfall
„Daran erkennt man den Wertzuwachs unserer Produkte“, sagt Husmann. Ein Grund, warum er seinem Unternehmen nicht nur treu geblieben ist, sondern sich ihm „mit ganzem Herzen“ verschrieben hat. Vom Azubi arbeitete er sich über Stationen in Verkauf und Logistik zum Exportleiter Übersee und danach zum Marketing- und Verkaufschef hoch. Er hat dafür gesorgt, Steinway zu modernisieren und nach außen zu öffnen. Früher, sagt er, als die Lieferzeiten für die Flügel noch bis zu drei Jahre betrugen und die Bestellungen aus Australien per Briefpost mehrere Tage unterwegs waren, sei es bei dem Instrumentenbauer mehr eine Frage der Zuteilung als des Verkaufs gewesen. Auch Firmenbesichtigungen habe es nicht gegeben, aus Angst vor Spionage.
Diese Zeiten sind natürlich längst vorbei. Aber Klavierbauer und Kunden mussten sich schon ein bisschen aufeinander einstellen. So kam es in den 1980er-Jahren bei einem Rundgang mit Kaufinteressenten aus den USA zu einem unvergesslichen Zwischenfall. Die Dame – mit damals populärer Hochfrisur – war in den Freisprühnebel einer neuen Befeuchtungsanlage geraten. Die kunstvolle Frisur fiel langsam in sich zusammen. „Da ist es schon schwergefallen, Contenance zu bewahren“, erinnert sich Husmann.
Neue Absatzmärkte
Er war es auch, der damals als Erster nach Japan flog, um neue Absatzmärkte für Steinway zu erschließen. Das Ergebnis: die Gründung einer Niederlassung in Tokio. Einige Jahre später setzte er sich in eine Maschine nach China und entdeckte „den Markt der Zukunft“. Seitdem pendelt er als Präsident für die Region Asien-Pazifik zwischen den Kontinenten. „Man kann dort nur erfolgreich sein, wenn man Geschichte und Volk kennt“, sagt Werner Husmann. Asien ist nicht nur der wichtigste Wachstumsmarkt für Steinway, Husmann ist bis heute tief beeindruckt von der asiatischen Welt. „Es ist andere Tiefe, ein anders Lebensverständnis“, sagt er. Auch deshalb wird er nach seiner Pensionierung zwei Projekte als Berater weiterbetreuen: die Eröffnung eines Steinway-Ladengeschäfts in Peking und den Aufbau eines Distributionscenters in der Region.
„Es ist ein Traum für mich, dass ich mit dem Unternehmen gewachsen bin“, sagt der scheidende Chef. In den fünf Jahrzehnten, die er bei Steinway ist, hat sich die Produktion deutlich erhöht – auf mittlerweile 1200 Instrumente im Jahr. Er hat fünf Eigentümer erlebt. „Diese Firma kann jeden Besitzer tragen, solange er sich mit dem Produkt identifiziert.“ Für die Steinway-Zukunft sieht er trotz Stagnation auf dem Klaviermarkt Entwicklungsmöglichkeiten, etwa mit dem selbstspielenden Klaviersystem Spirio, das bereits in jedem fünften Flügel eingebaut ist.
Selbst Klavier spielen hat Husmann nicht gelernt
Gibt es etwas in den fünf Jahrzehnten bei dem Flügelbauer, das er bedauert? Vielleicht, dass er es nie geschafft habe, Klavier spielen zu lernen. Es gab im Hause Husmann in Osdorf zwar ein Steinway-Klavier, aber das haben seine längst erwachsenen Kinder genutzt. Inzwischen hat er es als Dauerleihgabe an ein Hospiz gegeben. Husmann sagt, dass er sich jetzt auf freie Zeit freue. Er hat sich eine kleine Holzwerkstatt eingerichtet, will segeln lernen, vielleicht Golf spielen. Und endlich die Elbphilharmonie besuchen. Dort gibt es wie in fast allen Konzerthäusern der Welt Steinway-Flügel, aber der Chef des Hauses hat es tatsächlich noch nicht in ein Konzert geschafft.
Ein bisschen wird dieser Abstecher noch warten müssen. Eine große Abschiedsparty habe er nicht geplant, sagt Husmann. „Ich bin leise gekommen und verschwinde leise.“ Er will in diesen Tagen noch einmal durch die Fabrik gehen, sich persönlich von den Mitarbeitern verabschieden. Natürlich wird er seine Nase auch in die Holzwerkstatt stecken. „Dieser Geruch“, sagt er, „den werde ich vermissen.“