Hamburg. Post will Streetscooter-Zahl verdoppeln, Hermes bestellt 1500 Elektrolieferwagen, und UPS setzt zudem auf Lastenfahrräder.

Marcus Springer steigt in seinen Lieferwagen, setzt sich auf den Fahrersitz und dreht den Schlüssel um. Ein leises Surren ist zu hören. „Die Motorblockbremse löst sich“, sagt der 43-Jährige. Dann ist der Motor an – zu hören ist nichts. Erst als Springer losfährt, gibt es Rollgeräusche. Seit gut drei Jahren fährt der Postbote seine rund 20 Kilometer lange Tour durch Bergstedt und Sasel elektrisch, mit einem Streetscooter. Liegen geblieben ist er nie. „Ich finde, das Auto zieht besser als ein Diesel“, sagt Springer, der früher mit einem VW-Bus durch die Walddörfer fuhr.

86 Streetscooter der Deutschen Post DHL bewegen sich in der Metropolregion auf den Straßen. Bundesweit sind es 2500 Stück. Bis Ende des Jahres sollen es mindestens doppelt so viele sein, kündigte der DAX-Konzern an. „Auch in Hamburg wird die Flotte sukzessive ausgebaut“, sagt Post-Sprecher Martin Grundler. Während E-Autos bei Privatpersonen ein Nischenprodukt sind, sehen die Logistikunternehmen in elektrisch angetriebenen Lieferwagen einen wichtigen Baustein für ihre Zukunftsstrategie und investieren zum Teil kräftig in die neue Technologie.

Anfang 2018 startet Hermes in Hamburg den nächsten Test

Beim Konkurrenten Hermes habe man sich seit langer Zeit damit beschäftigt, die Zustellung auf der letzten Meile umweltfreundlicher zu gestalten, sagt Alexander Bartelt, Abteilungsleiter für Unternehmensverantwortung. Das passe auch in die Gesamtstrategie des Mutterkonzerns Otto, den CO2-Ausstoß von 2006 bis 2020 zu halbieren. Bisher fahren sechs mit einem Elektromotor ausgestattete Fiat Ducato in der City. Zum großen Wurf fehlten vor allem überzeugende Angebote der Autoindustrie. „Nun hat sich die Situation geändert, die Hersteller sind einen großen Schritt weiter“, sagt Bartelt. Hermes kauft groß bei Daimler ein. Bis einschließlich 2020 will der Paketdienst 1500 Elektrotransporter der Mercedes-Modelle Vito und Sprinter in die rund 10.000 Fahrzeuge große Flotte integrieren.

Anfang 2018 ist die Lieferung der ersten Wagen vorgesehen. Rund 50 Fahrzeuge beider Typen werden dann in Hamburg und Stuttgart als Testregionen an den Start gehen. „Dann geht es darum, die Prototypen auf Herz und Nieren zu testen“, sagt Bartelt. Über die Höhe des Investments möchte er keine Angaben machen, aber sie wird erheblich sein. Zwar werden die Fahrzeuge nur geleast, aber sie brauchen eine In­frastruktur. Jedes Fahrzeug benötigt eine Ladesäule, die mit einigen Tausend Euro zu Buche schlage.

Hermes will Innenstädte emissionsfrei beliefern

Aufgeladen werden sollen die Lieferwagen ausschließlich mit Strom aus zu 100 Prozent regenerativen Energiequellen. Der Strom werde klimaneutral erzeugt und mit dem Ökostromlabel „Grüner Strom“ der Umweltverbände zertifiziert, so Hermes. In einigen Jahren soll ein großes Ziel erreicht werden. „Bis 2025 wollen wir alle Innenstadtbereiche der deutschen Großstädte emissionsfrei bedienen“, sagt DeutschlandChef Frank Rausch. Hermes erwartet, dass sich das Paketvolumen auch aufgrund des zunehmenden Onlinehandels bis 2025 mindestens verdoppeln wird. Rausch: „Das Wachstum wird sich überwiegend auf die Metropolregionen konzentrieren – auf dieses Szenario bereiten wir uns umfassend vor.“

Einen Schritt zu weniger Lärm und Abgasen bedeutet auch der Starship-Roboter. Ein halbes Jahr lang bis Ende März stellten drei Exemplare – begleitet von einem Menschen als Beobachter – in Ottensen und im Grindelviertel Pakete zu und holten Rücksendungen ab. „Der Test ist sehr erfolgreich gelaufen, die Rückmeldungen der Kunden waren sehr positiv“, sagt Bartelt. Rund 600 Fahrten wurden absolviert, mehr als 3500 Kilometer legten die Roboter zurück und begegneten rund 250.000 Passanten. Nun sollen die Ergebnisse ausgewertet werden. Parallel starteten vor wenigen Tagen vier Starship-Roboter in London den Testlauf. Weil in der britischen Hauptstadt die Zufahrt in die City für normale Autos Geld kostet, erfolgt die Auslieferung seit 2014 mit elektrisch angetriebenen Renault Kangoos.

Der Anbieter UPS setzt seit 2012 auf Lastenfahrräder

Auch in Deutschland macht erstmals eine Stadt Druck. Stuttgart will 2018 bei Feinstaubalarm Fahrverbote für viele Dieselautos verhängen, die nicht die strengste Abgasnorm Euro 6 erfüllen. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) lehnt eine solche Regelung ab. Gleichwohl versucht die Stadt, mit ihrer Initiative Smile die Zustellung auf der letzten Meile durch weniger Lärm und Emissionen und mehr Verkehrsfluss zu verbessern.

Als einer von vielen Partnern fungiert dabei UPS. Seit 2012 setzt United Parcel Service of America auf Lastenfahrräder. Weil die einen kleineren Laderaum als Autos haben, sind dafür Mikrodepots in der Innenstadt notwendig. Das sind zum Beispiel Stellplätze, auf denen Container mit Paketen platziert werden können. Mit einem Zwischenlager hinter dem Alsterhaus fing es an, vor zwei Jahren kamen in einem Modellprojekt mit der Stadt drei weitere Flächen hinzu. Aus einem Depot bedienen sich drei bis fünf Zusteller und bringen pro Tag mit einem der zehn Lastenräder oder der Sackkarre zwischen 1300 und 1500 Sendungen zu den Empfängern. 220 bis 300 Kunden werden von einem Zwischenlager aus bedient. Mehr Zeit für die Auslieferungen würden die Zusteller nicht benötigen, weil die lästige Parkplatzsuche entfällt, sagt UPS-Projektmanager Rainer Kiehl. Insgesamt betreibt UPS 200 Zustellfahrzeuge in der Elbmetropole. Rund um die City fahren 13 ehemalige Diesel-Autos, in die ein Elektroantrieb eingebaut wurde. Mehr als 90 Tonnen CO2-Ausstoß seien so verhindert worden.

Weniger Emissionen durch weniger Fahrten

Weniger Emissionen durch weniger Fahrten mit Zustellfahrzeugen und weniger Haltevorgänge – das hat für die Wirtschafts- und Verkehrsbehörde eine „positive Auswirkung auf die Verkehrssituation in der Innenstadt“ und erhöhe die Aufenthaltsqualität für die Hamburger, sagte eine Sprecherin. Lob für die Paketdienste gibt es selbst vom Naturschutzbund. Es sei ein Schritt in die richtige Richtung, sagte Malte Siegert, Leiter für Umweltpolitik. „Alles, was Emissionen in den Städten senkt, ist gut. In der Gesamtemissionslage inklusive des Hafens ist das aber ein Tropfen auf den heißen Stein.“

Auch UPS treibt die Umstellung seiner Flotte voran. „Geplant ist, dass wir dieses Jahr neun weitere Elektro-Lkw in Hamburg erhalten“, sagt Kiehl. Innerhalb des Rings 2 könnten fast alle Lkw mit Verbrennungsmotor aus dem Verkehr gezogen werden. Auch der Transport mit den Lastenfahrrädern könne auf andere Stadtteile wie Winterhude oder das Schanzenviertel ausgeweitet werden. Notwendig dafür wären Mikrodepots in diesen Gebieten. Doch Lagerräume dort seien häufig zu teuer. Auch von Hermes hört man diese Kritik, die Hamburger sind mit drei Lastenfahrrädern in ihrer Heimatstadt unterwegs.

Harburger Firma entwickelt Fahrrad-Anhänger

Gespannt ist UPS-Mann Kiehl auf die Entwicklung einer Harburger Firma. Das Start-up Nüwiel wurde beauftragt, einen Fahrrad-Anhänger zu entwerfen, der zum Pakettransport eingesetzt werden kann. Da der Trailer über einen Elektromotor verfügt, könnte er in Fußgängerzonen bequem wie ein Kinderwagen geschoben werden.

Wenn es nach Kiehl geht, soll das Hamburger Modell national und international Schule machen. Mit rund 25 deutschen Städten sei er in Kontakt. Noch im Frühjahr sollen Berlin und München erste Lastenfahrräder erhalten. In Portland (USA) ist ein solches Rad bereits unterwegs, Dublin soll im Mai folgen. Kiehl: „Wir schicken auch ein Rad nach Dubai zur Expo 2020.“

In Nürnberg setzt DPD Lastenfahrräder ein

Seine Lastenfahrräder nach Nürnberg brachte vor Kurzem der UPS-Konkurrent DPD. Fünf Räder rauschen nun emissionsfrei durch die Frankenmetropole. Die Erfahrungen seien positiv, das Konzept soll ausgeweitet werden, sagt Sprecher Peter Rey. Bei den E-Lieferwagen befinde man sich weiterhin in der Testphase. Seit 2011 fahren acht Mercedes Vito mit E-Antrieb auf deutschen Straßen, drei davon an Elbe und Alster. Rund zwei Drittel der Kunden seien Geschäftskunden, daher würde viel Platz gebraucht. Rey: „Für die große Mehrheit unserer Touren sind die bisherigen Modelle zu klein.“ Das ändere sich künftig mit dem neuen Mercedes-Sprinter – lange hätte es aber keine vernünftigen Modelle am Markt gegeben.

Post wird mit Streetscooter Konkurrent für Autobauer

Marktführer Deutsche Post DHL hat aus der Not eine Tugend gemacht. Im Dezember 2014 kaufte das Unternehmen das Aachener Start-up Streetscooter. Jetzt soll die Jahresproduktion bis Ende 2017 von 10.000 auf bis zu 20.000 Stück verdoppelt werden. Deswegen soll bald ein zweites Werk in Nordrhein-Westfalen eröffnet werden. Rund die Hälfte der Produktion der mindestens 32.000 Euro teuren Autos soll an Fremdfirmen verkauft werden – die Post wird damit zum Konkurrenten der etablierten deutschen Autobauer, die die Entwicklung nicht energisch genug vorantrieben.

Post wird mit Streetscooter Konkurrent für Autobauer

Bei den eigenen Beschäftigten kommt der Streetscooter sehr gut an. Der Komfort sei höher als im VW-Bus, sagt der Walddörfer Postbote Springer. Es gibt eine Sitzheizung und zwei Rückfahrkameras. Der Eintritt ins Fahrerhaus ist niedriger und damit leichter. Das Lenkrad ist unten abgeflacht, damit sich die Fahrer beim ständigen Ein- und Aussteigen nicht die Knie stoßen. Und das Beladen einfacher, weil es auf der geraden Fläche keine störenden Radkästen gibt und die Ladekante höher ist. Bei der zweiten Generation des Streetscooters, die Springer seit einigen Wochen fährt, habe man zudem Lüftung und Stoßdämpfer verbessert, die Akkus halten länger. Die angegebene Reichweite von 80 Kilometern reicht für seine Tour locker – außerhalb der Großstädte ist das allerdings noch ein Problem. Nach Jahren im Praxistest ist Springer vom Fahrzeug mit Elektroantrieb überzeugt: „Ich finde den Streetscooter toll und möchte ihn nicht wieder hergeben.“