Hamburg. Beim vierstündigen Kursus des ADAC können ältere Autofahrer ihr Können überprüfen. Verpflichtende Tests gibt es bisher nicht.
Vor Klaus Weber liegt das Ziel, eine nasse, rutschige Piste. Vor ihm könnte auch die Antwort auf die Frage liegen, ob er es noch kann. Leise tuckert der Motor des Skoda Fabia vor sich hin. Weber blickt starr geradeaus, das Lenkrad hält er fest umklammert. Er murmelt irgendetwas auf Plattdeutsch, dann gibt er Gas. 30, 40, 50 Kilometer pro Stunde.
Als er bei Tempo 60 auf die Bremse tritt, schießen vier Fontänen vor dem Wagen in die Höhe. Ein riesiger Schwall Wasser ergießt sich auf die Windschutzscheibe. Weber, der eigentlich eine Vollbremsung machen und den Hindernissen ausweichen sollte, ist mit Karacho in die Wasserwand gedonnert. „Das ist das Alter, da gibt es kein Vertun“, sagt Weber. Er wirkt ein bisschen geknickt.
Programm speziell für Senioren
An einem nasskalten Frühlingstag nimmt Klaus Weber an einem Fahrsicherheitstraining des Automobil-Clubs ADAC im niedersächsischen Embsen teil. Das Programm, speziell für Senioren entwickelt, soll älteren Autofahrern helfen, sich im Verkehr besser einzuschätzen und auf brenzlige Situationen vorzubereiten. Außer Weber besuchen sieben weitere Autofahrer den vierstündigen Kursus, nicht alle ganz freiwillig.
Renate erhielt das Training von ihren Kindern – ein Geschenk, ein ziemlich vergiftetes, wie sie findet: „Nach dem Motto: Mutti, du musst was tun“. Dieter hat die 95 Euro für das Training ohne Druck von außen gezahlt; er würde sein Auto „gern im Grenzbereich“ testen. Er zählt mit seinen 68 Jahren aber auch zu den jungen Wilden. Der älteste Teilnehmer ist 80 Jahre alt. Weber ist 79.
Die meisten können sich noch gut daran erinnern, wie sie in ihrem ersten Auto vor dem Schalten auskuppeln mussten. Klaus Weber hat 1956 den Führerschein gemacht. Als junger Mann ist er mit dem Käfer und Tempo 80 in der Spitze durch Europa gejuckelt. Er war damals Lokführer bei der Bahn und hatte die großen Maschinen im Griff. Heute fragt er sich manchmal, ob er seinen Kleinwagen noch im Griff hat. Er sieht sich zwar als routinierten Autofahrer. Nervosität am Steuer ist ihm fremd.
Doch zuletzt wuchsen die Zweifel: Bin ich mit fast 80 Jahren fit für die Straße, sind meine Reflexe gut genug? Bis vor zwei Jahren ist er mit dem Wagen noch nach Korsika gefahren, die Familie besaß dort ein Ferienhaus. Dafür fehlt ihm heute die Kraft. „Bei Nachtfahrten den Überblick zu behalten fällt mir inzwischen nicht mehr so leicht“, sagt Weber.
Hör- und Sehfähigkeit lassen im Alter nach
Ansonsten: keine Probleme – also keine, von denen er wisse. Aber gerade deshalb mache er das Training: um herauszufinden, was jetzt, im höheren Alter, nicht mehr so gut klappt. Klaus Weber sagt: „Ich würde meinen Führerschein abgeben, wenn ich den Eindruck hätte, nicht mehr sicher fahren zu können.“
Pauschal lasse sich gar nicht sagen, wie sehr das Alter die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt, sagt Torsten Milarg, Kursleiter und Fahrsicherheitstrainer beim ADAC. Zwar lasse die Hör- und Sehfähigkeit nach, ebenso das Reaktionsvermögen. Als kritische Schwelle gilt das 75. Lebensjahr. „Doch wie fit Ältere am Steuer sind“, sagt er, „unterscheidet sich von Mensch zu Mensch grundlegend.“
Blickführung ist extrem wichtig
Mit einem Funkgerät in der Hand steht Milarg jetzt an der ADAC-Sicherheitsstrecke und gibt Instruktionen durch. Die Senioren umkurven in ihren Autos rot-weiße Hütchen, das Tempo ist eher gemächlich, trotzdem landen ein paar der Pylonen abseits der Strecke. „Fahren Sie ruhig ein bisschen sportlicher“, ruft Milarg ihnen zu. „Achten Sie auf Ihre Haltung, stellen Sie die Sitze mal extra weit zurück, bleiben aber selber aufrecht sitzen.“
Dann sollen die Senioren versuchen, beim Slalom nicht starr auf die Hütchen zu gucken, sondern auf die Lücken dazwischen achtzugeben. Das klingt banal, hat aber einen guten Grund. „Die Blickführung ist extrem wichtig“, sagt Milarg. „Wer nur auf das Hindernis guckt, fährt mit dem Auto direkt darauf zu; konzentriert man sich auf die Lücke, hat man bessere Chancen auszuweichen.“
Boxenstopp nach Übung eins. In einem Häuschen neben der Strecke nicken die Senioren zustimmend, als Milarg das Praktische theoretisch vertieft. Die Hütchen umkurven, darin sind sich alle einig, habe besser geklappt, als sie am Hindernis vorbeigeschaut hätten. Und das Fahren mit extra weit zurückgestelltem Sitz sei auf Dauer zu anstrengend, außerdem sei da die Lenkung viel schwammiger. Milarg wirkt zufrieden. Lektion gelernt: „Sitzen Sie gerade, winkeln Sie die Beine leicht an, halten Sie die Arme am Steuer leicht gebeugt, das ist am sichersten und bequemsten".
Spätes Reagieren
Die Frage, wie das Alter die Fahrtüchtigkeit beeinflusst, beschäftigt Verkehrsexperten schon lange. Mediziner haben keinen Grund gefunden, Menschen ab einem bestimmten Alter die Fahrtüchtigkeit abzusprechen. Ältere Autofahrer verfügen über viel Erfahrung, sie fahren umsichtiger, selten zu schnell und verschätzen sich seltener beim Überholen. Studien zeigen aber auch, dass sie komplexe Situationen langsamer erfassen und später reagieren als junge Fahrer. Und wenn über 75 Jahre alte Autofahrer in Unfälle verwickelt sind, sind sie in drei von vier Fällen die Verursacher. Selbst in der Hochrisikogruppe der Fahranfänger zwischen 18 und 21 Jahren liegt die Quote etwas niedriger.
Die Unfallforschung der Versicherer (UDV) fordert deshalb seit Jahren verpflichtende Fahrtests für Senioren ab 75 Jahre. Derartige Kontrollfahrten, beteuert die UDV, sollen aber keine zweite Fahrprüfung sein. Niemand soll im Anschluss gezwungen werden, seinen Führerschein abzugeben, und das Ergebnis vertraulich bleiben. Der Test solle vor allem zum Nachdenken über das eigene Fahrvermögen anregen. Rund zwei Millionen Autofahrer in Deutschland wären von einer derartigen Regelung betroffen.
Testpflicht für Senioren?
Bisher scheiterten jedoch alle Initiativen. Der Verkehrsgerichtstag in Goslar hat Ende Januar einen erneuten Vorstoß der Versicherer mit Blick auf die „unzureichende Datengrundlage“ zurückgewiesen. Auch Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) lehnt eine Testpflicht für Senioren ab. „Die absolute Zahl der von Senioren verursachten Unfälle könnte in den nächsten Jahren zum Problem werden“, sagt hingegen Siegfried Brockmann, Unfallforscher bei der UDV. So werde sich der Anteil der über 80-Jährigen an der Bevölkerung in den nächsten 30 Jahren verdoppeln.
In den meisten EU-Staaten gibt es bereits Altersbestimmungen. In Spanien müssen Autofahrer ab 45 alle fünf Jahre zum Gesundheitstest, in Italien wird ab 50 die Fahrerlaubnis nur nach einer medizinischen Untersuchung verlängert. In Norwegen, den Niederlanden und Schweden ist ein Gesundheitscheck ab 70 Jahren Pflicht. Unbefristet und ohne Einschränkungen gültig ist die Fahrerlaubnis nur in Deutschland, Bulgarien, Frankreich, Belgien, Österreich, Polen und der Slowakei.
Das Auto steht für ein selbstbestimmtes Leben
Für Klaus Weber kommt – wie für viele ältere Menschen – ein freiwilliger Verzicht aufs Auto nicht infrage. Auch deshalb nicht, weil es für ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben steht. Bundesweit haben 2015 nur 13 Menschen über 65 Jahre ihren Führerschein freiwillig zurückgegeben. Weber hat sich erst vor drei Jahren den Skoda Fabia zugelegt – er wollte sich nicht für jeden Einkauf ein Auto von den Kindern leihen. Er weiß aber auch, dass ältere Leute dazu neigen, sich am Steuer zu überschätzen. Das Fahrtraining sei für ihn eine Art Gradmesser, sich der eigenen Fähigkeiten zu vergewissern. „Die einfache Frage lautet: Kann ich das alles noch?“
Weber sitzt wieder in seinem Auto, leise gluckert der Motor. Die neue Aufgabe von Fahrtrainer Milarg: den Wagen mit einer Vollbremsung zum Stillstand bringen. „Prügeln Sie die Bremse richtig rein, lassen Sie den Fuß drauf, um den Bremsdruck nicht zu verringern“, sagt Milarg per Funk. Klaus Weber kann sich an seine letzte Vollbremsung nicht mehr erinnern. Er gibt Gas. Bei 50 km/h „prügelt“ er die Bremse rein, der Wagen steht zwei Sekunden später. So geht das Runde um Runde: Gas geben, Vollbremsung, hinten anstellen, Gas geben, bremsen. Weber entkrampft sich dabei zusehends. Nach einigen Durchläufen mit ABS-gestützter Brachialbremsung steht die Tachonadel schon bei 70 km/h. Weber hat jetzt sichtlich Spaß. „Ich denke nur an meine armen Reifen“, sagt er und lächelt.
Die nächste Übung ist kniffliger. Auf deutlich rutschigerem Untergrund sollen die Senioren unvermittelt in die Höhe schießenden Wassersäulen ausweichen, indem sie voll in die Eisen gehen und gleichzeitig gegenlenken – dank ABS lässt sich das Auto auch bei rasanten Manövern gut kontrollieren. Doch Weber rast immer wieder in die Wasserwand, weil er sich zu stark auf das Hindernis konzentriert und nicht auf die Lücke daneben. Und weil er einfach zu schnell ist. „Gehen Sie mal ein bisschen runter vom Gas, Herr Weber, dann haben Sie auch eine bessere Chance auszuweichen“, ruft ihm Milarg zu. Nach einigen Runden haut es auch bei Weber hin.
Vier Stunden dauert das Training für die Senioren
Die letzte Übung, Übersteuern in der Kurve, meistert der 79-Jährige souverän. Mit Tempo 55 legt sich sein roter Skoda in die Kurve, bricht heckseitig nur leicht aus, weil das Elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) korrigierend eingreift. Torsten Milarg weiß natürlich, was zu tun ist: „Einmal kurz und knackig bremsen, leicht gegenlenken, das reicht.“
Vier Stunden später sind die Senioren mit dem Programm durch. Für Milarg gibt es Applaus, vor allem der Tipp mit der Blickführung hat die Teilnehmer beeindruckt. Klaus Weber sagt, er fühle sich nun wieder etwas sicherer, „nicht mehr wie 80 am Steuer, sondern eher wie 70“. Das Training habe ihm bewusst gemacht, dass er noch fit genug für die Straße sei. Kritiker halten Senioren-Fahrsicherheitstrainings indes für wenig zielführend, weil sie nicht die altersbedingten Probleme betagter Autofahrer in den Mittelpunkt stellen. Für sein eigenes Sicherheitsempfinden jedenfalls sei das Training „eine gute Sache“ gewesen, sagt der 79-Jährige. Weber bleibt am Steuer.