Hamburg. Vor 25 Jahren wurde Maria Jepsen als erste Frau in ein Bischofsamt gewählt. Ihr Kurswechsel fand indes nicht nur Unterstützer.

Von den Emporen des Hamburger Michel regneten Blumen. Applaus brandete auf, nachdem in Hamburgs Wahrzeichen etwas verkündet worden war, was es bislang noch nie gegeben hatte: die Wahl der weltweit ersten lutherischen Bischöfin und der ersten Frau in diesem Amt in Deutschland. Das war am 4. April vor 25 Jahren, nachmittags um 15.15 Uhr. Das Abendblatt titelte am Montag danach: „Sensation im Michel: Im ersten Wahlgang stand die Siegerin fest.“

Eine zierliche Frau hatte den Mut, sich der Wahl zur Bischöfin im Sprengel Hamburg durch die Nordelbische Synode zu stellen. Maria Jepsen, damals 47 Jahre alt, Pröpstin in Harburg. Eine Feministin, was damals für konservative Leute vor allem ein Schimpfwort war. Eine moderne Theologin mit weitem Herz für die Schwachen in der Gesellschaft, klar in ihren Zielen, unbeirrt engagiert.

Kirche in Zahlen

Maria Jepsen trug eine rahmenlose Brille, mit der sie Welt und Kirche vorrangig aus dem Blickwinkel der Feministinnen betrachtete. Pröpstin Maria Jepsen, in Bad Segeberg geboren, war die richtige Frau zur richtigen Zeit für eine Kirche im Norden, die sich den Trends der postmodernen Gesellschaft öffnete. Mit ihr ist die heutige Nordkirche menschlicher, empathischer, geschwisterlicher geworden.

Altbischof Krusche übergibt
Maria Jepsen am 30. August
1992 das Amtskreuz
Altbischof Krusche übergibt Maria Jepsen am 30. August 1992 das Amtskreuz © Wallocha

Maria Jepsen hatte sich an jenem Sonnabend gleich im ersten Wahlgang gegen den damaligen Michel-Hauptpastor Helge Adolphsen durchgesetzt. 78 Synodale (Kirchenparlamentarier) von 137 anwesenden Stimmberechtigten votierten für sie. „Ich nehme die Wahl sehr gerne an und danke sehr herzlich für das große Vertrauen“, sagte sie vor dem Altar stehend. „Diejenigen, die mich kritisieren, möchte ich zum persönlichen Gespräch einladen. Das theologische Streitgespräch kann uns mit­einander verbinden.“

Die Christenheit blickte in jenen Tagen nach der Wahl zur ersten Bischöfin der Lutheraner, die weltweit 60 Millionen Mitglieder repräsentieren, nach Hamburg. Der Vatikan meldete sich zu Wort und sprach von einem „Hemmschuh für die Ökumene“. Der stockkonservative Theologe Georg Huntemann forderte gar, „dass kein Pfarrer Frau Jepsen das Abendmahl reichen dürfe, falls sie weiter auf ihrer Irrlehre beharre“.

Andere Pastorinnen hatten es versucht

Ganz anders klangen die Stimmen aus der evangelischen Kirche in Deutschland. Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der badische Bischof Klaus Engelhardt, betonte, dass ihre Wahl die „logische Konsequenz“ aus der Ordination von Frauen sei. Zuvor hatten andere Pastorinnen versucht, diese Männerdomäne zu erobern. Doch Rut Rohrandt unterlag 1990 im ersten Wahlgang gegen den späteren Schleswiger Bischof Hans Christian Knuth. Und 1991 schaffte es Käte Mahn nicht, sich in Lübeck gegen Karl Ludwig Kohlwage durchzusetzen.

Nach Jepsens Wahl dauert es noch ein paar Jahre, bis Margot Käßmann 1999 zur Bischöfin der hannoverschen Landeskirche und Bärbel Wartenberg-Potter im Jahr 2001 zur Bischöfin im Sprengel Lübeck gewählt wurde.

Ihre Glaubwürdigkeit stand infrage

Der Norden hatte schon immer die Nase im Wind. In Lübeck war 1959 die erste Pastorin Deutschlands in ihr Amt eingeführt worden: Elisabeth Haseloff. Sie leitete das Evangelische Frauenwerk Lübecks und starb 1974 an den Folgen eines Unfalls in Hamburg. Haseloff war auf dem Weg zu einer Sitzung der Nordelbischen Synode in Winterhude beim Überqueren eines Fußgängerüberwegs von einem Auto erfasst und schwer verletzt worden.

18 Jahre lange sollte Maria Jepsen an der Spitze des Sprengels Hamburg stehen und mit ihren Amtskollegen Hans Christian Knuth und Karl Ludwig Kohlwage das Bischofskollegium repräsentieren. 1997 führte die Nordelbische Kirche als erste Kirche in Deutschland die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare ein – außerhalb des Gottesdienstes. Zahlreichen Kirchenmitgliedern ging der Einsatz für die Gleichstellung homosexueller Paare zu weit. Kirchenaustritte waren die Folge.

Am 16. Juli 2010 erklärt Maria Jepsen auf einer Pressekonferenz ihren
Rücktritt. Bischof Gerhard Ulrich tröstet sie anschließend
Am 16. Juli 2010 erklärt Maria Jepsen auf einer Pressekonferenz ihren Rücktritt. Bischof Gerhard Ulrich tröstet sie anschließend © picture alliance / dpa

Ihre Wiederwahl im Jahr 2002 mit 20 Stimmen mehr als 1992 bestärkte Jepsen in ihrem Kurs, dass Kirche sich in Politik einmischen müsse. Zentrale Themen ihrer Amtszeit blieben das Engagement für Aidskranke, Hospize, Obdachlose, Prostituierte. „Kirche muss Stimme der Stummen sein“ – dieses Motto führte sie wie einst Jesus immer wieder zu den Randgruppen in der Hansestadt. Umso fremder blieben ihr die kirchliche Administration und ihre Personalakten. Während es deutsche Bischöfe gab, die eigene Listen über missliebige Leute führten, waren ihr solche Praktiken fremd.

Dieser bewusste Verzicht auf Kon­trolle von Mitarbeitern wurde ihr wohl zum Verhängnis. Maria Jepsens Amtszeit als Hamburger Bischöfin fand am 16. Juni 2010 im Raum 9 des Altonaer Dorothee-Sölle-Hauses ein jähes Ende. Zum Schluss war es ein Satz, mit dem sie die persönliche Konsequenz aus den Entwicklungen der vergangenen Tage zog: „Hiermit erkläre ich meinen Rücktritt als Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck.“

Maß des Erträglichen überschritten

Ausgerechnet ihr, die sich stets für die Rechte von Opfern und Minderheiten eingesetzt hatte, wurde das offenbar unzureichende kirchliche Krisenmanagement im Fall sexuellen Missbrauchs zum späten Verhängnis. Es ging darum, dass ein Ahrensburger Pastor jahrzehntelang Schutzbefohlene missbraucht hatte.

Der Bischöfin wurde vorgeworfen, den Fall letztlich vertuscht zu haben. Für Maria Jepsen, die so viel Wert auf Authentizität und Integrität legte, war damit das Maß des Erträglichen überschritten. „Meine Glaubwürdigkeit wird angezweifelt. Von daher sehe ich mich nicht in der Lage, die frohe Botschaft so weiterzusagen, wie ich es bei meiner Ordination und bei meiner Bischofseinführung vor Gott und der Gemeinde versprochen habe“, erklärte sie. Nachdem sie das auf einer Pressekonferenz verlesen hatte, nahm sie den Treppenaufgang im Dorothee-Sölle-Haus – und verschwand.

Heute lebt die Altbischöfin weitgehend zurückgezogen mit ihrem Mann in einem Schwedenhaus in Husum.