In seiner Wohnung am Rande des Schanzenviertels spricht der preisgekrönte Honka-Autor über sein aktuelles Werk.
Plötzlich kramt Heinz Strunk, der Mann, der „Fleckenteufel“ geschrieben hat, ein Wischtuch aus der Kommode und säubert gewissenhaft eine Obstschale. Ein paar Minuten vorher erst hat er erklärt, mit dem Ekel-Fetisch im Groben durch zu sein. Früher schrieb Strunk mit Hingabe über Hautunreinheiten oder Onanieexzesse. Und sein bislang letzter, sein Fritz-Honka-Roman „Der Goldene Handschuh“ war an schauerlicher Hässlichkeit kaum zu überbieten. „Es ist gut jetzt damit, das Thema ist auserzählt“, sagt Strunk.
Gut war vor allem auch das letzte Jahr, es war ein außergewöhnliches im Leben des Künstlers und Unterhalters Strunk. Es ist, wie er selbst findet, ja „ausgerechnet und überraschend die Literatur“ geworden, die ihn in die Sphären des Erfolgs befördert hat. 54 Jahre alt ist er jetzt und seit „Fleisch ist mein Gemüse“, dem Bestseller aus dem Jahr 2004, ein bekannter Mann. Aber erst 2016 war, das kann man schon sagen, das große Jahr der allgemeinen Anerkennung. Mit der Nominierung seines Fritz-Honka-Buches für den Preis der Leipziger Buchmesse stieg Strunk in eine andere literarische Liga auf.
Dort lebt er jetzt mehr oder minder kommod. Nichts ist bekanntlich schlimmer als Lob, weil man dieses immer wieder bekommen will. Man strebt danach, sagt Strunk, „das Level zu halten und nicht wieder ein paar Plateaus herunterzumüssen“.
Wieder so eine passende Metapher: Wir treffen Strunk bei ihm zu Hause am Rande des Schanzenviertels, ganz oben wohnt er da, direkt unter dem Dach. Eine Eigentumswohnung, 2010 erworben. Sind Sie ein Aufsteiger, Herr Strunk?
Wahrscheinlich schon, antwortet er, der 1962 in Harburg als Matthias Halfpape in kleinen Verhältnissen geboren wurde, zunächst als Musiker notorisch erfolglos war, mit einer Tanzkapelle die norddeutsche Provinz betourte, ehe er mit der alternativkomischen Entertainment-Truppe Studio Braun eine erste mit Berühmtheit einhergehende Berufung fand. Strunk weiß, dass nicht alles, was wahr und schön ist und was einen mit Stolz erfüllen müsste, von einem selbst ausgesprochen werden muss. Weshalb er zur Aufsteiger-Frage dann auch nicht viel mehr sagen will.
Begnadeter Tragikomiker
Aber Strunk, dessen neuer Roman „Jürgen“ am 24. März erscheint, sagt noch gerne etwas zu der Leipzig-Angelegenheit. „Es ist eine große Genugtuung gewesen“, erklärt er nämlich, „dass ohne Ansicht meiner Person und meines bisherigen Hauptschaffens meine Literatur als ernst zu nehmend anerkannt wurde“. Dann fügt er noch hinzu, dass man ihn eben nicht in die ewige Spaßschublade stecken könne, er sei mehr als der „ewige Heinzer vom Schützenfest“.
Wer ernsthaft vom Gegenteil überzeugt ist, der hat die zweite Ebene in Strunks Büchern nie mitgelesen. Auch schon vor dem Buch „Der Goldene Handschuh“ ist Strunk zu Recht immer wieder als begnadeter Tragikomiker oder großer Melancholiker bezeichnet worden, der die Trostlosigkeit meisterhaft, nun ja, ästhetisiert.
Literarische Wiederbelebung
Für die literarische Wiederbelebung seiner an sich alten Figur Jürgen Dose, die Kennern des Strunk-Universums bereits im Hörspiel „Trittschall im Kriechkeller“ begegnet ist, hat Strunk die Form des komischen Romans gewählt. Der Held ist eine klassische Strunk-Figur: ein Pförtner ohne Frau, der sich mit seiner bettlägerigen Mutter eine Wohnung teilt. Er hat mit Bernd Würmer einen Freund, der ein genauso „armer Willi“ ist wie er.
Apropos: Die besten Strunkwörter und im festen Vertrauen auf den Nutzen des sprachlich Abgegriffenen verwendeten Kalauer lauten diesmal „Hackengas“, „Augenpraline“ und „Ladies first, James Last“. Jürgen und Bernd sind keine Frauentypen, aber die Methoden des Aufreißens wollen sie alle mal durchprobieren. Erst Speeddating, dann ein Partnervermittlungstrip nach Polen: Strunk prüft in seinem neuen Buch, von dem er sagt, dass es vielleicht manche zuletzt neu dazugewonnenen Leser eher irritieren werde, das humoristische Potenzial der männlichen Ratgeberliteratur. Das Thema Männer und Frauen, sagt Heinz Strunk, „und was zwischen ihnen alles passiert bzw. nicht passiert, hat mich schon immer interessiert“.
Wen nicht?
Offenherziger Autor
Und auch wenn die satirisch anmutenden Bescheidwisser-Passagen (Bernd Würmer: „Frauen lieben wilde Geilheit“) der Männer, die ihre eigene Armseligkeit gut vor sich verstecken, an Witz kaum zu überbieten sind, hat der neue Strunk wie immer eine ernste Ebene. Verantwortung für die Mutter oder Selbstverwirklichung, auch wenn die sich lediglich darin äußert, dass die Romanfigur auf absurde Weise versucht, eine Frau abzukriegen? So oder so eine wichtige Frage. Der überragende Trübsinns- und Menschenforscher Strunk mag, wie er es nennt, „keine psychologischen Kaffeesatzlesereien“.
Und trotzdem ist Strunk in gewissem Sinne ein offenherziger Autor. „Ich glaube keinem Schriftsteller, der behauptet, alle seine Figuren wären erfunden und er würde nie über sich schreiben“, sagt Strunk. Die autobiografische Grundierung seines Werks leugnet er grundsätzlich nicht. So war die Krankengeschichte seiner Mutter, die er später bis zu ihrem Tod pflegte, der Grund, warum seine Jugend früh endete und vielleicht Auslöser von manch anderem. Strunk hat sein einstiges mentales Siechtum – „Ich stand kurz vor der Einweisung in die Psychiatrie“ – in den jungen, den Harburg-Jahren oft beschrieben, nicht zuletzt in den Büchern selbst.
Jogginganzug gewordene Schluffigkeit
Für die Zeit des Interviews ist Heinz Strunk, der zuletzt zwischen hochkulturellen Anlässen wie der Verleihung des Wilhelm-Raabe-Preises und subkulturellen Anlässen wie der Tournee mit Studio Braun hin und her wechselte, übrigens die Jogginganzug gewordene Schluffigkeit. Seine Haare sind dunkel, nicht grau; am Vortag ist er vom Filmset zurückgekommen. „Arme Ritter“ soll im Herbst in der ARD laufen, es ist die Verfilmung des „Jürgen“-Stoffes, in dem Strunk die Titelrolle selbst spielt und Charly Hübner den Buddy Bernd. Fotografieren lassen wollte Strunk, der sich sowieso nie gerne fotografieren lässt, jedenfalls nicht. Bei einem wie Strunk würde man allerdings nie denken, dass hier eine Diva ihre Allüren pflegt. Wie gesagt, der Jogginganzug.
Wo aber doch sonst alles, was mit Heinz Strunk im vergangenen Jahrzehnt verglichen zu denen davor passiert ist, im Glamourverdacht steht. Ein Film mit ihm in der Hauptrolle zur Primetime wirkt da neben der literarischen Nobilitierung des vergangenen Jahres wie der Gipfel der auf gewisse Weise paradoxen Strunk-Story.
Depression in eine Humorform gegossen
Hier ist einer, ein ausgebildeter Saxofon- und Querflötenspieler, der gegen alle Wahrscheinlichkeit ein bemerkenswert erfolgreicher Autor geworden ist. Ein Mann, der die eigene Depression in eine Humorform gegossen hat, für die es wahrscheinlich noch immer keine richtige Bezeichnung gibt. Strunk ist ein Tragiker, bei dessen Lesungen sich die Leute vor lachen biegen. Ein Gewinner, der immer über Verlierer schreibt.
Passt das denn eigentlich noch zusammen? Strunk hat einen Finanzberater und ist an einer neuen, schicken Tapasbar auf dem Schulterblatt beteiligt, er beruft sich auf die uralte Regel, wonach es sich nicht lohnt, von glücklichen Menschen zu erzählen.
Außerdem findet Strunk: Niemand ändert sich komplett, nur weil er Erfolg hat.
Das stimmt wahrscheinlich. Und es stimmt auch, dass es weitergeht, immer weiter. Kommende Woche erscheint das Musikalbum zu Buch und Film, es trägt den abgründig lustigen Titel „Die gläserne Milf“ und soll, erklärt Strunk, den Lebensroman Jürgens vertonen. Es ist schwer, ernst zu bleiben, als er einem den ersten Song vorspielt, in dem zu Synthieklängen ein stimmlich hochgepitchter Heinz Strunk quasi das erste Kapitel des Buchs einsingt. Und dennoch, darauf beharrt Strunk: eine ernst gemeinte Platte, „die manche überraschen dürfte“.
Schreibblockaden sind ihm fremd
Einen Erzählungsband schreibt Strunk überdies gerade, nicht nur an dem kleinen Schreibtisch übrigens, der im auf beinah biedere Weise gemütlichen Wohnarbeitszimmer steht, direkt neben dem Kamin und den Holzscheiten. Herr Strunk, so will man sich das in diesem Moment vorstellen, ist immer noch der nach Geborgenheit suchende Junge, der dem Leser in Strunks bestem Buch „Junge rettet Freund aus Teich“ begegnet, und legt völlig unironisch ein Stück Holz nach, wenn es ihn beim Schreiben friert.
Nein, Strunk schreibt mittlerweile auch gerne, wenn er auf Tour ist. Schreibblockaden sind ihm nebenbei sowieso fremd. Nach den Erzählungen, über deren grundsätzliche Schwerverkäuflichkeit der bestens über seine Auflagenzahlen informierte Autor (allem Anschein nach ein Merkmal aller Bestsellerautoren) im Bilde ist, steht dann der die Gesamtheit seiner diesbezüglichen Erfahrungen beinhaltende Liebesroman an.
Strunk ist ein Kulturbürger
Es steht zu vermuten, dass auch dies ein tragikomisches Buch werden wird. Er sei froh, sagt Strunk, dass es ihm in seinen Büchern gelungen sei, einen unverwechselbaren Ton zu finden, „und den will ich beibehalten“.
Am Ende will man noch wissen, wo er sich denn nun gesellschaftlich verorte, ob er denn nicht längst zum Establishment gehöre. Sagen Sie es mir, antwortet Heinz Strunk da. Also, ein Versuch: Heinz Strunk ist ein Kulturbürger. Das kann er so stehen lassen.
Dann sagt er noch einen Satz, es ist der beste des Nachmittags: „Kein Mensch ist nur ernst oder nur lustig.“