Hamburg. 23 Schulen nehmen am Projekt Boxschool teil. Auch in Billstedt. Die Hamburg Giants lehren Technik und erfahren Vorbildsein.
„Jungs“, sagt Mo Wahiebi noch, bevor es in die kleine Sporthalle geht, „wenn ihr Wertsachen habt, gebt sie lieber mir. Nicht vergessen, das hier ist Billstedt.“ Ammar Abbas, Helmut Ofori und Nurullah Oguz nicken, die Ansage ist angekommen. Ist ja nicht so, dass sie selbst im Paradies aufgewachsen wären. Aber der Respekt vor dem, was sie erwartet in den folgenden 90 Minuten, der steigt in diesem Moment. Und das kann nicht schaden, denn Wahiebi weiß, wovon er spricht. Deshalb ist die Ansage nicht respektlos, sondern der Erfahrung geschuldet.
Respekt vor dem Gegner
Der 31 Jahre alte Palästinenser arbeitet als Trainer für das Projekt Boxschool. Der Verein für Gewaltprävention hat sich zum Ziel gesetzt, Kinder und Jugendliche auf ihrem Weg zu einem gewaltfreien Miteinander zu unterstützen. Das geschieht unter anderem dadurch, dass an Schulen vorrangig in sozialen Brennpunkten Boxtraining für auffällige Schülerinnen und Schüler angeboten wird. Sie sollen lernen, Aggressionen kontrolliert und regelkonform abzubauen. Und auch der Respekt vor dem Gegner soll gelernt werden. An 23 Schulen und mit 30 Kursen ist Boxschool aktuell präsent, Wahiebi leitet sechs davon, darunter sind auch zwei am Regionalen Bildungs- und Beratungszentrum am Billstedter Hauskoppelstieg.
An diesem Tag haben seine acht Schützlinge aus den Klassenstufen fünf und sechs besondere Gäste, Riesen-Besuch sozusagen. Ammar Abbas (21/Klasse bis 81 Kilogramm), Helmut Ofori (20/bis 75 kg) und Nuri Oguz (18/bis 60 kg) boxen für die Hamburg Giants in der Bundesliga. An diesem Sonnabend (19 Uhr, Halle der HT 16, Sievekingdamm) empfangen sie das Boxteam Hanse Wismar. Und heute sind sie gekommen, um Wahiebis Trainingsgruppe zu motivieren – und um selbst zu verstehen, wie wichtig es ist, Vorbild zu sein.
Genau das, sagt Antke Kreft, sei nämlich die Idee hinter der Einbindung von Leistungssportlern in Boxschool-Kurse. „Unsere Schüler sehen an Ammar, Helmut und Nuri, was man mit harter Arbeit, Fleiß und Disziplin erreichen kann. Das motiviert sie zusätzlich, zumal die drei Jungs alle Migrationshintergrund haben“, sagt die Geschäftsführerin des Projekts.
Ammar kam 2010 aus dem Irak nach Deutschland, die in Hamburg geborenen Nuri und Helmut haben türkische und ghanaische Eltern. Bis zu achtmal im Jahr werden solche Trainingsbesuche organisiert. Boxprofis wie Albon Pervizaj und Dima Weimer oder der Olympiabronze-Gewinner Artem Harutyunyan waren schon im Einsatz. Die Zusammenarbeit mit dem neuen Bundesligateam der Giants, das zu dieser Saison an den Start ging, soll intensiviert werden.
Es geht nicht um Perfektion, sondern um Prävention
Trainer Wahiebi hat festgestellt, „dass die Schüler durch solche Besuche das Gefühl bekommen, wahrgenommen und wertgeschätzt zu werden“. Und das Schulleitungsteam, bestehend aus Susanna Tollgreef und Uwe Klindworth, ist überzeugt von der pädagogischen Wirkung des Projekts. „Die Kinder nehmen die Sportler nicht als Lehrer wahr, sondern als Partner. Dadurch sind sie viel engagierter bei der Sache“, sagt Klindworth, und Tollgreef ergänzt: „Sie haben Respekt, aber verstecken sich nicht. Ihr Selbstvertrauen und die Fähigkeit, sich an Regeln zu halten, wachsen. Das ist genau die Atmosphäre, die wir pflegen wollen. Es geht nicht um Perfektion, sondern um Prävention, und darum, dass die Kinder auch mal erleben, stark zu sein.“
Im Verlauf des Trainings ist diese besondere Energie deutlich spürbar. Während das von Mo Wahiebi geleitete Aufwärmen eher als Pflichtübung durchgezogen wird, sind die sechs Jungen und zwei Mädchen beim spezifischen Boxtraining, bei dem jeder der vier Coaches ein Paar betreut, mit großem Eifer bei der Sache. Da wird viel gelacht und noch mehr geschwitzt, die Bundesligaboxer zeigen, welche Bewegungsabläufe die richtigen sind, und die Schüler versuchen sie so genau wie möglich zu imitieren.
"Das ist etwas ganz Besonderes.“
Kaum verwunderlich also, dass die drei Giants nach der ersten Mitmacheinheit ihren nächsten Einsatz kaum erwarten können. „Ich hatte es mir langweiliger vorgestellt“, sagt Nuri, der eine Ausbildung zum Friseur macht, ehrlich. „Aber dann habe ich gespürt, wie glücklich diese Kinder über Kleinigkeiten waren. Das ist etwas ganz Besonderes.“
Ammar, der nach seiner Nachtschicht beim Kurierdienst UPS nur zwei Stunden geschlafen hatte, freut sich besonders darüber, „dass die Kinder gefragt haben, wann wir wiederkommen“. Und Helmut, der Game Art und 3-D-Animation studiert, ist beeindruckt von der Vorbildfunktion, die das Trio übernehmen durfte: „Wir kennen alle auch die andere Perspektive. Jetzt sind wir die Sondergäste gewesen, und ich weiß aus eigener Erfahrung, was das bedeutet.“
Die Kinder hätten gern noch länger mit den Besuchern auf Medizinbälle eingeschlagen, sie fanden die Geduld, mit der die drei Giants die Übungen erklärten, besonders gut. Einige wollen direkt wissen, was man tun müsse, um Bundesligaboxer zu werden. Die schönste Antwort jedoch gibt eins der beiden Mädchen. Auf die Frage, welcher der Trainer ihr denn am besten gefallen habe, sagt sie: „Mo!“ Das Besondere erkennen, aber den Alltag zu schätzen wissen – genau so soll es sein.