Hamburg. Der Hamburger Unternehmer zeichnet gerade die nächste Staffel der Vox-TV-Show auf. Das Abendblatt war exklusiv beim Dreh dabei.

Er wusste es, nach ein paar Minuten schon. Ein Bauchgefühl, ein Instinkt. Vielleicht sogar eine Art Vision. Dass dieses Produkt funktionieren kann. Dass er aus diesem total unscheinbar wirkenden Ding mit dem merkwürdigen Namen etwas Großes machen kann, wenn er es ordentlich bewirbt und den Handel überzeugt. Das wusste er einfach. Schon in dem Moment, als er das Produkt zum ersten Mal im Einsatz sah. Als er realisierte, was man damit machen kann – und wie groß der Markt dafür ist. Für die Zahlen interessierte er sich kaum noch.

Firmenbewertung? Umsatz? Verkaufszahlen? Produktionskosten? Nebensächlich. Er schrieb sich nur eine Zahl in sein schwarzes Notizbuch. 100.000 Euro. Es ist die Summe, die die beiden Gründer und Entwickler des Produkts gefordert haben. Im Gegenzug bieten sie zehn Prozent Anteil an ihrer Firma an. Auf die 100.000 wird er später eingehen, auf den Rest nicht. Das weiß er. Nach ein paar Minuten schon.

Dümmel ist „bissiger“ als im Vorjahr

Ralf Dümmel (50), Hamburger Unternehmer und Investor, sitzt in Halle 38 des Coloneum in Köln – einem der größten und modernsten Fernseh- und Filmstudios Europas. Jetzt laufen hier die Dreharbeiten für die vierte Staffel von „Die Höhle der Löwen“. In der TV-Sendung auf Vox werben Jungunternehmer bei prominenten Investoren um Kapital für ihre Geschäftsidee. Dümmel ist zum zweiten Mal einer der Löwen, die die Geschäftsidee bewerten und in das Start-up einsteigen oder eben nicht. Dümmel ist ein bisschen „bissiger“ als bei seiner Premiere im vergangenen Jahr.

Das sagt er später in der Drehpause. Rund 90 Minuten haben die Löwen, die fünf Juroren, gerade ein Gründer-Duo in die Mangel genommen. Sie haben ausgefragt und hinterfragt, kritisiert und diskutiert. Später, bei der Ausstrahlung im Herbst bei Vox, wird davon nur ein Bruchteil zu sehen sein. Denn die meist 90 aufgezeichneten Minuten werden auf zehn bis 30 zusammengeschnitten. Im Moment weiß niemand, welche Einstellungen gestrichen werden und welche nicht. Nicht einmal die Löwen haben ein Mitspracherecht. Eine Sequenz wird es aber sicher in die Endfassung schaffen: Wie Ralf Dümmel die beiden Gründer nach dem abgeschlossenen Deal umarmt. Klappe! Aus! Ende!

Ende? Von wegen! Der sogenannte Pitch, das Verkaufsgespräch, ist zwar beendet und der Deal im Kasten. Doch die Dreharbeiten gehen weiter, ein paar Einstellungen müssen nachgedreht werden. Eine Szene mit den Gründern, in der zu sehen ist, wie ihr Produkt funktioniert. Was das genau ist, darf hier nicht verraten werden. Beim Dreh herrscht Geheimstufe 1.

Statement von mehrfach nachgedreht

Wegen Tonproblemen muss auch eine Einstellung mit Löwin Judith Williams nachgedreht werden, in der sie erklärt, warum sie kein Angebot abgibt, sondern aussteigt. Das Statement wird einmal nachgedreht, dann noch einmal, schließlich ein drittes Mal. Judith Williams lächelt, spricht ihr Statement wieder und wieder in die Kamera. Sie ist erkältet, ihre Stimme klingt anders als sonst. Dann endlich: Mittagspause. Eine Stunde. Normalerweise.

Heute nicht, heute hängt man dem Zeitplan hinterher. 15 Uhr ist es schon, zwei Präsentationen sind aufgezeichnet, vier weitere stehen noch an. Während die Löwen Mittag essen und nachgeschminkt werden, laufen im Studio die Umbauarbeiten. Ein Tisch wird hereingetragen, fertig gedeckt, mit Tellern, Weingläsern – für den Traubensaft. Zwei Stühle folgen, ein Glücksrad, eine übergroße Handy-Attrappe. Eine Leine wird gespannt, an die mit Wäscheklammern Restaurantrechnungen gehängt werden. Das Bühnenbild ist fertig, die Löwen noch nicht.

Eine Frau mit Headset und Klemmbrett läuft durch die Gänge, trommelt alle zusammen: „Es geht weiter. Wir hängen! Wir müssen!“, ruft die Set-Aufnahmeleiterin, auch „Set-AL“ genannt. „Wer bremst denn?“ Das Studio füllt sich langsam, rund 100 Personen arbeiten am Set von „Der Höhle der Löwen“. Unter dem Sessel von Dagmar Wöhrl, Neu-Löwin und Jochen-Schweizer-Nachfolgerin, Unternehmerin und CSU-Bundestagsabgeordnete, liegen ein Paar rote High Heels. Sie hat die Schuhe ausgezogen und gegen bequemere getauscht, als sie in die Pause gegangen ist. Jetzt schlüpft sie schnell wieder hin­ein, der nächste Pitch steht an. Zwei junge Männer präsentieren eine App. Das ist gar nichts für Dümmel.

Dümmel ist mit 23 Deals der König der Löwen

Er wusste es, nach ein paar Minuten schon. Reine Menschenkenntnis. In dem Moment, als die beiden Gründer ihre Anwendungssoftware präsentierten, wusste er, dass Dümmel nicht investieren würde. Da war sich Hanno Hagemann ganz sicher. Schließlich kennt er Dümmel schon seit vielen Jahren. Die beiden sind Gesellschafter und Geschäftsführer des Unternehmens DS Produkte, einem der europaweit größten Lieferanten von Non-Food-Artikeln für Lebensmitteleinzelhändler und Discounter.

Wenn unten im Studio gedreht wird, sitzt Hagemann meistens ein Stockwerk höher in der Garderobe, beobachtet das Geschehen auf einem Bildschirm – und versucht abzuschätzen, ob Dümmel bieten wird. Bereut haben die beiden noch keinen Deal. Nur die, die sie in der letzten Staffel nicht bekommen haben – aber das waren nicht viele. Dümmel ist mit 23 Deals der König der Löwen. Auch wenn er selbst das so nie sagen würde.

Er mag es lieber, wenn man über die Gründer und deren Erfolg schreibt als über ihn. Karl-Heinz Bilz zum Beispiel. Der Sanitär-und Heizungsmeister, dessen Abfluss-Fee sich allein in den ersten drei Tagen nach Ausstrahlung der Sendung mehr als 350.000-mal verkauft hat. So oft, dass die Abfluss-Fee restlos ausverkauft war und die Firma neue Ware einfliegen lassen musste, die Lieferung mit dem Schiff hätte zu lange gedauert.

Knapp sieben Monate ist es her, dass der Handwerker seinen Schmutzfänger für Waschbecken in der Höhle präsentiert hat. Inzwischen sind 800.000 Stück verkauft, und Bilz ist Millionär. Allein der Handelsumsatz liegt bei rund zehn Millionen Euro. Und die Abfluss-Fee ist kein Einzelfall. Das erzählt Dümmel stolz in der nächsten Pause. Die Dreharbeiten für die App sind vorbei, das Studio wird für den nächsten Pitch umgebaut.

Sport-Handtuch war einer der größten Coups

Dümmel läuft mit großen Schritten in den Nebenraum, er will in der Pause schnell eine Cola Zero trinken. Eine Maskenbildnerin hat ihm zwei Taschentücher in den Hemdkragen gesteckt, damit alles schön sauber bleibt, nicht beschmiert. Dümmel kennt das schon: „Eigentlich mache ich hier nichts anderes als seit 29 Jahren im Job“, sagt er. „Mal abgesehen davon, dass ich sonst nicht mit Taschentüchern im Kragen rumlaufe.“ Apropos Tücher. Mit dem Sport-Handtuch Towell vom Hamburger Start-up Thinks hat sich Dümmel in der 2016er-Staffel einen der größten Coups gesichert. Das Handtuch für das Fitness-Studio, das eine spezielle Ober- und Unterseite hat, wurde bisher 700.000-mal verkauft, der Handelsumsatz liegt ebenfalls bei mehr als zehn Millionen Euro.

Dümmel trinkt einen Schluck, schüttelt den Kopf. Mit so einem Erfolg hat er selbst nicht gerechnet. Der Handel habe eben seine eigenen Gesetze – und selbst jemand wie er kann nicht alle Eventualitäten kalkulieren. „Ich sag immer: Wir sind diejenigen, die die Sachen in den Handel tragen – raustragen tut es jemand anders. Der Kunde. Und der tickt manchmal ganz anders, als wir uns das vorstellen“, sagt Dümmel. Er musste lernen, dass nicht jedes Produkt funktioniert. Der Pannenfächer, ein Spezial-Warndreieck, war so ein Produkt. Aber, das ist Dümmel wichtig: Auf den Kosten bleibt keiner seiner Gründer sitzen. Keiner geht mit Schulden nach Hause. Und: Insgesamt seien von den 18 zustande gekommenen Beteiligungen mehr als 70 Prozent positiv.

Zwei Deals an einem Drehtag

Dümmel spricht von „meinen Gründern“. Er will nicht besitzergreifend sein. Aber zeigen, wie stark er mit ihnen verbunden ist. Wie sehr er mitleidet, wenn jemand mit seiner Idee scheitert. „Wenn der Lebenstraum von jemanden scheitert, obwohl wir alles für den Erfolg getan haben, bricht mir auch das Herz“, sagt Dümmel. „Ich weiß, wie das klingt. Ist aber so.“

Die Aufnahmeleiterin steckt ihren Kopf zur Tür herein, es geht weiter. Drei Präsentationen stehen noch an. Es ist schon 18 Uhr. Draußen wird es langsam dunkel, im Studio bleibt es hell. 110 Lampen leuchten das Set aus. Ralf Dümmel geht eilig zu seinem Sessel, nimmt Platz. Es ist der gleiche Sessel wie in der vergangenen Staffel, aus schwarz-braunem Leder. Doch er steht an einem anderen Platz als sonst. Nicht mehr in der Mitte. Sondern ganz am Rand. Dümmel zuckt die Schultern. „Bin froh, dass ich überhaupt einen Stuhl habe und nicht stehen muss“, sagt er und lacht.

Ihm ist egal, wo er sitzt, Hauptsache es läuft. Und es läuft. Allein an diesem Tag hat er zwei Deals gemacht. Nächste Woche trifft er sich mit seinen neuen Gründern, um Einzelheiten zu besprechen und Verträge zu unterzeichnen. Er weiß, dass nicht alle Deals auch notariell unterschrieben werden, das war schon in der letzten Staffel so, als von 23 Deals 18 zum Abschluss kamen. Dümmel ist mit der Quote zufrieden. Warum über die geplatzten Deals nachdenken? Er konzentriert sich lieber auf seine Gründer. Neue stehen schon in den Startlöchern. Rund 70 sind es in dieser Staffel wieder, die ihre Ideen präsentieren. Ein Gründerteam betritt gerade die Bühne,. Und Dümmel weiß es sofort. Nach ein paar Minuten schon.