Hamburg. Sie liefern Matratzen in schickem Design per Fahrradkurier aus und setzen auf gutes Marketing. Kritik kommt von Hamburger Fachhändlern.

Der Mann kommt ziemlich ausgeschlafen rüber. Constantin Eis federt geradezu in das Büro seiner Agentur in Eimsbüttel. Später als verabredet. „Sorry“, sagt er mit einem Lächeln, aber die Termine, der Verkehr und überhaupt. Der 33-Jährige, Hemd, Jeans, Turnschuhe, ist gerade viel unterwegs. Wenn man es nicht besser wüsste, würde man denken, dass er angesagte Technik wie Smartphones entwickelt oder gerade einen coolen Kaffeetrend erfunden hat. Aber Eis verkauft Matratzen. Genauer gesagt, eine Matratze. Casper. Und die will er jetzt auch in Hamburg verstärkt unter die Leute bringen. Das Ziel des Marketingstrategen: Ab 2017 sollen spezielle Casper-Fahrradkuriere die online georderten Matratzen auch in der Hansestadt ausliefern und so den Markt aufmischen. Jetzt machen das noch klassische Paketdienste.

Bisher war das Image von Matratzen so sexy wie das von Bettvorlegern. Die Anschaffung war eines der unbeliebtesten Einkaufserlebnisse. Probeliegen in schmucklosen Verkaufsräumen unter Neonlicht. Höhe, Härte, Kaltschaum oder doch Federkern, die Qual der Wahl auch im Fachgeschäft. „Low-Interest-Produkt“ nennen Marketing-Fachleute so etwas. Aber seit einigen Monaten ist Bewegung in dem Markt. In immer kürzeren Abständen ploppen neue Start-ups auf, die Matratzen online verkaufen. Elf sind es bislang. Sie heißen Emma, Muun, Buddy, Eve, Bruno – und Casper. Der Pionier aus den USA hat vorgemacht, dass man mit einer Universalmatratze viel Geld verdienen kann. Und plötzlich kommt nach Küche und Bad auch Lifestyle ins Schlafzimmer.

Besserer Schlaf für ein besseres Leben

„Das Leben ist hektisch. Die Menschen fangen an darüber nachzudenken, wie man besseren Schlaf bekommt“, sagt Casper-Mitgründer Eis. „Denn besserer Schlaf bedeutet besseres Leben und letztlich auch mehr Leistung.“ Dafür, versprechen die Jungunternehmer aus Amerika, haben sie die perfekte Matratze entwickelt: eine, auf der alle schlafen können und die auch noch gut aussieht. „Große Auswahl ist überflüssig“, sagt Betriebswirt Eis, der vorher Vorstand des Online-Möbelhändlers Home 24 war. Entscheidend sei vielmehr, dass man die Matratze in möglichst natür­licher Umgebung ausprobiere. Also zu Hause im Schlafzimmer. Hundert Tage haben Casper-Kunden dafür Zeit, so lange gilt das Rückgaberecht.

In den USA, wo das Start-up im zweiten Geschäftsjahr die Marke von 200-Millonen-Dollar-Umsatz knacken will, schlafen nach Unternehmensangaben schon eine viertel Million Menschen auf Casper. Innerhalb der letzten zwei Jahre haben die Gründer 70 Millionen Dollar an Finanzierung aufgenommen. Jetzt ist Europa das nächste Ziel für die Revolution der Matratzenwelt. Seit Sommer diesen Jahres wird das Modell, das es in fünf Größen gibt, in Deutschland ausgeliefert. Zu Preisen zwischen 400 und 800 Euro. Die Werbung läuft vor allem über das Internet, auch Hollywood-Ikone Leonardo di Caprio gehört zu den Investoren – und ist bekennender Casper-Fan. Erkennungszeichen ist die blau-weiß-gestreifte Box, in der die Matratze per Fahrradkurier ausgeliefert wird. „Wir sind ex­trem zufrieden mit dem Geschäft“, sagt Constantin Eis, der aus Trier stammt und für die globale Expansion zuständig ist. Zahlen nennt er allerdings keine.

Kritik an einer Matratze für alle Schläfer

Bei Betten Remstedt in Winterhude steht Maik Mechela jeden Tag im Laden und verkauft Matratzen. Wer will, bekommt eine Liegeberatung unter Begleitung von einer Physiotherapeutin. Da kann eine Matratze schon mal mehr als 800 Euro kosten. Onlinehandel spielt in dem Familienbetrieb mit zwei Filialen, der im nächsten Jahr 125 Jahre alt wird, keine Rolle. „Die Bedürfnisse der Kunden sind sehr unterschiedlich“, sagt Inhaber Mechela. Eine Matratze für alle? Das könne nur ein „Schnittmengen-Modell“ sein, für Menschen mit wenig Zeit und ohne gesundheitliche Probleme. Wer an Rückenproblemen leide oder „besondere klimatische Anforderungen“ habe, brauche eine darauf ausgerichtete Matratze, da ist sich der Bettenexperte sicher. „Aber das Marketing der neuen Anbieter ist bemerkenswert“, sagt er und klingt ein wenig neidisch.

Der Matratzenmarkt in Deutschland schwächelt. Die Hersteller melden auch für das dritte Quartal dieses Jahres Rückgänge von etwa fünf Prozent bei Absatz und Umsatz. „Wir merken, dass der Kuchen kleiner wird“, sagt Ulrich Leifeld, Geschäftsführer des Fachverbands Matratzen-Industrie. In Deutschland werden im Jahr etwa sechs Millionen Matratzen gekauft. Wobei Modelle aus Schaummaterialien deutlich vor dem klassischen Taschenfederkern rangieren. Insgesamt lag der Umsatz laut Branchenverband bei 780 Millionen Euro.

Start-ups überzeugen vor allem mit gutem Marketing

Nicht ganz überraschend beäugt man dort die neuen Akteure auf dem Markt skeptisch. In einem mehrseitigen Statement gibt der Verband seine Einschätzung ab. Titel: „Es ist nicht alles Gold, was glänzt.“ Allerdings ist auch der Ruf der klassischen Matratzenhersteller und -händler nicht ganz unbefleckt. So verhängte das Bundeskartellamt 2015 ein Bußgeld gegen den weltweiten Marktführer Tempur wegen unerlaubter Preisabsprachen. Auch gegen andere Unternehmen wurde ermittelt. Immer wieder taucht der Vorwurf auf, in dem Bereich werde mit sehr hohen Margen gearbeitet – auf Kosten der Kunden.

Das gelte allerdings nicht für den Bettenfachhandel, sagt Marc Böhle, Präsident des Verbands der Bettenfachgeschäfte (BTE). Seine Einschätzung der neuen Online-Matratzenhändler ist eindeutig: „Die Produkte sind nichts Besonderes. Die Matratzenqualitäten gibt es längst.“ Es sei ein Phänomen, dass bei den Newcomern vor allem Leute mit Marketingqualifikationen die Regie führten. „Es sind für den Fachhandel unterdurchschnittliche Matratzen, die besonders gehypt werden“, sagt Böhle, der in Hamburg die beiden Geschäfte von Betten Rumöller mit zwölf Mitarbeitern führt. Es werde mit sehr großem Geld auf den Markt gedrängt. Auch die Preisgestaltung sieht er kritisch: Den Marketingaufwand, vor allem aber die Retouren müssten finanziert werden. „Das ist in die Preise einkalkuliert und wird vom Kunden mitbezahlt.“

Stiftung Warentest: Universalmatratzen schneiden schlecht ab

Ganz ähnlich fällt die Einschätzung beim Dänischen Bettenhaus aus, das in Deutschland 930 Fachmärkte sowie einen Onlineshop betreibt und zu den Großen im Matratzenmarkt zählt. „Eine Veränderung im Absatz durch die „One-fits-all-Konzepte der neuen Onlinehändler stellen wir derzeit allerdings nicht fest“, sagt Sprecher Michael Rotermund. Wasser auf die Mühlen der Kritiker ist zudem der letzte Matratzentest der Stiftung Warentest, der Ende August erschien. Für die neuen Online-Matratzenanbieter fiel dieser weniger gut aus. Sechs Universalmatratzen überprüften die Tester: Die deutschen Produkte Muun (4,1) und Emma (4,2) sowie das britische Start-up Eve (4,7) schnitten besonders schlecht ab. Auch weil sie oft mit übertriebenen Versprechen werben. Inzwischen haben die Unternehmen reagiert. Die Macher von Eve etwa kündigten an, künftig in Deutschland zu produzieren und dann ohne das Flammschutzmittel TCPP. Das gilt als krebserregend und hatte den Briten Punktabzug eingebracht.

Der Matratzenkampf hat auch ein bisschen etwas von David gegen Goliath. Casper war nicht unter den getesteten Produkten, weil die Matratze im Testzeitraum noch nicht hierzulande erhältlich war. „Unsere Matratzen bestehen aus vier unterschiedlichen Schäumen und werden in Deutschland produziert“, sagt Constantin Eis. Es gibt inzwischen auch Casper-Bettwäsche und ein Kopfkissen. „Wir kommen mit der Produktion kaum hinterher. Die Kissen waren schon viermal ausverkauft.“ In der Deutschland-Zentrale in Berlin arbeiten derzeit 25 Beschäftigte.

„Matratzen wird wieder mehr Aufmerksamkeit gewidmet“, versucht Bettenfachverkäufer Böhle der Kampfansage der Matratzen-Start-ups das Positive abzugewinnen. Schon seit Längerem bemerke er in seinen Geschäften in Blankenese und im Elbe-Einkaufszentrum, dass Design auch im Schlafzimmer eine zunehmende Rolle spiele. Spürbar sei das unter anderem bei den Boxspring-Betten, die auch in Deutschland immer beliebter würden. „Bislang präsentieren sich die Bettenfachhändler in Deutschland aber vor allem über Beratung, weniger über das Drumherum. Diesen Spagat müssen wir schaffen.“