Hamburg. Im dritten Teil unserer Serie „Handy – Sucht oder Segen?“ geht es um digitale Navigation, Ticketkauf und Fahrplanauskunft.

Die Frau, die dem Hamburger Verkehrsverbund (HVV) Ärger ersparen soll, sitzt in einem fast papierlosen Büro im dritten Stock eines Neubaus im Stadtteil Sternschanze. Auf schwarzen, blitzblanken Schreibtischen stehen Laptops, Bildschirme und Telefone; als einzige Dekoration hat sich Kathrin Beutin eine daumengroße Pinguinfigur erlaubt, ein Geschenk ihrer Tochter. Sonst soll nichts vom Job ablenken: der Suche nach digitalen Schwachstellen.

Die Apps und der Datenschutz

Die 40-Jährige und ihr vierköpfiges Team arbeiten bei eos.uptrade. Das Unternehmen hat die HVV-App entwickelt, eine Software fürs Smartphone, mit der die Nutzer sich die nächstgelegene Haltestelle sowie Bus- und Bahnverbindungen im Stadtgebiet anzeigen lassen und auch gleich Tickets für die Fahrt kaufen können. Beutin öffnet einen Schrank. Darin liegen zwölf Smartphones. „Unsere Testfarm.“ Mit diesen Geräten überprüfen sie und ihre Kollegen in noch nicht veröffentlichten Versionen der HVV-App für die Smartphone-Betriebssysteme iOS (Apple) und Android (Google), ob die Anwendung tut, was sie soll.

Tut sie zunächst oft nicht. „Wir finden viele Fehler“, sagt Beutin. Es gibt einen Testkatalog, den ihr Team abarbeitet. Allein 1295 Fälle, also denkbare Nutzeraktionen, sind für den Bereich Ticketkauf vorgesehen. Hapert es an einer Stelle, geht eine detaillierte Beschreibung des Problems an die Entwickler, die es dann beheben sollen.

Ticketkauf über Apps könnte weiter zunehmen

Künftig dürfte Beutins Arbeit für den HVV noch wichtiger werden. Im vergangenen Jahr wurden über die HVV-App mehr als 4,3 Millionen Fahrkarten gekauft – ein Zuwachs um 48 Prozent gegenüber 2015. Im gleichen Zeitraum holten Fahrgäste 148 Millionen Fahrkartenauskünfte über die HVV-App ein – eine Steigerung um 27 Prozent gegenüber 2015.

Zwar betrug der Anteil der App an den Gesamteinnahmen im Jahr 2016 bis November erst sieben Prozent. Aber der HVV geht davon aus, dass dieser Anteil weiter wächst und fördert dies mit dem Anreiz, beim Ticketkauf über die App drei Prozent Rabatt auf Einzel- und Tageskarten zu erhalten.

Digitalisierung des Verkehrs

Die zunehmende Nutzung der HVV-App ist exemplarisch für die Digitalisierung des Verkehrs in Hamburg. Faltkarten und Straßenatlanten sind wohl bald passé, Ticketautomaten werden weniger genutzt. Stattdessen fungiert zunehmend das Smartphone als Wegweiser und Reiseberater, der hilft, von A nach B zu kommen.

Das bedeutet auch: Immer öfter treffen Algorithmen eine Vorauswahl, entscheiden mit über unsere nächsten Schritte. Aber verspricht das nicht einen Alltag, in dem sich vieles schneller und weniger mühselig erledigen lässt? „Bequemer geht es nicht“ – so bewirbt der HVV seine App.

Navigations-Apps sind sehr beliebt

„Das Smartphone hat unsere Mobilität extrem verändert – und es wird sie weiter verändern“, sagt Martin Huber, Leiter des Amtes für Verkehr und Straßenwesen in der Wirtschaftsbehörde. „Nur mit diesem digital vernetzten Gerät lassen sich viele Verkehrsangebote sehr schnell parallel analysieren.“

Zu den meistgenutzten digitalen Verkehrshelfern für Auto- und Radfahrer zählen Navigations-Apps, die auch Staus und Baustellen anzeigen. Die wohl bekannteste Anwendung ist Google Maps. Entlang der Route kann der Nutzer sich Cafés, Restaurants und Geschäfte anzeigen lassen. Zu den Navi-Alternativen zählt die App Here WeGo.

Toiletten Scout zeigt öffentliche WCs

Mit der App A 7-Nord können sich Autofahrer über die Verkehrslage auf der A 7 und im Hamburger Stadtgebiet informieren. Die Software bietet zudem Meldungen der Elbtunnel-Betriebszen­trale und eine Wochenvorschau über das anstehende Baugeschehen auf der A 7. Günstige Tankstellen in der Metropolregion Hamburg sollen Autofahrer etwa mit den Apps clever-tanken.de und ADAC Spritpreise finden. Selbst bei dringenden Bedürfnissen unterwegs kann man eine App nutzen: Toiletten Scout zeigt öffentliche WCs und zugängliche Toiletten in Restaurants an.

Bei der Suche nach freien Plätzen in Parkhäusern helfen soll etwa die App Parkopedia. Schon länger möglich ist in Hamburg, am Parkautomaten bargeldlos zu bezahlen, und zwar mit den Apps ParkNow und Easy Park. Die Parkdauer kann man minuten­genau mit dem Smartphone einstellen. Dadurch lässt sich eine Überbezahlung verhindern.

Vielen Nutzern gehen Zugriffsrechte zu weit

Vor allem für kurze Strecken durch Hamburg bietet sich das Fahrrad an – und dafür braucht man nicht mal ein eigenes: Die Stadtrad Hamburg-App zeigt auf einer interaktiven Karte, welche der 2450 Stadträder an welchen der 207 Stationen im Stadtgebiet verfügbar sind, und sie hilft bei der Buchung. Die erste halbe Stunde ist kostenlos.

Wer weder ein Rad noch ein Auto hat, aber beides nutzen möchte und daneben auch Busse und Bahnen, kann auf das Hochbahn-Angebot SwitchHH zurückgreifen, die Kombination von öffentlichen Verkehrsmitteln mit Carsharing und Stadträdern. Die Umgebungskarte der HVV-App zeigt neben dem Streckennetz, wo Stadträder und Carsharing-Autos verfügbar sind. Die Flotte besteht aus 1500 Autos von den Anbietern Car2go, DriveNow und Cambio.

Noch vieles im Argen

So ungemein praktisch die neue Smartphone-Welt sein mag – aus Sicht der Nutzer liegt trotzdem noch vieles im Argen. Beispiel HVV-App: Im Google Play Store, wo man das Programm für Android herunterladen kann, sind für die App rund 6000 Bewertungen abgegeben worden. Rund 2500-mal vergaben Nutzer bisher fünf Punkte, die Bestnote. Fast 1000-mal gab es aber nur einen Punkt, verbunden mit diversen Verbesserungsvorschlägen. Durchschnittsnote: 3,6 Punkte. Auch andere Mobilitäts-Apps ernten neben Lob reichlich Kritik, insbesondere beim Thema Datenschutz.

Letzteres hat damit zu tun, dass viele Apps diverse Zugriffsrechte auf das Smartphone verlangen, vom Speicher über den Standort bis zur Kamera. Für die HVV-App wird im Play Store immerhin erklärt, wofür die Berechtigung „Kontaktdaten lesen“ dient: Man kann die Namen von Kontakten in die Fahrplanauskunft eingeben, woraufhin die HVV-App die im Smartphone zu den Kontakten hinterlegte Adressen ausliest und diese etwa als Zielort anbietet.

„Alles oder nichts-Mentalität“

Bei anderen Apps dagegen bleibt es völlig unklar, wozu bestimmte Berechtigungen dienen. Zwar kann man App-Berechtigungen im Betriebssystem Android ab Version 6 und bei iPhones deaktivieren. Unter Umständen funktionieren die Programme dann aber nicht mehr richtig. Diese „Alles oder nichts-Mentalität“ vieler App- und Diensteanbieter sei ein großes Problem, sagt Johannes Caspar, der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz.

„Brauchen wir wirklich für alles eine App?“, fragt der Soziologe Nils Zurawski von der Universität Hamburg. Befürworter der Digitalisierung argumentierten zwar, je mehr Daten wir über uns und die Welt hätten, desto besser würden wir verstehen, was uns wichtig sei, desto besser könnten wir auf Probleme reagieren. Und das Smartphone sei unser Steuerknüppel. Zuraws­ki hat da seine Zweifel. „Dass der Nutzen von Big Data sei, vieles praktischer zu machen, ist kein Grund, auf Freiheit und Selbstbestimmung zu verzichten.“ Er würde lieber das Risiko des Irrtums in Kauf nehmen, als sich nur noch von Datenanalysen leiten zu lassen.