Hamburg. Der italienische Sänger begeisterte in der Elbphilharmonie mit seinen Songs. Warum dennoch eine Distanz zum Publikum blieb.

Seine graue Hose ist etwas zu groß und ziemlich verbeult, aber Äußerlichkeiten sind Paolo Conte egal. Seinem Publikum sicher auch. Als der 80-Jährige auf die Bühne der Elbphilharmonie kommt, wird er von den 2100 Zuschauern mit frenetischem Beifall begrüßt, bevor er überhaupt eine einzige Note gesungen hat.

500 Euro für ein Schwarzmarkt-Ticket

Von Beginn an ist klar, dass an diesem Abend ein Publikum in den Großen Saal gekommen ist, um einzig und allein diesen italienischen Ausnahmekünstler zu erleben und sich von ihm und seiner Musik verzaubern zu lassen. Um einfach einmal den Saal zu erleben, wie gerade bei Lambchop geschehen, waren die Karten zu teuer. Am Tag des Konzertes wurden auf dem Schwarzmarkt noch Preise von mehr als 500 Euro verlangt.

Die neunköpfige Band, alle in adretten Anzügen, hat schon Position bezogen, als Conte sich beim ersten Chanson hinters Mikro stellt und mit seiner unnachahmlichen angerauten Stimme zu singen beginnt. Seine Handbewegungen unterstreichen den Text. Schon bei der nächsten Nummer nimmt er hinterm Flügel Platz. „Sotto le stelle del jazz“ heißt die Ballade, in der die englische Zeile „I whisper, I love you“ vorkommt. Es wird der einzige Satz in einer anderen Sprache sein, Conte ist ein Poet, der an diesem Abend ausschließlich in Italienisch singt oder spricht.

Er trifft mitten ins Herz

Ähnlich wie der jüngst verstorbene Grandseigneur Leonard Cohen ist Conte ein Künstler, der über keine ausgebildete Stimme verfügt. Sein sonores Organ transportiert Stimmungen und Gefühle und trifft seine Zuhörer mitten ins Herz – auch wenn sie der italienischen Sprache nicht mächtig sind. Er erzählt Geschichten von Menschen, von Liebschaften, von Spaziergängen. Seine Lieder wecken Assoziationen, man kann sich mit ihnen hineinträumen in eine verhangene Spätsommerstimmung oder eine Wanderung durch die Weinberge des Piemont, wo er vor 80 Jahren geboren wurde. Immer umflort Melancholie die Lieder dieses Singer-Songwriters, Conte gehört zu den Romantikern unter Italiens populären Vokalisten. Manchmal reicht eben auch Sprechgesang aus, um das richtige Gefühl rüberzubringen. Das Publikum verfolgt den Vortrag Contes mit großer Konzentration und spendet nach jedem Song begeistert Beifall.

Jedes einzelne Instrument ist zu hören

Musikalisch bieten Conte und seine versierte Band, mit der er seit vielen Jahren gemeinsam musiziert, ein breites Spektrum an Stilen. „Come di“ zum Beispiel ist eine Jazznummer mit enormem Swing. Die drei Gitarristen Nunzio Barbieri, Luca Enipeo und Daniele Dall’omo entfalten einen Drive im Stile von Django Reinhardt, Schlagzeuger Daniele Di Gregorio treibt das vor ihm sitzende Trio noch an. Dass der Sound glasklar rüberkommt und fein abgestimmt ist, gehört in der Elbphilharmonie zu den Selbstverständlichkeiten.

Jedes einzelne Instrument ist genau zu hören, Fehler darf man sich bei so einer Akustik nicht leisten, aber die passieren Contes Band nicht. Jeder Einzelne ist ein exquisiter Könner, einige sogar an unterschiedlichen Instrumenten wie Massimo Pitzianti, der Bandoneon, Klarinette, Saxofon und Klavier beherrscht oder Claudio Chiara, der zwischen Saxofon, Flöte, Keyboard, und Akkordeon wechselt. Akkordeon und Bandoneon spielen eine wichtige Rolle in Paolo Contes Songs, denn auch der Tango ist ein wesentliches Element seines Repertoires.

Eine Plaudertasche ist er nicht

Dann werden die Lieder schwelgerisch wie „Argentina“ von seinem Album „Snob“. Selbst schmalzige Balladen erlaubt sich der Sänger. Geiger Piergiorgio Rosso spielt dann extra viel Vibrato und lässt seine Violine wimmern.

Aber selbst diese Schnulzen fügen sich perfekt in den Ablauf des zweistündigen Konzertes inklusive einer halbstündigen Pause, weil die Dramaturgie des Abends stimmt. Der zweite Teil beginnt zum Beispiel mit einem furiosen Conga-Solo und einer feurigen Latin-Nummer, beim nächsten Stück wird das Tempo wieder komplett rausgenommen, und Conte zeigt sich als Meister des Sprechgesangs, bevor es mit „Via con me“ weitergeht. Diesen zum Klassiker gewordenen Song aus dem Jahr 1981 erkennen viele im Auditorium wieder, nach den ersten Takten ein kurzer Beifall. Später wird Conte den Song in der Zugabe erneut anstimmen, und dann singen sogar einige seiner Fans zaghaft mit.

Eine Plaudertasche ist Paolo Conte nicht gerade, das verbindet ihn mit Bob Dylan. Ab und an nennt er den Namen eines Musikers, wenn dieser gerade mit einem Solo geglänzt hat, ansonsten spricht er nicht mit dem Publikum. Dadurch bleibt eine gewisse Distanz gewahrt, die vielleicht verhindert, dass man die Elbphilharmonie restlos begeistert verlässt. Ach ja, und „Azzurro“ gab es auch nicht zu hören. Aber die Hymne hat Conte ja auch für Adriano Celentano geschrieben.