Hamburg. Der Dramatiker und Regisseur René Pollesch inszeniert sein neues Stück „Ich kann nicht mehr“ – der Titel weckt Assoziationen.

Das ist doch mal ein klarer, kompromissloser Titel: „Ich kann nicht mehr“ nennt René Pollesch sein neues Stück, das er wie immer persönlich im Schauspielhaus zur Uraufführung (25. Februar) bringt. Der Titel weckt Assoziationen, lässt an Überforderung im Beruf, in der Liebe in der Gesellschaft denken. „Davon handelt der Abend nicht, aber es gefällt mir, dass das alles mitschwingt“, sagt René Pollesch in der Schauspielhauskantine. Er ist bester Laune, trägt eine leicht verwohnte Lederjacke. „Viele sagen ja ,Ich kann nicht mehr‘, machen aber trotzdem weiter. Wenn man den Satz ernst nähme, müsste man ja alles anhalten.“ Davon handelt dieser Abend, wie gesagt, nicht.

Wovon er handelt, ist gar nicht so einfach zu beschreiben. Wer mit René Pollesch über mehrere Zigarettenlängen ein Gespräch über seinen neuen Theaterabend führt, erhält eine Menge präzise formulierte Ideen und Impulse – eine geradlinig verlaufende Handlung mit einem Plot und von Schauspielern verkörperte Figuren erhält er nicht. Pollesch arbeitet anders, er verbindet Alltagsbeobachtungen und philosophische Gedanken zu einem episodischen Abend. Gerade weil er sich diese Freiheiten nimmt, ist jedes Gespräch mit ihm sehr anregend, den Geist beflügelnd.

Pollesch beschäftigt sich mit dem Missverstehen

Als „Radikaldenker“ hat das „SZ Magazin“ den Autor und Regisseur René Pollesch (54) bezeichnet. Pollesch wurde 1999 Haus­autor am Theater ­Luzern und ein Jahr später am Hamburger Schauspielhaus. Bei der „Theater heute“-Kritikerumfrage wurde er 2002 zum besten deutschsprachigen Dramatiker gekürt.  Er arbeitete regelmäßig u. a. an der Berliner Volksbühne und am Wiener Burgtheater.
Als „Radikaldenker“ hat das „SZ Magazin“ den Autor und Regisseur René Pollesch (54) bezeichnet. Pollesch wurde 1999 Haus­autor am Theater ­Luzern und ein Jahr später am Hamburger Schauspielhaus. Bei der „Theater heute“-Kritikerumfrage wurde er 2002 zum besten deutschsprachigen Dramatiker gekürt. Er arbeitete regelmäßig u. a. an der Berliner Volksbühne und am Wiener Burgtheater. © picture-alliance/ dpa | dpa Picture-Alliance / Bernd Wei

Pollesch findet zunächst anderthalb Jahre vor der Premiere einen Titel für sein neues Stück, dann einen Bühnenbildner, hier den großen Zadek-Meister Wilfried Minks, bespricht inhaltliche Ideen mit ihm und lässt ihn dann erst mal machen. Später reagiert Pollesch mit den Darstellern auf das Bühnenbild und auf vorbereitete aber noch flexible Texte. Im Ergebnis geht diese Strategie – wie zuletzt bei „Rocco Darsow“ im Malersaal – auf und führt zu klugen, irrwitzigen Theatererlebnissen.

Anknüpfend an „Rocco Darsow“ ­beschäftigt Pollesch auch im neuen Stück die zwischenmenschliche Kommunikation, das Verstehen – natürlich auch das Missverstehen. „Was auch ­immer ich mit meinem Kopf anstelle, in Sprache verpacke und an ein Gegenüber sende, wird dort irgendetwas vollständig anderes auslösen“, beschreibt er seine Grundidee. Vielleicht sei es aber manchmal auch von Vorteil, den jeweils anderen nicht genau zu verstehen ...

Der Chor hat die Rolle eine Störfaktors

Sachiko Hara, Bettina Stucky und die großartigen Castorf-Darsteller Kathrin Angerer und Daniel Zillmann von der Berliner Volksbühne sehen sich in „Ich kann nicht mehr“ einem Chor aus 18 Frauen gegenüber. „Der ist ziemlich laut“, sagt Pollesch. Verwirrungen und Missverständnisse bleiben da nicht aus. Manchmal sind es kurze Begebenheiten und Beobachtungen, die den Dramatiker und Regisseur auf Ideen bringen. Da ist etwa die Szene mit einem Mann, der in seiner WG am Morgen stets von seinem Mitbewohner angesprochen wird, während er gerade die lärmende Kaffeemühle bedient, eine Kommunikation ­also unmöglich ist. „Bei uns funktioniert der Chor fast wie eine zu laute Kaffeemühle“, erklärt Pollesch. Er habe die Rolle eines Störfaktors. „Wir üben uns in Versuchen miteinander zu sprechen und freuen uns, wenn das gelingt.“ Aber häufig tut es das eben nicht.

Viel weiter möchte sich der Theatermacher nicht in die Karten schauen lassen. Schließlich wird bis zuletzt an dem Stück gefeilt. Pollesch arbeitet sich grundsätzlich nicht an Klassikern wie Shakespeare oder Ibsen ab, lieber wirft er mithilfe kluger Denker, darunter der Psychoanalytiker Jacques Lacan und der Philosoph Alain Badiou, einen Blick auf die Gegenwart.

Einfache Wahrheiten interessieren ihn nicht

Obwohl er ein politischer Autor ist, würde er nie tagesaktuell arbeiten. „Ich bin trotzfrigide. Ich kann kein Stück über Trump machen. Da gibt es nur einfache Wahrheiten“, so Pollesch. Und die interessieren ihn nicht. Die US-Gesellschaft sei sexistisch und rassistisch, aber nicht erst seit Trump: „Das war in den USA auch schon vor ihm so.“

Popkulturelle Referenzen spielen bei Pollesch immer eine Rolle. In diesem fast reinen Frauenstück werden die Besucher Zitate des Filmklassikers „Gloria, die Gangsterbraut“ von John Cassavetes erkennen. Frauen, die etwas zu sagen haben, von Sophie Rois bis ­Catrin Striebeck, hat René Pollesch stets gekonnt in Szene gesetzt.

Auf den unermüdlichen René Pollesch, so viel steht fest, trifft der Satz „Ich kann nicht mehr“ auf jeden Fall nicht zu.

„Ich kann nicht mehr“ Uraufführung 25.2., 20.00, Schauspielhaus, Kirchenallee 39,
Karten 10,- bis 49,- unter T. 24 87 13;
weitere Termine: www.schauspielhaus.de