Hamburg . Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies findet im Abendblatt-Interview deutliche Worte zum Verhältnis zu Hamburg.

Tritt Hamburg gegenüber Niedersachsen zu eitel und ignorant auf? Olaf Lies (SPD) meint Ja – und das will er sich nicht gefallen lassen. Er fordert eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe – vor allem bei maritimen Themen. So lehnt er die von Hamburg geplante Elbvertiefung nicht ab, mindestens genauso wichtig ist ihm aber eine enge Kooperation der norddeutschen Häfen untereinander. Im traditionsreichen Hamburger Hafen-Klub – direkt an der Elbe – traf das Abendblatt auf einen gelösten, selbstbewussten Gast aus Hannover. Ob Niedersachsen Hamburg womöglich bei der Suche nach ökologischen Ausgleichsflächen hilft, damit die Elbvertiefung endlich starten kann? Das werde nicht einfach, sagt Lies.

Herr Lies, wo haben Sie von dem Urteil zur Elbvertiefung erfahren?

Olaf Lies: Ich war beruflich im Harz unterwegs.

Und was war Ihr erster Gedanke?

Dass das Urteil keine wirklich klare Botschaft ist.

Inwiefern?

Die Richter haben grundsätzlich Ja zur Elbvertiefung gesagt, was ich deutlich begrüße. Auch deshalb, weil wir selbst ein Ja für unsere Vorhaben an der Weser und der Außenems brauchen. Aber das jetzige Urteil ist eben kein klares Ja für den Zeitplan und die Umsetzung. Das Verfahren wird sich hinziehen - drei Jahre wären nicht ungewöhnlich. Ich kenne die Auswirkungen solcher Urteile von vielen Verfahren, die wir in Niedersachsen haben.

Wie stehen Sie zur Elbvertiefung – ist sie aus Ihrer Sicht notwendig?

Ich würde mich nie gegen die Fahrrinnenanpassung der Elbe aussprechen. Ich weise nur darauf hin, dass diese Maßnahme allein die eigentlichen Pro­bleme nicht lösen wird. Die Fahrrinnenanpassung ist ein gutes Vorhaben, damit der Hamburger Hafen für den Moment wettbewerbsfähig bleibt. Aber sie ist keine Lösung für die Herausforderungen, denen sich der Hamburger Hafen in Zukunft bei immer größer werdenden Schiffen stellen muss. Ich rede hier aber nicht nur allein über Hamburg, sondern habe den ganzen Norden im Blick.

Wie meinen Sie das?

Hamburg ist auch für Niedersachsen ein wichtiger Hafenstandort. Im Hamburger Hafen arbeiten Zehntausende Menschen, die in Niedersachsen wohnen. Und zusätzlich hängen zahlreiche Arbeitsplätze in Niedersachsen am Hamburger Hafen. Deshalb bin der Letzte, der ein Interesse daran hätte, diesen Hafen zu schwächen. Was ich tue, ist Folgendes: Ich werbe für eine Hafenkooperation. Und zwar, weil wir Perspektiven brauchen, wie wir alle Arbeitsplätze, die am Hafen hängen, erhalten können. Das bedeutet: Selbst wenn die Elbvertiefung irgendwann kommt, wird das nicht die Notwendigkeit ersetzen, enger zusammenzuarbeiten.

Sie haben nach dem Urteil vor regionalem Kirchturmdenken gewarnt. Wer sitzt aus Ihrer Sicht im Kirchturm? Hamburgs Bürgermeister?

Man muss sehen, wie diese Aussage von mir entstanden ist. Der Hauptgeschäftsführer der Hamburger Handelskammer hat den Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven schlechtgeredet – dieser sei angeblich nicht gut an das Hinterland angebunden. Das ist für mich – und ich wiederhole das – Ignoranz und Eitelkeit. Hafenpolitik in Deutschland darf nicht Kirchturmpolitik der Bundesländer bleiben. Wir können es uns nicht erlauben, dass sich jeder nur auf seinen eigenen Bereich fokussiert. Vor allem wenn wir sehen, wie unsere eigentliche Konkurrenz in Rotterdam oder Antwerpen wächst.

Nun reden die Ministerpräsidenten im Norden doch relativ oft miteinander. Muss in Sachen Hafen trotzdem besser zusammengearbeitet werden?

Ja. Die Länder kooperieren in vielen Punkten – zum Beispiel in der Luftfahrt – sehr gut. Am schlechtesten funktioniert die Zusammenarbeit aber in der maritimen Wirtschaft. Das ist kein ausschließlicher Vorwurf an die Politik. Auch die Hamburger Hafenwirtschaft muss sich die Frage gefallen lassen, ob sie in Wilhelmshaven nur einen Konkurrenten sieht. Warum versteht sie den dortigen Hafen nicht stattdessen als eine Chance, die norddeutsche Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ausländischen Häfen zu verbessern?

Sie sprechen von „Ignoranz“ und „Eitelkeit“ in der Kommunikation. Sind die Hamburger den Niedersachsen gegenüber ignorant und eitel?

Wenn die Stadt ihr Umland betrachtet, dann lautet der Grundsatz oft: Ihr profitiert doch von unserer Stärke. Dass Hamburg umgekehrt auch von der Stärke des niedersächsischen Umlands profitiert, wird gerne übersehen. Manchmal werden in Hamburg Infrastruktur-Entscheidungen getroffen, die zum Beispiel bei uns im Alten Land für Verkehrschaos sorgen. Es gibt in diesem Punkt keine Abstimmung mit uns. Das ist für mich schon Ignoranz. Die Ansiedlung der Raststätte Seevetal an der Autobahn A 1 ist auch so ein Beispiel. Da sagt Hamburg: Wir benötigen unsere Flächen für Logistikunternehmen, den Rastplatz können wir deshalb nach Niedersachsen abschieben. Das ist Ignoranz und Eitelkeit. Unsere klare Botschaft lautet hier: Die Raststätte muss in Hamburg gebaut werden. Wir Niedersachsen sind nicht Hamburgs Dienstleister und schon gar nicht Hamburgs Bittsteller.

Läuft das mit Bremen anders?

Na ja. Hamburg ist schon eine Perle. Ein deutlich größeres wirtschaftliches und politisches Kraftzentrum als Bremen, das muss man sehen. Aber ja, die Zusammenarbeit und Kommunikation mit Bremen läuft schon anders – und auch besser. Und damit meine ich ausdrücklich nicht nur, dass der JadeWeserPort ein Gemeinschaftsprojekt mit Niedersachsen und Bremen ist – leider ohne Hamburger Beteiligung.

Nun benötigt Hamburg laut Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ökologische Ausgleichsflächen, um die Elbvertiefung realisieren zu können. Wird Niedersachsen helfen und Flächen ausweisen?

Das wird zurzeit auf Fachebene kons­truktiv besprochen und vorbereitet. Aber klar ist: Einfach wird’s nicht. Wir brauchen schon sehr viele Ausgleichsflächen für unsere eigenen Infrastrukturprojekte in Niedersachsen. Ich nenne hier nur das Schienenprojekt Alpha und die großen Autobahnprojekte A 20, A 39 und A 26, von denen übrigens nicht zuletzt Hamburg profitiert.

Sie haben der Hamburger Handelskammer Falschinformationen vorgeworfen, weil sie behauptet hat, der Tiefwasserhafen verfüge über eine schlechte Hinterlandanbindung. Aber im Vergleich zu Hamburg ist diese Anbindung doch tatsächlich deutlich schlechter, oder?

Nein, das ist sie nicht. In Hamburg gibt es doch kaum noch Perspektiven für eine Verbesserung der Hinterlandanbindungen, weil die Verkehrswege überfüllt sind. Das betrifft die Autobahnen ebenso wie die Schienenwege. Wenn es also darum geht, künftig größere Mengen an Waren wegzuschaffen – und mit den neuen Containerriesen wachsen die Volumina –, dann ist Wilhelmshaven mit seiner noch geringen Auslastung bestens geeignet. Das ist ja die Crux und gleichzeitig die Chance für Wilhelmshaven: Wir haben die Schienenwege und eine direkte Autobahnanbindung, beides ist aber nicht ausgelastet. Es ist also noch jede Menge Luft nach oben.

Die Reeder scheinen von Wilhelmshaven nicht überzeugt zu sein. Der JadeWeserPort schlägt gerade einmal 482.000 Container im Jahr um, Hamburg rund neun Millionen Container.

Der Start eines Hafens ist immer extrem schwierig. Und die Startphase fällt in eine Zeit, in der der Umschlag nicht so stark wächst wie früher. Wir hatten deshalb bisher nur zwei Reeder, die Wilhelmshaven anlaufen. Das ändert sich aber jetzt. Die Ocean Alliance mit CMA CGM, Cosco Container Lines, Evergreen und OOCL wird künftig ebenso Wilhelmshaven ansteuern wie Hamburg Süd und Hyundai, die in der Alliance mit Maersk und MCS fahren. Das heißt also: Wir haben jetzt acht Reedereien statt bisher zwei. Das ist ein starkes Signal für Wilhelmshaven.

Und Hamburg soll jetzt Ladung an Wilhelmshaven abgeben?

Eben nicht. Hamburg soll nicht auf Ladung verzichten, damit Wilhelmshaven mehr bekommt. Aber schauen wir uns an, was derzeit passiert: Im vergangenen und in diesem Jahr kommt eine große Zahl von Containerriesen neu auf den Markt. Schiffe, die 18.000 bis 20.000 Container laden können. Ob der Markt das aktuell braucht, steht gar nicht zur Debatte. Die Schiffe sind bestellt, sie werden gebaut und ausgeliefert – und sie fahren. Und wir in Norddeutschland müssen uns die Frage stellen, wie wir damit klug und effizient umgehen können. Und wenn man das ehrlich hinterfragt, dann kommt man zu dem Schluss, dass die Verkehrsprobleme Hamburgs in der Zukunft unabhängig von der Tiefe der Fahrrinne nicht kleiner werden. Also sollten wir überlegen, wie wir mit einer klugen Verzahnung und Vernetzung der Häfen in Norddeutschland der ausländischen Konkurrenz etwas entgegensetzen. „Weniger Container für Hamburg“ – darum geht es nicht. Mein Ziel lautet: „Mehr Container für Deutschland“. Und meine Frage an Hamburg lautet: Erreichen wir dieses Ziel, wenn es beim Kirchturmdenken bleibt?

Wie genau stellen Sie sich eine norddeutsche Hafenkooperation vor?

Die Digitalisierung schreitet weltweit voran, mit ganz neuen Herausforderungen und Möglichkeiten. Es werden sich komplett neue Geschäftsmodelle entwickeln, das gilt auch für die Hafenwirtschaft und die Reedereien. Ich plädiere für eine digitale Plattform, auf der wir allen Reedereien und Logistikern weltweit den „Hafen Norddeutschland“ anbieten. Aber wir brauchen mehr als nur gemeinsame Vermarktung. Ich plädiere für geschlossene Logistikketten zwischen Hamburg, Bremerhaven und Wilhelmshaven, auf See und an Land. Dann fährt künftig kein Reeder mehr an Norddeutschland vorbei, weil er einen bestimmten Hafen nicht mit seinen Schiffen erreichen kann.

Hamburgs Politiker sagen, dass man den Verladern – also Kunden und Spediteuren – nicht vorschreiben kann, in welchem Hafen ihre Ladung umgeschlagen werden soll. Sehen Sie das anders?

Natürlich nicht. Es macht keinen Sinn, den Reedern vorzuschreiben, wo sie ihre Ladung hinbringen sollen. Das funktioniert nicht. Aber darum geht es nicht, sondern vielmehr darum, dem internationalen Handel das optimale Umschlagangebot zu unterbreiten. Und das sollte möglichst nicht in Rotterdam oder Antwerpen sein. Wenn ich Hamburg, Bremerhaven und Wilhelmshaven anbieten kann, und diese Häfen auch noch untereinander vernetzt sind, ist die Chance einfach größer, die Ladung in den Norden zu bekommen. Deshalb müssen sich alle an einen Tisch setzen und auch die nächste Stufe zum Ausbau des Jade-Weser-Ports planen. Das muss ein Signal sein, das von Hamburg, Bremen und Niedersachsen gemeinsam ausgeht. Wir treten dabei gerne in Vorleistung und erarbeiten einen Konzeptvorschlag für einen digitalisierten „Hafen Norddeutschland“.

Wann wird Wilhelmshaven Hamburg bei der Ladung überholen?

Das sehe ich erst mal nicht. Und noch mal: Darum geht es auch nicht. Selbst mit einer zweiten Ausbaustufe könnte Wilhelmshaven maximal sieben Millionen Container im Jahr umschlagen. Das wäre immer noch ein gutes Stück von Hamburg entfernt. Und wir müssen in Wilhelmshaven ja erst einmal eine Million Container schaffen – hoffentlich im nächsten Jahr.