Hamburg. Das Reformations- ist auch ein Kulturjahr: 1500 Laien-Sänger feiern in Hamburg ein Chor-Happening beim Luther-Oratorium.
Schuldiakonin Patricia von Massenbach-Wahl steht gemeinsam mit ihrer Tochter Hanna-Luise auf der Bühne in der Barclaycard Arena. Die beiden tragen weiße Blusen und strahlen, die Augen leuchten, als alle 1500 Chorsänger aus vollen Kehlen „L-u-t-h-e-r“ singen. Das ist der erste Hit des Abends bei der Hamburger Aufführung des Luther-Oratoriums. Die Musik stammt von Dieter Falk, das Libretto von Michael Kunze aus Hamburg.
Das Werk mit rockigen Rhythmen, virtuosem Gitarrensound, Gospel-Hymnen und alten Chorälen wird an mehreren bundesweiten Veranstaltungsorten in Kooperation mit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) aufgeführt und von der Stiftung Creative Kirche organisiert. „Für uns ist das der beste Auftakt zum 500. Jahrestag der Reformation“, sagt Hamburgs und Lübecks Bischöfin Kirsten Fehrs, die zu den Zuschauern gehört. Im Mittelpunkt der Mönchsstory, die ohne Bühnenbild auskommt, steht Martin Luthers legendärer Auftritt vor dem Reichstag in Worms im Jahr 1521 und sein mutiger Kampf gegen vermeintliche Autoritäten.
9000 Besucher in der Halle
Es ist Sonnabend, gegen 12 Uhr, als ein Bus an der Barclaycard Arena hält. 47 Alsterfrösche und ihre Leiterin Sigi Hennig steigen aus. Sie gehen zum Eingang E 2 – und warten mit vielen anderen Laien-Sängern, die aus Hamburg und Umgebung eintreffen. Aber die Türen zur Arena sind verschlossen. Die Frösche frösteln.
Nach mehr als einer halben Stunde macht es endlich Klick. Die Türen gehen auf, die Security-Leute stehen bereit zur Taschen- und Personenkontrolle. Danach dürfen die Alsterfrösche mit den anderen 26 Hamburger Chören und den zahlreichen Einzelsängern endlich für ihren Aufritt beim Pop-Oratorium Luther proben. Fast vier Stunden lang.
Während HSV-Anhänger beim Spiel gegen Freiburg im Volksparkstadion mitfiebern, strömen Tausende Luther-Fans in die Nachbar-Arena. Als das Konzert um 19 Uhr losgeht, sitzen 9000 Besucher in der Halle. Das Projekt der 1500 Stimmen, die einzige Aufführung in Hamburg, beginnt. Zum musikalischen Konzept gehört es, dass der Chor neben den zwölf Darstellern stimmgewaltig und vor allem häufig zum Einsatz kommt. „Der Chor“, sagt Komponist Dieter Falk, „hat eigentlich die Hauptrolle.“ Jeder, der mitmachen wollte, konnte ganz ohne Casting teilnehmen. Die älteste Sängerin ist 82, die jüngste acht Jahre alt. „Die Wahrheit ist ein scharfes Schwert“, schallt es durch die Arena. Das Publikum klatscht Beifall.
Familienkonzert für Konfessionslose
Die Rahlstedter Jutta und Michael Scholz sitzen im Block 7 und hören begeistert zu. „Das Orchester, der Hauptdarsteller Frank Winkels, der Chor, der Gitarrist sind spitze“, sagen die beiden. Das Ehepaar ist auch deshalb hier, weil eine Freundin mitsingt.
Viele andere Zuschauer sind vor allem deshalb in die Arena gekommen, weil sich ein Familienmitglied bei diesem kulturellen Projekt zum Reformationsjubiläum engagiert. So ist das Luther-Oratorium nicht nur ein Chor-Happening, es ist ein großes Fami- lienkonzert für Konfessionslose, für Lutheraner und Katholiken gleichermaßen.
Wir sind alle Gottes Kinder
Mittendrin im Auditorium sitzt Komponist Falk. Er trägt eine Lederjacke und ist wie immer gut gelaunt, aber ein bisschen angespannt. Es ist die sechste Aufführung seines Werkes. Nach Hamburg tourt die Creative Kirche durch die Lande – bis zum Deutschen Evangelischen Kirchentag in Wittenberg, wo im Jahr 1517 mit Martin Luthers Thesenanschlag alles begann.
In seinem Düsseldorfer Tonstudio hatte Falk die Musik komponiert, „danach schrieb Michael Kunze das Libretto“. Der Hamburger und der Rheinländer arbeiten schon längere Zeit zusammen. So stammt das Pop-Oratorium „Die 10 Gebote“ aus ihrer Kreativwerkstatt. „Wir wollen keine Luther-Biografie erzählen“, sagt Dieter Falk. Vielmehr gehe es darum, die Aktualität von Luthers Denken und Handeln zu zeigen. „Es geht auch heute um die menschliche Freiheit und die Erkenntnis, dass wir alle Gottes Kinder sind.“
Und so schmettert der Chor „Ich will selber denken.“ Klatschend klingt es zum Finale: „Wir sind Gottes Kinder.“ Die Kraft der 1500 Stimmen und die Akustik der Halle scheinen bei Akteuren und Zuschauern energetische Ströme freizusetzen.
Erschöpfter Komponist
Mehr als 20-mal hat der Chor am Ende gesungen. „Es war eine super Stimmung“, schwärmt Hanna-Luise Freiin von Massenbach vom Projektchor der Evangelischen Stiftung Alsterdorf. Und Chorsängerin Antonia Meyer sagt: „Für uns Alsterfrösche war es etwas ganz Neues, in einer großen Arena zu singen.“
Die Rahlstedter Zuschauerin Jutta Scholz ist begeistert: „,L-u-t-h-e-r‘ werde ich wohl die ganze Nacht singen.“ Nur einer muss erst mal wieder Abstand gewinnen von diesem Werk. Es ist der Komponist höchstselbst. „Nach jeder Aufführung fühle ich mich wie gemolken.“