Hamburg. Seit dem Brexit fünfmal so viele Anträge auf Einbürgerung in Hamburg. David Pritchard ist einer von ihnen.

Da ist ein Kribbeln, das ein ruhiger Gentleman nicht oft hat. Noch zwei Tage. Sie werden den Festsaal schmücken, Fahnen aufstellen, vielleicht spielen sie die Nationalhymne, das weiß David Pritchard noch nicht genau. „Aber es wird ein ganz besonderer Moment“. Olaf Scholz wird ihm die Hand schütteln. Und dann ist David Pritchard offiziell ein anderer. Einer von uns, wenn man so will.

Über sein höfliches Gesicht huscht ein Lächeln. „Meine Mutter in Großbritannien versteht es noch nicht so ganz“, sagt David Pritchard. Warum um Himmels Willen er das macht, sich einzubürgern. Ein „stupid german“ zu werden, und dafür auch noch Mühe auf sich zu nehmen. Der 47-Jährige hat den Entschluss schon vor dem Brexit gefasst, aber der EU-Austritt seiner Heimat hat ihn bestärkt: „Es ist einfach nicht klar, wie sich alles ändern wird.“

Regeln für die Einbürgerung

Mit seiner Entscheidung steht er gewiss nicht allein – im Jahr 2016 hat sich die Zahl der Einbürgerungsanträge von Briten in Hamburg mehr als verfünffacht. 280 Menschen beantragten die deutsche Staatsbürgerschaft, nach nur 52 Anträgen im Jahr 2015. „Das ist mutmaßlich durch den Brexit getrieben“, sagt Norbert Smekal, Sprecher der Ausländerbehörde. Solche Wellen erfährt die Stadt immer wieder.

Lange Zeit ließen sich insgesamt am meisten Türken einbürgern, derzeit sind es Afghanen, die nach der Einbürgerung beide Pässe behalten dürfen (siehe Info unten). Insgesamt 6606 Menschen wurden im vergangenen Jahr in Hamburg zu Deutschen, bereits knapp 35.000 Menschen seit dem Jahr 2012. Einige Hundert wie David Pritchard werden am Freitag an der Einbürgerungsfeier teilnehmen.

Kein leichter Weg

Es ist in der Regel keine leichte Entscheidung und kein leichter Weg dorthin. „Die Deutschen wollen erst genau wissen, wem sie ihre Staatsbürgerschaft geben“, sagt David Pritchard. Und es kostete etwa 500 Euro, allen Papierkram zu erledigen. Der Rest war wie so oft eine Mischung aus Zufall, Schicksal und Familie: „Das Leben machte mich zum Deutschen“. Aber der Reihe nach.

Am Anfang wollte er nicht so viel von Deutschland wissen, suchte eher einen anständigen Pub. Vor 20 Jahren schickte sein Arbeitgeber David Pritchard nach Hamburg – als Entwickler für Automobilteile sollte er ein Jahr bleiben, nicht länger. „Zumindest das Wetter war ja keine Umgewöhnung“, sagt David Pritchard. Der Rest der Stadt gefiel ihm, aber blieb auch fremd.

Pritchard war ein „Mischling“

Die Liebe änderte das. David Pritchard lernte seine damalige Lebensgefährtin kennen, sie bekamen einen Sohn. Bei Pritchard setzte ein Prozess ein, den er zuerst nicht bemerkte. „Ich war plötzlich von deutschen Nachrichten, deutschen Leuten, deutschen Gesprächen umgeben“. Es gibt aber Kollegen, sagt er, die in Hamburg nie richtig ankamen. Und er versteht, warum es teils ganze Generationen aus manchen Ländern nicht geschafft haben.

Er war ein „Mischling“, das merkte er irgendwann, als es nach ein paar Jahren in Deutschland zurück in die Heimat ging. Sie sagten, er spreche schon wie ein Deutscher, er habe ihren Humor. „Dabei wollen die Deutschen doch eigentlich immer nur so witzig sein wie die Briten, aber schaffen es nicht ganz“, sagt Pritchard und zieht die Mundwinkel spitz hoch.

Zum Arbeiten zurück auf die Insel

Kurzzeitig kehrte er zum Arbeiten auf die Insel zurück, aber sein Sohn zog ihn immer wieder nach Hamburg. „Heute bin ich Deutscher, Europäer, Brite – ohne Reihenfolge“, sagt der 47-Jährige. Im vergangenen Jahr entschied er sich schließlich und legte den Inte­grationstest zu deutscher Sprache, Kultur und jüngerer Geschichte ab.

Was sich nun ändern wird? „Ich darf wählen“, sagt David Pritchard sofort, das ist ihm wichtig. Als Deutscher findet er es gut und richtig, dass das Land Hunderttausende Flüchtlinge aufnahm. Als Brite kann er verstehen, dass seine Heimat kein Teil Europas mehr sein will. „Es ist eine stolze Nation, die sich traut, kritisch zu sein“. Der größte Vorteil seiner zwei Leben sei, auch zwei Blickwinkel zu besitzen.

Nachteile beim Fußballgucken

Die Nachteile merke er beim Fußballgucken. „Mein Herz ist ja doch noch etwas mehr britisch, da besonders“, sagt er. Bei jedem Turnier kostet es elend Kraft, nach dem obligatorischen Aus der Engländer für die Deutschen zu jubeln. „Ganz anzukommen ist ein ewiger Prozess“, sagt Pritchard.

Am Freitag, wenn die große Ehrung vorbei ist, gibt es noch eine kleine Privatfeier, mit Hausmannskost. Das Zertifikat wird einen Rahmen bekommen. „Es ist eine Ehre“. Und es muss ja alles seine Ordnung haben.