Hamburg. Höfesterben in Hamburg verschärft sich – Stadt kauft immer mehr Flächen. Der Bauernverband ist besorgt.
Wie viel Ackerland braucht die Metropole? Sollen zwischen Gewerbe- und Siedlungsgebieten im Ballungsraum größere Anbauflächen für die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln erhalten werden? Oder wäre es angesichts der immer härteren Konkurrenz um die knappen Flächen im innerstädtischen Raum sinnvoller, die Landwirtschaft mittelfristig aufs Land zu verbannen und den innerstädtischen Raum anders zu nutzen?
„Für praktisch jedes größere Bauvorhaben müssen wir kraft Naturschutzgesetz und Baugesetzbuch grüne Ausgleichsflächen schaffen“, sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD im Bezirk Mitte, Tobias Piekatz. „Aber uns geht das Land aus.“
Für die Bebauung innerstädtischer Grundstücke werden seit Jahren Ausgleichsflächen außerhalb Hamburgs angekauft. „Davon hat der Bürger aber nichts, weil das Grün für ihn nicht erlebbar wird“, sagt Piekatz.
Die SPD Mitte fordert deshalb, dass die Stadt Hamburg gezielt Grünland in der Stadt aufkauft, öffentlich zugänglich macht und dafür auch gute Preise zahlt. „Wir brauchen diese Grundstücke, wenn wir den Wohnungsbau weiter nach vorn treiben und den vorgeschriebenen Grünausgleich ortsnah schaffen wollen“, sagt Piekatz. Es laufe letztlich auf die Frage hinaus, ob den Städtern mit Landwirtschaft mehr gedient sei als mit öffentlichen Parkanlagen. Das müsse diskutiert und entschieden werden.
„Verdrängungsprozess in vollem Gange"
„Der Verdrängungsprozess ist längst in vollem Gange. Die Stadt ist seit Jahren systematisch als Aufkäufer von Flächen unterwegs“, sagen Bauernverbandspräsident Martin Lüdeke und sein Vorgänger Heinz Behrmann. Er fürchtet, dass es in 15 Jahren keine Hamburger Bauern mehr geben wird, wenn es so weiter gehe. „Die Stadt kriegt das Grünland in der Regel als erste angeboten, weil die Bauern wissen, dass die Stadt deutlich besser zahlt als der Landwirt von nebenan.“ Bauern würden je nach Ertragsfähigkeit und Lage 1,50 bis 3 Euro für Acker- oder Grünland geben, andere Käufer 4–6 Euro pro Quadratmeter. Obstanlagen werden höher bewertet, weil zusätzlich zum Grundpreis Baumbestand, Drainage, Einzäunung und Frostschutzberegnung bezahlt werden.
Laut Behrmann müsse das Naturschutzgesetz geändert werden. „Nicht der Landbesitz der Bauern ist die Wachstumsbremse in der Metropolregion, sondern der überzogene Naturschutz.“ Die rigiden gesetzlichen Forderungen nach Ausgleichsflächen seien nicht mehr zeitgemäß.
„Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt, dass die bäuerliche Existenz in Hamburg in Gefahr ist“, sagte Lüdeke. „Wer in der Stadt klassische Landwirtschaft betreiben will, ist hier falsch.“ Laut Statistischem Landesamt sank die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Hamburg seit 2013 um neun Prozent auf 620. Im Bundesdurchschnitt nahm die Zahl der Hofstellen nur um drei Prozent ab. Die Zahl der kleinen Hamburger Betriebe (bis zu fünf Hektar) ging überproportional um gut 12 Prozent zurück.
Unmerklicher Strukturwandel
„In Curslack waren wir mal 23 Bauern. Jetzt sind wir noch vier“, sagte Lüdeke. Der Ertrag pro Hektar sinke beständig. Die vorhandenen Betriebe würden zwar durchaus wachsen, in der Regel könnten sie das zusätzliche Land aber nur pachten. Von den derzeit 14.600 Hektar landwirtschaftlicher Fläche in der Stadt seien bereits 6000 im Eigentum der Stadt. Sie kaufe jedes Jahr um die 300 Hektar und mehr dazu. Von Bauern, die keinen Nachfolger finden, von Erben, die ihre Flächen nicht mehr selbst bewirtschaften, sondern verpachten, von Landwirten, deren Hof nicht mehr genug abwirft. In etwa 80 Prozent der Fälle bekomme die Stadt als „solventer Bieter“ den Zuschlag, sagte Lüdeke.
Der Strukturwandel vollziehe sich unmerklich, da die Stadt ihre Flächen in der Regel an Landwirte zurückverpachte. Es handele sich um „Vorratskäufe“. Auch wenn die Stadt das Land zu Ausgleichsflächen mache, würde es in der Regel noch in landwirtschaftlicher Nutzung bleiben und dem Bauern über ein Entgelt für die Grünpflege attraktive Verdienstmöglichkeiten bieten. Die klassische Landwirtschaft werde damit aber verdrängt. Auch, weil dem Bauern klar sei, dass er auf Pachtland nicht dauerhaft zugreifen und also nicht langfristig darauf setzen könne. „Das ist der Lauf der Dinge“, sagte Lüdeke. Fast jeder städtische Landwirt brauche zusätzliche Erwerbsquellen.
Von einer Verdrängung der Landwirtschaft und systematischen Landaufkäufen will die Stadt nichts wissen. Die Finanzbehörde habe sich laut Sprecher Daniel Stricker „mit dieser Frage nicht befasst“. Die Wirtschaftsbehörde verwies auf das 2014 beschlossene
„Agrarpolitische Konzept 2020“, das landwirtschaftliche Flächen erhalten will, soweit diese nicht „im Einzelfall für eine notwendige bauliche Entwicklung in einer wachsenden Stadt unerlässlich sind“.
Die Agrarwirtschaft solle gestärkt und gefördert werden, wobei ihr „Schwerpunkt nicht in der Landwirtschaft, sondern im zukunftsträchtigen Gartenbau“ liege. Laut Umweltbehörde hat die Hamburger Landwirtschaft zwar Tradition, stehe aber vor „strukturellen Herausforderungen“. Für einige Flächen stellten sich Fragen zur zukünftigen Nutzung. Stadt und Bauern stünden dazu in „konstruktivem Dialog“. Die Stadtentwicklungsbehörde erklärte drei behördliche Stellungnahmen für ausreichend und wollte dem nichts hinzufügen.
Doppelter Preis für Grünland
Behrmann warnte davor, die landwirtschaftliche Produktion in der Stadt aufzugeben. „Wir brauchen kurze Wege, auch wenn Transporte heute fast nichts mehr kosten.“ Das „Agrarpolitische Konzept 2020“ sei „nur Fassade“ und würde durch die Landankäufe der Stadt systematisch unterlaufen.
An einer öffentlichen Debatte über die Verdrängung der Bauern aber habe die Stadt als Aufkäufer kein Interesse, weil das die Preise für Land nur weiter in die Höhe treibe. Im Bereich Stapelfeld/Höltigbaum würden Privatleute schon spekulativ bis zu 30 Euro pro Quadratmeter Grünland zahlen – das Zehnfache des Üblichen. Auch im Süden werde wegen der Pläne für die A26, neue Logistikflächen, die Wilhelmsburger Reichsstraße und die Hafenquerspange deutlich mehr als der doppelte Preis für Grünland gezahlt.