Hamburg. Wie die Hansestadt in dieser Woche an die NS-Opfer erinnert – und an den ersten Kriegsverbrecher-Prozess im Curio-Haus.

Im Hamburger Curiohaus begann am 18. März 1946 der erste von 188 Kriegsverbrecher-Prozessen der britischen Militärregierung. Der Ankläger, Major Gerald Draper, trat im Gerichtssaal nach vorn und sagte: „Es ist die Behauptung der Anklage, dass wissentlich eine Ware geliefert worden ist an ein staatliches Organ, das die Ware zur Massenvernichtung ziviler alliierter Staatsbürger verwendet hat, und die Leute, die das Mittel dazu lieferten, waren Kriegsverbrecher.“

Hamburger Firma hat Zyklon B an Konzentrationslager geliefert

Angeklagt waren der Inhaber der Hamburger Firma „Tesch & Stabenow, Internationale Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung“, Bruno Tesch, sein Prokurist Karl Weinbacher und der Begasungstechniker Joachim Drosihn. Es brauchte gerade mal sieben Verhandlungstage, um zweifelsfrei zu belegen: Die Hamburger Firma hat Zyklon B, ein blausäurehaltiges Schädlingsbekämpfungsmittel, an mehrere Konzentrationslager geliefert, darunter ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.

Und zwar mit dem Wissen, dass dadurch ein Massenmorden möglich wird. Mit dem Gas wurden während der NS-Zeit mehr als sechs Millionen Menschen vernichtet – jedenfalls „mehr als die Schweiz Einwohner hat“, wie es der frühere Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau einmal gesagt hat.

Dokumentarstück über Zyklon B

An diesem Freitag, dem bundesweiten Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus, erinnert die Hansestadt an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. Während die Bezirksversammlung Wandsbek NS-Opfer aus der unmittelbaren Nachbarschaft ins Gedächtnis ruft, hat der Hamburger Künstler und Dramaturg Michael Batz ein Dokumentarstück über Zyklon B geschrieben. Im Rahmen einer szenischen Lesung rekapituliert er jenen Kriegsverbrecherprozess gegen die Todesgas-Lieferanten. Das Stück wird am Donnerstag im Hamburger Rathaus aufgeführt.

Es ist auch eine Sonderausstellung über die Curiohaus-Prozesse in der Hamburger Rathausdiele zu sehen. Die Ausstellung gibt einen breiten Überblick über die 188 durchgeführten Prozesse der Briten. Begleitet wird sie durch eine Reihe von Vorträgen, Führungen und eine Filmvorführung. Die Ausstellung läuft noch bis zum 12. Februar.

Ein Jahr lang hat Michael Batz an seinem inzwischen 18. Dokumentarwerk gearbeitet. Dafür nutzte er die Protokolle des ersten Curiohaus-Prozesses, 500 Seiten in englischer Sprache. Zahlreiche Zeugen belegten damals die Beteiligung von Tesch & Stabenow an den Verbrechen. Die Firma mit Sitz am Meßberghof stellte das Zyklon nicht selbst her, sondern verantwortete den Vertrieb im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung.

Lichtkünstler Michael Batz
Lichtkünstler Michael Batz © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Zyklon B galt zunächst als probates Mittel, um Massenunterkünfte, aber auch Schiffe mit einer sogenannten Durchgasung zu desinfizieren und von Ungeziefer zu befreien. Dass es binnen zwei Minuten bei Menschen zum Erstickungstod führt, war den Angeklagten durchaus bewusst. Firmenmitarbeiter gaben sogar den SS-Leuten Seminare über die effektive Anwendung von Zyklon B. Die Hamburger Firma lieferte in Spitzenzeiten monatlich zwei Tonnen dieses tödlichen Giftes allein nach Auschwitz-Birkenau.

Michael Batz: „Das Militärgericht kam schließlich zu der Überzeugung, dass Tesch und Weinbacher das Gas in vollem Wissen geliefert hatten, dass es zur Massenvernichtung von Menschen, vor allem in Auschwitz, verwendet wurde.“ Während der Begasungstechniker freigesprochen wurde, verurteilten die Briten Tesch und Weinbacher zum Tode.

Gedenktafel am Meßberg

Das Urteil wurde am 17. Mai 1946 im Zuchthaus Hameln vollstreckt. Die Firma existierte bis Ende der 1970er-Jahre. Erst seit 1997 erinnert eine Gedenktafel am Meßberg 1 daran, dass in diesem Kontorhaus am nationalsozialistischen Massenmord in Auschwitz, Majdanek, Sachsenhausen, Ravensbrück, Stutthof und Neuengamme mitgewirkt wurde.

Um das Schicksal der verfolgten Frauen und Männer im Nationalsozialismus wach zu halten, leistet die Bezirksversammlung Wandsbek einen eigenen Beitrag. Sie erinnert am Freitag an Hamburger, die Verfolgten Schutz boten und Behinderte vor der „Euthanasie“ retteten. Bei einer Gedenkveranstaltung in der Jenfelder Otto-Hahn-Schule am Freitag (15 Uhr) geht es auch um Deserteure, die hingerichtet wurden. Einer von ihnen war der Hamburger Kurt Oldenburg.

Straße zur Erinnerung

Nach ihm wurde inzwischen eine Straße auf der Jenfelder Au, einem 38 Hektar großen Stadtentwicklungsgebiet in Wandsbeks Süden, benannt. Ausgerechnet hier befand sich früher die Lettow-Vorbeck-Kaserne. Größer können die Kontraste nicht sein: Während Paul von Lettow-Vorbeck als „Löwe von Afrika“ bis 1918 Kommandeur der sogenannten Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika war, floh Kurt Oldenburg vor dem Zweiten Weltkrieg und bezahlte das mit seinem Leben.

Die Bezirksversammlung Wandsbek will weitere Straßennamen im Neubaugebiet Jenfelder Au nach bislang öffentlich wenig bekannten Hamburgern benennen, die anderen Menschen während der NS-Zeit unter Einsatz ihres Lebens halfen.