Hamburg. Schülervergleichsstudie Kermit belegt große Unterschiede. Problemfach Nummer eins ist erneut Mathematik.
Dass die Hamburger Schüler erhebliche Probleme mit dem Fach Mathematik haben, hat gerade erst die Probeklausur für das Mathe-Abitur gezeigt. Die Ergebnisse waren mit einer Durchschnittsnote von 4,1 so schlecht, dass Schulsenator Ties Rabe (SPD) angeordnet hat, die Zensuren nachträglich um eine ganze Note heraufzusetzen. Die Lernrückstände im Fach Mathematik, aber zum Teil auch in Deutsch, zeichnen sich nicht nur bereits in den unteren Klassen ab, sondern haben auch eine klare soziale Schieflage.
Diesen Befund liefert eine Auswertung der Vergleichsarbeiten 2015/16, die alle Schüler in den Klassen drei und acht unter dem Namen Kermit (Kompetenzen ermitteln) alle zwei Jahre schreiben. Die Details hat der Senat in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU-Schulpolitikerin Karin Prien mitgeteilt.
Einteilung der Schulen
In Hamburg werden die Schulen in sechs Sozialindices eingeteilt, wobei Sozialindex 1 bedeutet, dass die sozialen Rahmenbedingungen sehr schwierig sind, und Sozialindex 6 besonders günstig. Von den Drittklässlern (Kermit 3) an Schulen mit dem Sozialindex 1 erreichten im Kermit-Test 44,4 Prozent nicht den Mindeststandard im Fach Mathematik.
An Schulen mit dem Sozialindex 2 waren es 37,3 Prozent und bei Index 3 noch 32,5 Prozent. In den Gebieten mit zunehmend günstigeren sozialen Rahmenbedingungen nahm die Unterschreitung der Mindeststandards immer weiter ab: 19,6 Prozent (Index 4), 13,8 Prozent (Index 5) und 9,1 Prozent (Index 6).
Soziale Schieflage beim Leseverstehen
Genau umgekehrt verhält es sich bei der Spitzengruppe der Schüler, die den „Optimalstandard“ in Mathematik schaffen: Hier reicht die Spannweite von 4,9 Prozent (Sozialindex 1) bis 22,6 Prozent (Sozialindex 6). Anders ausgedrückt: Jeder zwanzigste Schüler in sozial schwierigem Umfeld liefert Topleistungen, in sozial besonders günstigen Quartieren ist es jeder fünfte. Beim Leseverstehen in Deutsch ist die soziale Schieflage ähnlich deutlich: 37,3 Prozent der Schüler in Schulen mit dem Sozialindex 1 schaffen nicht den Mindeststandard, an Standorten mit dem Sozialindex 6 sind es nur 6,7 Prozent.
Die Vergleichsarbeiten Kermit 3 stellen im Prinzip eine bewusste Überforderung der Schüler dar, weil sie Kompetenzen in der dritten Klasse abfragen, die die Schüler erst am Ende von Klasse vier erreichen müssen. Genau so verhält es sich bei Kermit 8, der auf Kompetenzen zielt, die die Achtklässler am Ende der Klasse neun erreichen müssen. So ist der Test vor allem ein Instrument, mit dem die Lehrer erkennen können, wo sie in der verbleibenden Zeit bis zum Schulwechsel oder Abschluss nacharbeiten müssen.
Mädchen bei der Rechtschreibung vorn
Deutlich wird das soziale Ungleichgewicht auch beim Blick auf die Bezirke: Der Anteil sozial schwieriger Quartiere ist in Mitte und Harburg besonders hoch und die Lernrückstände sind es auch. In Mitte schaffen 38,4 Prozent der Drittklässler nicht den Mindeststandard in Mathematik, in Harburg sind es 33,2 Prozent, gefolgt von Bergedorf (23 Prozent); Wandsbek (22,9), Altona (20,6) sowie Nord (17,9) und Eimsbüttel (17,1).
Mädchen haben mehr Probleme als Jungen: Unter dem Mindeststandard bleiben 21,7 Prozent der Jungen, aber 27,4 Prozent der Mädchen. Und: Während 15,4 Prozent der Schüler den Optimalstandard erreichen, sind es nur 9,2 Prozent der Schülerinnen. Die Mädchen wiederum liegen beim Leseverstehen und der Rechtschreibung in Deutsch vorn.
Unterschiede zwischen den Schulformen
Die Probleme sind auch in Klasse 8 vorhanden, aber jetzt zeigen sich gravierende Unterschiede zwischen den Schulformen: Während die Leistungen von 75,6 Prozent der Achtklässler an Stadtteilschulen zum Beispiel im Bezirk Altona unter den Mindeststandards für den Haupt- oder den Realschulabschluss liegen, sind es nur 6,9 Prozent der gleichaltrigen Gymnasiasten. Und auch das soziale Gefälle bildet sich hier ab: An Stadtteilschulen mit Sozialindex 1 erreichen 89,5 Prozent der Achtklässler nicht den Mindeststandard der beiden ersten Abschlüsse. An den Schulen gleichen Typs mit Sozialindex 6 sind es nur 33,3 Prozent.
„Hamburgs Schulsystem hat eine deutliche soziale Schieflage. Die auch im Vergleich zu anderen Bundesländern starke Abhängigkeit der Lernentwicklung von der sozialen Herkunft ist erschreckend“, sagt die CDU-Bürgerschaftabgeordnete Prien.
Weder die Einführung der Stadtteilschule noch des schulischen Ganztags schienen in dieser Hinsicht positive Auswirkungen gehabt zu haben. Für Prien stellt sich die Frage, ob die bisherige Bildungsfinanzierung, die über den Sozialindex gesteuert wird, in der jetzigen Form wirklich ein wirksames Mittel zur Verminderung sozialer Ungleichheiten ist.
Mehr Mathe-Stunden
„Im Kern muss es darum gehen, den Unterricht zu verbessern und in den Kernfächern auch mehr guten Unterricht zu geben, gerade an Schulen mit sozial benachteiligtem Umfeld“, sagt Schulbehördensprecher Peter Albrecht. Für das Fach Mathematik habe die Behörde etwa die Zahl der wöchentlichen Unterrichtsstunden auf mindestens vier erhöht und den Einsatz von Fachlehrkräften an den weiterführenden Schulen für das Schuljahr 2017/18 verbindlich vorgegeben.
„Ein Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und schulischen Leistungen besteht in allen Fächern und nicht nur in Mathematik“, so Albrecht. Dies belegten nationale und internationale Studien regelmäßig. Die Effekte sozialer Herkunft seien durch „institutionalisierte Bildungsangebote“ nur zum Teil zu verringern. „Dies gilt länderübergreifend für alle Bereiche, zeigt sich aber verstärkt dort, wo die Herkunft der Schülerschaft wie in Hamburg durch eine hohe soziale Heterogenität geprägt ist.“