Hamburg. Initiative macht darauf aufmerksam, welche markanten Häuser vom Abriss bedroht sind – um sie zu retten.

Nein, schön ist dieses Gebäude an der Bahrenfelder Straße in Ottensen wirklich nicht. Eingequetscht steht der flache, dreistöckige und eher schmucklose Bau zwischen größeren Gebäuden. Vertraut im Stadtteil seit Jahrzehnten ist der Fassaden-Schriftzug: „Leistenmüller“. Ein typischer Gewerbebetrieb, wie es ihn hier früher oft gegeben hat. Und wie er aus dem Stadtbild – zumindest in so begehrten Wohnlagen wie es Ottensen heute ist – zusehends verschwindet.

Vor 14 Jahren hatte Jens Wartwig das Geschäft übernommen, er baut Bilderahmen hier in der Werkstatt und verkauft sie auch. Nah an seinen Kunden im Hamburger Westen und mit noch vergleichsweise günstiger Altbau-Miete. Doch zum 31. März ist Schluss, sein Mietvertrag ist gekündigt, das Haus soll abgerissen werden und einem Neubau weichen, wie er sagt. Doch ganz aus der Erinnerung dürfte das Leistenmüller-Haus nicht verschwinden: Es ist eines der ersten Beispiele für die „Rote Liste der bedrohten Orte und Bauten in Hamburg“.

Interaktive Karte im Internet

Das gerade erst in diesen Tagen gestartete Projekt der Planergruppe „Nexthamburg“ ist im Prinzip eine interaktive Karte im Internet, die sich immer weiter füllen soll. Über das gesamte Stadtbild verteilt finden sich dar­auf Markierungen für solche Orte. Klickt man darauf, öffnet sich ein Fenster und zeigt Details und ein Foto. Und eine Wertung in drei Kategorien: „Verschwunden“, „Gefährdet“ oder „Akut bedroht“. Die Idee dabei: Jeder kann mithilfe eines Online-Formulars Orte oder Gebäude hinzufügen, von denen er meint, dass sie abgerissen werden könnten – oder eben schon sind. Ein Redaktionsteam prüfe dann jeden Eintrag, sagt der Stadtplaner Julian Petrin, der das Projekt angeschoben hat und Mit-Gründer von Nexthamburg ist.

--- Kommentar: Die Stadt gehört allen ----

Der Verein versteht sich laut Petrin als eine Art Denkfabrik für Stadtentwicklung; Stadtplaner und Soziologen sind Mitglieder. Oft, wenn es in Hamburg darum geht, mit Bürgerbeteiligungsmodellen Ideen für eine Stadtplanung zu entwerfen, tritt Nexthamburg in Erscheinung. Und nun eben mit dieser „Roten Liste“, die sich ganz bewusst an jenen Roten Listen für Tiere oder Pflanzen orientiert. Wobei Nexthamburg seit einigen Tag mit dem Hamburger Denkmalverein kooperiert.

Man will „Öffentlichkeit herstellen“

Bei dieser Liste gehe es aber längst nicht nur um denkmalgeschützte oder ganz besonders hübsche Häuser, die bedroht sind. „Nein wir haben auch manches hässliche Entlein dabei“, sagt Petrin. Wie eben das Leistenmüller-Haus. Und doch seien es vielfach auch solche Gebäude, die in der Nachbarschaft so etwas wie Vertrautheit und Identität ausmachten und zur Zeit besonders stark von Veränderung betroffen sind – eben weil sie nicht besonders geschützt sind: kleine Restaurants, Bars oder Werkstätten zum Beispiel, die seit Jahrzehnten zum festen Bestandteil eines Viertels gehören und dann plötzlich verschwunden sind. Aber vielleicht auch kleine grüne Plätze und Nischen, die in der wachsenden Stadt auch gern einmal zugebaut werden. Ziel der Roten Liste sei es, zunächst „Öffentlichkeit herzustellen“, wie Petrin sagt: „Wir wollen eine breite Diskussion anstoßen, und das, bevor etwas verschwunden ist.“

Dabei gehe es nicht darum, die Stadt unter einer „Käseglocke“ zu halten. „Veränderung muss sein“, sagt Petrin. Diskussion aber auch. So wie beim Abriss der Esso-Häuser auf St. Pauli, wo am Ende Anwohner und Investoren gemeinsam etwas Neues planten. Hier war der Stadtplaner Petrin Moderator.

Bisher stehen auf der Liste 32 Beispiele. Unter „Verschwunden“ sind da beispielsweise die kürzlich abgerissenen Gründerzeithäuser an der Breiten Straße in Altona aufgeführt. Als „Akut gefährdet“ bezeichnet die Liste das schmale Krahnstöver Haus in der Katharinenstraße 31 am Nikolaifleet, weil es im Wohnungsbauprogramm des Bezirks Mitte als Neubaumöglichkeit aufgeführt ist. Auch die „Schilleroper“ gilt der Liste zufolge als gefährdet, weil immer wieder neue Pläne dafür vorgestellt wurden.

Viele der bisher aufgeführten ersten Beispiele kommen aber zunächst aus Ottensen. Das Blaue Barhaus beispielsweise, eine langjährige Institution, die bereits geschlossen ist. Auch die Kneipe Queerbeet ist gelistet, auch dort gab es eine Kündigung. Und eben „Leistenmüller“. „In Ottensen ist der Veränderungsdruck besonders groß“, glaubt Petrin, der selbst in dem Stadtteil wohnt. „Die Idee ist daher auch aus persönlicher Betroffenheit entstanden“, sagt er.

„Gefährdet“ sind laut der Liste von Nexthamburg folgende Gebäude:

Das „schmale Haus“ Katharinenstraße 31 direkt am Nikolaifleet.

Der Kiosk Blohmstraße in Harburg.

Der Flachbau von „Fische Faerber“ am Barmbeker Bahnhof.

Die „Schilleroper“ auf St. Pauli.

Das Gruner+Jahr-Gebäude am Hafen.

Die „Schwule Baustelle“ am Schäferkamp 45 zwischen Eimsbüttel und St. Pauli.

Die „Sternbrücke“ mit mehreren Clubs und Bars in der Schanze.

Die „Rote Flora“ am
Schulterblatt.

Die „Sahlhäuser“ in der Bahrenfelder Str. in Ottensen.

Die „Aurel-Ecke“ in Ottensen.

Vom Abriss „akut bedroht“ sind diese Orte oder
Gebäude:

Das „Leistenmüller“-Haus in Ottensen.

Das „Elektrohaus“ in St. Georg.

Der Club „Klubsen“ in Hammerbrook.

Ein altes Wohnhaus am Nehusweg in Moorburg.

Die City-Hochhäuser am Klosterwall.

Die „Post-Pyramide“ in der City Nord.

Die „Soulkitchenhalle“ in Wilhelmsburg.

Der „Lessingtunnel“ in Altona.

Das Commerzbank-
Ensemble nahe der Willy-Brandt-Straße.

Das „Blaue Barhaus“ in Ottensen.

Bereits „verschwunden“ sind:

Die „Gründerzeithäuser“ in der Breiten Straße in Altona.

„1000 Töpfe“ an der Langen Reihe in St. Georg.

Die Zentrale des „Germanischen Lloyd“ in der Neustadt.

Die alte Bowlinghalle an der Reeperbahn.

Der alte Ringtreppenturm im Rosshafen.

Die ehemalige Zollstation am Alten Elbtunnel auf Steinwerder.

Der Alte Ballsaal am Veddeler Elbdeich.

Die „Esso-Häuser“ auf St. Pauli.

Die Backstein-Wohnanlage am Elisabethgehölz in Hamm.

Das „BP-Haus“ in der City Nord.

Das abgebrannte Wohngebäude Lange Reihe 57 in St. Georg.

www.nexthamburg.de