Hamburg. Viele Menschen haben Panik vor dem Fliegen. In Hamburg können Betroffene im Simulator lernen, damit umzugehen.

Gern geflogen ist Elisabeth Böttcher noch nie. Schon immer war es ihr unangenehm, die Verantwortung in fremde Hände zu geben, den Gedanken an einen Absturz konnte sie nie ganz verdrängen. Doch aus unangenehm wurde über die Jahre unerträglich – und aus negativen Gedanken wurde Todesangst. „Jedes Geräusch, jedes Ruckeln und jede Böe löste Panik, Herzklopfen und Angstschweiß aus“, sagt die 40-Jährige. „Und irgendwann war es mir nicht mehr möglich, in ein Flugzeug zu steigen“, erzählt sie. „Das ging sogar so weit, dass ich nicht bei der Hochzeit meines Bruders in London und bei der Taufe meiner Nichte in Zürich dabei sein konnte, weil ich solche Angst vor dem Flug hatte.“

Familienurlaube auf Mallorca? Ausgeschlossen, Wochenendtrips nach Paris mit Freunden? Ging alles nicht mehr. Die Flugangst schien Elisabeth Böttchers Welt immer kleiner zu machen. So ging es nicht weiter, irgendwas musste passieren. „Mein Mann hat irgendwann gesagt, dass ich mir dringend Hilfe holen müsse, und hat einen Coach organisiert“, erzählt sie.

Und so sitzt sie nun hier im Nachbau eines A320-Cockpits in der HafenCity und ist ein bisschen nervös. Der Besuch im Flugsimulator ist Teil des Anti-Flugangst-Coachings, das sie derzeit bei der Hamburger Trainerin Marion Klimmer absolviert. In der Regel ist der Besuch im Simulator der Abschluss von vier Schulungseinheiten.

Jeder Zweite leidet an leichter bis extremer Flugangst

Meist finden die Treffen in der Praxis von Marion Klimmer in Rotherbaum statt. Die 48-Jährige hat einen speziellen Unterricht gegen Flugangst entwickelt und kennt Fälle wie die von Elisabeth Böttcher zur Genüge. „Dass rund 50 Prozent aller Menschen an leichter bis extremer Flugangst leiden, liegt an unterschiedlichen Faktoren. Das können unschöne Erfahrungen sein wie massive Turbulenzen, Durchstarte-Manöver, das „Beifahrersyndrom“, eine ohnehin ausgeprägte Tendenz zu Katas­trophen-Fantasien, Höhenangst oder mangelndes Wissen über die S icherheit im Flugzeug.“

Klimmers Flugangst-Seminar findet immer in Einzelsitzungen statt - das unterscheidet sie von den Gruppentrainings der großen Fluggesellschaften. Wingwave heißt die von ihr genutzte Methode, die im Coaching-Bereich zwar etabliert ist, aber für Laien erst mal befremdlich wirken mag. Nachdem Klimmer durch Gespräche und Muskeltests die konkreten Blockaden offengelegt hat, fährt sie mit ihrer Hand vor den Augen des Kunden hin und her. Das Ziel: „Durch die schnellen Augenbewegungen wird eine sogenannte REM-Phase simuliert, die wir aus der Schlafforschung kennen.“ REM-Phasen sind Schlafphasen, die durch schnelle Augenbewegungen und intensive Verarbeitungsprozesse im Gehirn gekennzeichnet sind. „Dass schnelle Augenbewegungen auch im wachen Zustand dazu führen können, linke und rechte Gehirnhälfte zu verbinden und Stress oder Ängste zu lösen, das weisen Gehirnforschungen nach“, erzählt Klimmer.

Weil aber ein Teil der Ängste auch daher rührt, dass konkretes Wissen um die Flugsicherheit fehlt, kooperiert Klimmer mit dem Flugsimulator der Firma YOURcockpit an der Ericusspitze. Hier ist alles detailgetreu nachgebaut wie in einer echten A320-Maschine – inklusive der Geräusche beim Starten, Landen und bei Turbulenzen. Pilot Mirko Miesen begleitet den Simulationsflug mit Elisabeth Böttcher. „Hier geht es darum, dass der Betroffene einmal wirklich alles fragen kann, was er schon immer mal wissen wollte“, sagt er.

Elisabeth Böttcher darf mitsteuern

Elisabeth legt sofort los. „Kennen sich die Piloten eigentlich immer, wenn sie zusammen fliegen? Und was besprechen die dann eigentlich genau vor dem Abflug?“ Pilot Mirko Miesen antwortet: „Nein, in den meisten Fällen ist es extra so geplant, dass sie sich nicht kennen. So soll verhindert werden, dass sich zu viel Routine einschleicht.“ Böttcher: Wie gefährlich ist es, wenn es bei Turbulenzen ruckelt? Miesen: „Da kann sich der Passagier getrost zurücklehnen. Flugzeuge sind so konstruiert, dass sie selbst Turbulenzen aushalten, die es in der Realität nicht gibt.“

Und dann kommt Elisabeth Böttcher richtig in Fahrt: „Was passiert bei einem Luftloch? Wieso ist da manchmal eine Pfütze unter dem Flugzeug? Was kann ich von den Blicken der Stewardessen ablesen?“ Während Mirko Miesen die Fragen in aller Ruhe beantwortet, fliegen sie im Simulator eine große Runde über Hamburg. Und Elisabeth Böttcher darf mitsteuern. Danach wirkt sie sichtlich entspannt. „Vor dem Coaching hätte ich mich noch nicht einmal in den Simulator getraut. Dabei ist es so hilfreich, wenn man mal erfährt, wie alles funktioniert.“

Elisabeth Böttcher traut sich jetzt den Flug nach London zu

Weil bei Böttcher die Flugangst recht ausgeprägt ist, kommt sie in unregelmäßigen Abständen immer mal wieder zum Seminar. Bei den meisten Betroffenen würden laut Klimmer vier bis fünf Treffen plus ein Besuch im Cockpit reichen. Aber auch bei Elisabeth Böttcher ist der Knoten bereits geplatzt. Ihre Geschwister hatten ihr kürzlich zum 40. Geburtstag einen gemeinsamen Besuch des „Simply Red“-Konzerts in London geschenkt. Und endlich lautete die Antwort der Schwester aus Hamburg nicht mehr „Geht leider nicht“, sondern: „Wie schön, ich komme gern.“ Wie der Flug war? „Richtig gern mache ich das immer noch nicht, aber die Angst hat mich endlich nicht mehr im Griff.“

Flugangst-Coaching: Schnupper-Paket für 199 Euro (ein Einzelcoaching und 30 Minuten Flugsimulator), Komplett-Paket für 990 Euro: vier Einzelcoachings und zwei Stunden Flug­simulator. Weitere Informationen über mental-coaching.hamburg