Fuhlsbüttel. Seit 16 Jahren kümmert sich Björn Kranefuß um die kleinen und großen Sorgen am Airport. Für ihn „ein Ort der ganz großen Emotionen“.

Bittere Tränen beim Check-in in Terminal 2 am Hamburger Flughafen. Eine Russin fürchtet, dass aus ihrem lange ersehnten Flug in die Heimat nichts wird. Sie hatte nicht gewusst, dass sie einen Online-Check-in hätte machen müssen und soll nun am Schalter 35 Euro draufzahlen. Doch das Geld hat sie nicht und die Zeit drängt. Das Personal am Schalter kann nicht helfen und auch die Polizeibeamten, die auf die Frau aufmerksam geworden sind, wissen keinen Rat. Wenn eigentlich keiner zuständig ist, dann dauert es meist nicht lange, bis das Handy von Björn Kranefuß klingelt.

Der 57-Jährige arbeitet seit 16 Jahren als Flughafenpastor am Hamburg Airport und kümmert sich um die großen und kleinen Probleme der Menschen am Flughafen. Und bei 16 Millionen Fluggästen und acht Millionen Besuchern pro Jahr kommt da einiges zusammen. Menschen mit Flugangst, Menschen, die einen Angehörigen verloren haben, solche, die aus den unterschiedlichsten Gründen am Flughafen in Not geraten sind oder die sich spirituell auf eine Reise einstimmen möchten. Und, und, und. 20 Stunden pro Woche ist Kranefuß am Flughafen tätig. Plus Bereitschaftsdienst.

Einen festgezurrten Alltag hat er nicht. Meist radelt er morgens gegen sechs Uhr aus seiner Wohnung in Alsterdorf rüber zum Flughafen. Dann öffnet der Andachtsraum. Jeden zweiten Mittwoch hält er eine Morgenandacht. Alles weitere ergibt sich meist von allein. Nach all den Jahren im Geschäft hat Kranefuß die unterschiedlichsten Geschichten miterlebt und begleitet.

So wie vergangene Woche, als der Anruf von der Feuerwehr kam. Ein Mann sei im Flugzeug auf dem Weg nach Hamburg an einem Herzinfarkt gestorben. Seine Frau saß auf dem Flug neben ihm. Ein klassischer Fall für den Flughafen-Pastor. Kranefuß nahm die Frau in Hamburg in Empfang und kümmerte sich um sie, begleitete sie nach Hause und blieb so lange, bis sichergestellt war, dass Freunde sich weiter kümmern. „So etwas in der Art passiert regelmäßig“, sagt Kranefuß.

„Der Flughafen ist eine Verdichtung der modernen Gesellschaft“

Seelsorge hat den gebürtigen Hamburger schon im Studium am meisten interessiert. Als die Kirche ihm dann das Angebot machte, die neu geschaffene Stelle am Flughafen zu übernehmen, war er dennoch erst mal überrascht. „Ich wusste ja gar nicht, dass es das gibt“, sagt er. Von seinem neuen Arbeitsplatz, dem Flughafen, war er schnell fasziniert. Inzwischen kennt Kranefuß jeden Winkel sowie die meisten Mitarbeiter in den Geschäften und an den Schaltern. „Der Flughafen ist eine Verdichtung der modernen Gesellschaft“, sagt Kranefuß. „Es geht um die globalen Möglichkeiten des Unterwegsseins, um Paradiessehnsüchte, um Abschiedsschmerz und große Willkommensgesten, um Kontrolle, Kon­trollverlust und Verletzlichkeit. Der Flughafen ist ein Ort der ganz großen Emotionen.“

Der Andachtsraum in der ersten Etage in Terminal 1 wird fast täglich genutzt. Von Reisegruppen und Einzelpersonen, die sich einen Reisesegen wünschen zum Beispiel. Aber auch von Menschen, die hier einfach einen Moment innehalten möchten. Im Gästebuch haben Besucher aus aller Welt kleine Einträge hinterlassen. Gedanken zur anstehenden Reise, Sorgen über Angehörige, Gedanken über das Leben. Eine Reisende schrieb: „Zwischenstopp auf dem Weg nach Santiago de Compostela. Ich freue mich, bin ängstlich und ich lasse viel zurück. Und ich bin gespannt, was Gott mit mir vorhat.“

Hinter dem Altar steht der Psalm 121 in verschiedenen Sprachen an der Wand. „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt. Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. (…) Der Herr behüte Dich vor allem Übel, er behüte Deine Seele.“ (...)

Die Unvorhersehbarkeit als Herausforderung

Auch die Angst vor Terror spiele zunehmend eine Rolle. „Es gibt Menschen, die haben nach den Ereignissen der letzten Zeit ein ungutes Gefühl und medial geprägte Bilder im Kopf“, sagt Kranefuß. Flugangst ist zudem immer ein Thema. Oft helfe dann schon, die Gefühle ernst zu nehmen, ruhig die Hand aufzulegen – und einen Reisesegen zu spenden.

Neuerdings ist übrigens besonders viel los im Andachtsraum. Das liegt daran, dass Kranefuß hier einen „Schatz“ für Geocacher hinterlegt hat. Geocaching ist eine internetbasierte Form der Schatzsuche. Nachdem die angemeldeten Nutzer mehrere Rätsel gelöst haben, erhalten sie einen Code für einen Safe und so einen Schlüssel für eine Schatzkiste. Darin befindet sich wiederum ein kleiner Gegenstand – Cache oder travel-bug genannt – den Reisende hier für andere Reisende hinterlegen.

„Ich finde, dass das als Symbol fürs Suchen und Finden gut zum Glauben passt“, sagt er. Abstimmen muss er seine Entscheidungen nur selten. „Im Vergleich zur klassischen Tätigkeit in einer Kirche bin ich hier mit leichtem Gepäck unterwegs und kann weitestgehend eigenverantwortlich arbeiten“, sagt er. Dass seine Arbeit oft unvorhersehbar ist, sieht er im positiven Sinne als Herausforderung. Freude macht ihm auch, dass er in vielen Fällen wirklich helfen kann. So auch bei der weinenden Frau am Check-in-Schalter. Nach kurzer Absprache mit allen Beteiligten gibt Kranefuß der Frau die 35 Euro für die Gebühr. Das Geld kommt aus der Spendendose, die auch für die kleinen Nöte am Flughafen gedacht ist. Die Frau kann einchecken und eilt zum Gate. „Da war das Christentum doch mal ganz praktisch“, sagt Kranefuß und schmunzelt.