Hamburg. Der Agent hatte offenbar versucht, mit Cansu Özdemir Kontakt aufzunehmen. Er soll Attentate auf kurdische Funktionäre geplant haben.

Die Anfrage kam vor einigen Monaten, sagt Cansu Özdemir. Der Fremde sagte ihrem Vater, er sei Journalist. Und er wolle mit der Fraktionschefin der Hamburger Linken sprechen, wenn möglich. Er sprach Kurdisch und war ausgesprochen freundlich.

„Zu einem Treffen mit mir kam es dann nicht mehr“, sagt Cansu Özdemir. Vielleicht ein Glücksfall. Der 31-jährige Mehmet Fatih S. wurde vorige Woche in Hamburg verhaftet – ein türkischer Spion, der offenbar auch Attentate in Deutschland vorbereiten sollte.

Die Verhaftung hat die Sorgen von Kurden vor möglichen Angriffen des türkischen Staates nicht geschmälert, im Gegenteil. „Wir haben keinerlei Hinweise von den Behörden bekommen, welche Kontakte der Agent hatte, ob es weitere Aktivitäten gibt – und wer gefährdet sein könnte“, sagt Cansu Özdemir. Recht sicher ist laut Kurden­vertretern nur, dass türkische Spione häufig in Teams agierten – je ein Informationssammler, ein Auftragsmörder und ein Koordinator. 6000 Mitarbeiter des Geheimdienstes sollen insgesamt in Deutschland aktiv sein.

Konkrete Überlegungen für Attentate

Mehmet Fatih S. führte offenbar Dutzende Gespräche mit Kurden­vertretern, wie er es auch mit der Linken-Fraktionschefin in Hamburg beabsichtigte. Im gesamten norddeutschen Raum, als Journalist des kurdischen Senders Denge TV. Nach Abendblatt-Informationen hat die Bundesanwaltschaft Hinweise darauf, dass es konkretere Überlegungen für Attentate auf den Bremer Kurdenführer Yüksel Koc und den Brüsseler Aktivisten Remzi Kartal gab.

Koc sprach am gestrigen Donnerstag davon, dass diverse Kurden „Zielscheiben“ für die Regierung von Recep Tayyip Erdogan seien – und legte Dokumente vor, die aus der Korrespondenz von Mehmet Fatih S. mit seinem Vorgesetzten stammen sollen. Die Freundin des Spions habe sie fotografiert, was später zu seiner Ent­tarnung führte.

„Wenn Yüksel [Koc] sterben soll, sollten wir uns zusammensetzen und über den Zeitpunkt und Ausführung sprechen“, zitierte Koc aus den Papieren. Und weiter: „Eine Demonstration ist der beste Zeitpunkt, um ihn auszuschalten.“ Mehmet Fatih S. notierte das offenbar handschriftlich auf karierten Notizblöcken. Die Echtheit der Dokumente ließ sich zunächst nicht bestätigen. Die Lebensgefährtin gab die Informationen über Mehmet Fatih S. an einen Mittelsmann, die Linken-Fraktionschefin Özdemir übergab sie im Herbst den Sicherheitsbehörden.

Yüksel Koc hatte nach eigenen Angaben bereits im Frühjahr erste Hinweise auf die Gefahr durch türkische Geheimagenten bekommen. Eine Person habe ihm im Gespräch mitgeteilt, dass sich drei türkische Teams zur Planung und Durchführung von Attentaten in Deutschland aufhielten.

„Auf die Frage, warum er die Informationen mit mir teile, sagte er, er wolle ein weiteres Paris verhindern“, so Koc. Im Januar 2013 waren drei kurdische Aktivistinnen in der französischen Hauptstadt mit Kopfschüssen hingerichtet worden – darunter eine Mitbegründerin der kurdischen Arbeiterpartei PKK.

Von der Festnahme erfuhr sie aus den Medien

Die Sicherheitsbehörden in Bremen seien mit den Hinweisen auf einen möglicherweise gefährlichen türkischen Agenten zunächst umgegangen, „als wäre das nichts Besonderes“, sagte Yüksel Koc. Cansu Özdemir sprach davon, dass die Hamburger Ermittler die Si­tuation­ sehr ernst nahmen – in der Vernehmung­ durch den Staatsschutz hätte sie aber das Gefühl gehabt, „dass die Geschichte nicht ganz geglaubt wird“.

Nach der Weitergabe der Informationen erfuhr Özdemir nach eigenen Angaben aus den Medien von der Festnahme von Mehmet Fatih S. – ihr Vater erinnerte sich an die Kontaktaufnahme, als er sein Bild in der Zeitung sah. Cansu Özdemir hat eine E-Mail mit der Bitte um ein Gespräch an Innensenator Andy Grote (SPD) und Innenstaatsrat Bernd Krösser gerichtet. „Die Anfrage wurde in die Arbeitsebene weiter­geleitet, selbstverständlich wird es ein Gespräch geben“, sagte ein Sprecher der Innenbehörde. Die Bundesanwaltschaft wollte sich mit Blick auf die laufenden Ermittlungen nicht im Detail zu dem Fall äußern.

Bislang kam es nur sehr selten zu gezielten Attentaten auf Kurden im Ausland – vor dem Anschlag von Paris laut Koc vermehrt zuletzt in den 80er-Jahren. Koc und Özdemir haben aber seit dem vergangenen Jahr – und besonders nach dem gescheiterten Putschversuch im Sommer – eine Verschärfung im Vorgehen des türkischen Staates ausgemacht.

Cansu Özdemir sagte, es würden gezielt die Aktivitäten von Deutschtürken beobachtet. Yüksel Koc gab an, vor wenigen Wochen eine mysteriöse SMS von einer ukrainischen Telefonnummer erhalten zu haben. Darin habe es geheißen: „Du bist noch einmal davongekommen.“