Hamburg. 500 Agenten sollen in Deutschland für den Nachrichtendienst MIT arbeiten. Vorwürfe von kurdischer Gemeinde.
Nach der Festnahme eines mutmaßlichen türkischen Agenten, der Attentate auf kurdische Funktionäre in Bremen und Brüssel geplant haben soll, erhebt die kurdische Gemeinde schwere Vorwürfe. „Politische Morde sind in Deutschland möglich“, sagte Ali Ertan Toprak, Bundesvorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschland. Es sei besorgniserregend, dass inzwischen auch Tötungskommandos auf türkische und kurdische Oppositionelle und Regimekritiker angesetzt seien. Die „türkische Stasi“ liefere die Informationen für die „Killer,“ die dann ans Werk gehen sollen, so Toprak weiter.
Mehmet Fatih S. soll in Bremen als TV-Journalist gearbeitet haben
Anlass für die harsche Kritik Topraks ist die Verhaftung eines mutmaßlichen türkischen Agenten am vergangenen Donnerstagabend in Hamburg. Um Kurden auszuspionieren, soll Mehmet Fatih S. (31) vor zehn Jahren nach Deutschland gekommen sein und sich in Bremen als TV-Journalist beim kurdischen Sender „Denge TV“ verdingt haben. Für die Kontaktaufnahme mit kurdischen Repräsentanten und Oppositionellen war die kurdische Herkunft des Mannes, der aus Mardin im Südosten der Türkei stammt, offenbar eine Art Türöffner. Seine Aufgabe war es laut Bundesanwaltschaft, Informationen über Aufenthaltsorte, Kontaktpersonen und politische Tätigkeiten zu beschaffen. Der Türke werde dringend verdächtigt, sowohl einzelne Kurden als auch kurdische Einrichtungen ausgekundschaftet zu haben. Er befindet sich derzeit in Karlsruhe in U-Haft – ihm drohen bis zu zehn Jahre Haft.
Nach Abendblatt-Informationen soll er zudem in Anschlagspläne auf zwei hochrangige Funktionäre verwickelt gewesen sein, dabei soll es sich um den Bremer Kurdenführer Yüksel Koc und den Brüsseler Aktivisten Remzi Kartal handeln. Die Bundesanwaltschaft wollte dies auf Anfrage nicht kommentieren. Wie „Bild.de“ berichtet, reisten Ende November Männer aus der Türkei nach Deutschland, um die Taten auszuführen – versorgt mit Informationen von Mehmet Fatih S.
Lebensgefährtin wurde ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen
Der mutmaßliche Spion flog auf, nachdem seine Lebensgefährtin (26) vom Doppelleben des 31-Jährigen erfahren hatte: Sie vertraute sich daraufhin Journalisten der kurdischen Tageszeitung „Yeni Özgür Politica“ an. Die Journalisten wiederum wandten sich an die linke Bürgerschaftsabgeordnete Cansu Özdemir, die Ende September das Hamburger Landeskriminalamt einschaltete. Kurz darauf zogen das BKA und der Generalbundesanwalt das Verfahren an sich. Die Partnerin des Spions ist unterdessen ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen worden und wird an einem unbekannten Ort bewacht. Sie soll den Behörden umfangreiches Material zur Verfügung gestellt haben – unter anderem Protokolle und Berichte, die der Spion nach Ankara schickte.
Rund 500 MIT-Agenten sollen im Einsatz sein
Tötungskommandos, die auf deutschem Boden unter Ägide eines Nato-Partnerstaates agieren? Ein ungeheuerlicher Verdacht. Dabei, so Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom (Forschungsinstitut für Friedenspolitik), habe es in Deutschland und den Niederlanden bereits in den 80er-Jahren Anschläge durch Agenten des türkischen MIT (nationaler Nachrichtendienst) auf kurdische Funktionäre gegeben. „Wenn Erdogan von der Bundesrepublik mit Blick auf die PKK von einem Hort des Terrorismus spricht und Vergeltungsaktionen für die jüngsten Anschläge in der Türkei ankündigt, dann muss man davon ausgehen, dass aktuell eine konzertierte Aktion auf deutschem Boden stattfindet“, sagte Schmidt-Eenboom. „Dann erleben wir offensichtlich Staatsterrorismus.“
Rund 500 Agenten seien für den MIT in Deutschland im Einsatz, hinzu kämen rund 6000 sogenannte „Zuträger“, die Informationen zuliefern. Laut Bundesjustizministerium sind in den vergangenen Jahren rund zehn Verfahren gegen mutmaßliche MIT-Angehörige geführt worden. „Kein anderer Nachrichtendienst ist in Deutschland so stark vertreten, vielleicht noch die CIA“, so Schmidt-Eenboom.
Türkische Regierung soll für Aufklärung sorgen
Der MIT habe Zugriff auf ein breites Quellen-Spektrum – Informanten säßen in Moscheen wie in der Rocker-Gang „Osmanen“, die vor wenigen Wochen Ziel einer bundesweiten Razzia geworden war. Nach der Novelle zum BND-Gesetz, wonach es keine Kooperation mit Staaten geben darf, in denen rechtsstaatliche Prinzipien nicht eingehalten werden, müsse nun wenigstens der Resident des türkischen Nachrichtendienstes in Berlin zur „Persona non grata“, zur „unerwünschten Person“ erklärt und ausgewiesen werden.
Neben der Steuerung geheimdienstlicher Aktivitäten versucht die türkische Regierung auch über Organisationen wie die UETD oder den türkisch-islamischen Dachverband Ditib Einfluss in Deutschland zu nehmen. Beide Verbände gelten als regimetreu und als dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ergeben. „Innertürkische Konflikte dürfen nicht in Deutschland ausgetragen werden“, sagt der CDU-Innenexperte Dennis Gladiator. Sollte es stimmen, dass ein türkischer Spion einen Mordanschlag in Deutschland vorbereitet hat, müsse die türkische Regierung „schnellstmöglich für Aufklärung sorgen“, so Gladiator, und weiter: „Ein derartiges Verhalten wäre jedenfalls nicht mit einer Annäherung an die EU zu vereinbaren.“