Hamburg. Eine der Forderungen der Initiative: 600 Lehrerstellen mehr für gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung.
Die Inklusion zählt zu den größten Herausforderungen des Schulunterrichts. Seit 2010 haben Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Hamburg das Recht auf den Besuch einer allgemeinbildenden Schule. Inzwischen lernen fast 80 Prozent der Jungen und Mädchen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen gemeinsam mit allen anderen Kindern an einer Grund-, einer Stadtteilschule oder einem Gymnasium.
Immer wieder gab es Kritik vor allem an der angeblich unzureichenden personellen Ausstattung der Schulen, zumal die Zahl inklusiv beschulter Kinder innerhalb weniger Jahre stark angewachsen ist. Jetzt haben sich Eltern, Lehrer, Schulleiter und Schüler zur Volksinitiative „Gute Inklusion für Hamburgs Schüler“ zusammengeschlossen. Ihr Ziel: eine deutliche Verbesserung der Rahmenbedingungen.
Acht Quadratmeter mehr Raum pro Schüler mit Behinderung
„Für mich ist die Inklusion das schulische Programm der Zukunft“, sagt Pit Katzer, einer der Initiatoren und früherer Schulleiter der Erich-Kästner-Stadtteilschule (Farmsen-Berne), die einen inklusiven Schwerpunkt hat. Inklusiver Unterricht sei „inhaltlich sehr anspruchsvoll, aber machbar“, so Katzer. „Aber das geht im Interesse aller Kinder nicht zu den Rahmenbedingungen, wie sie im Moment vorherrschen.“ Die Volksinitiative stellt fünf zentrale Forderungen. Zunächst soll die personelle Ausstattung für den Unterricht der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Bereichen Lernen, Sprache sowie soziale und emotionale Entwicklung (LSE) deutlich erhöht werden. Rechnerisch erhält jede Schule pro LSE-Kind derzeit drei Lehrerunterrichtsstunden pro Woche zusätzlich. Allerdings wird dabei an den Grundschulen von einem LSE-Anteil von vier Prozent ausgegangenen. Auch wenn Schulen einen höheren Anteil an LSE-Kindern haben, gibt es nicht mehr Personal.
Die Volksinitiative fordert nun, dass die Personalzuweisung auf einen LSE-Kinder-Anteil von sieben Prozent erhöht wird. „Wir wollen hier eine Anpassung an die Realität“, erläutert Katzer, der für die vierten Klassen aktuell von acht Prozent ausgeht. Die Kinder mit LSE-Förderbedarf stellen die mit Abstand größte Gruppe: Von den mehr als 9152 LSE-Kindern im Schuljahr 2015/16 besuchten 6350 Jungen und Mädchen eine allgemeinbildende Schule, nur noch 2802 eine Sonderschule.
Unterschriftensammlung startet Anfang Februar
Die zweite Forderung betrifft die Schüler mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung. Hier soll die Personalzuweisung nach dem Willen der Volksinitiative um ein Drittel erhöht werden, um eine bessere individuelle Förderung zu ermöglichen.
Außerdem wollen die Initiatoren die Anstrengungen für den behindertengerechten Umbau der Schulen erhöhen. Zehn Jahre lang sollen zehn Millionen Euro jährlich für die Schaffung von barrierefreien Schulen bereitgestellt werden. Für Schüler mit Behinderungen soll an Grund-, Stadtteilschulen und Gymnasien in gleichem Umfang therapeutisches und pflegerisches Personal beschäftigt werden wie an speziellen Sonderschulen. Die fünfte Forderung betrifft die Räume: Pro Schüler mit einer Behinderung sollen acht Quadratmeter mehr Raum im sogenannten Musterflächenprogramm für Schulen vorgesehen werden. Dieses Programm, das unter anderem den Flächenanspruch der Schulen, bezogen auf die Schülerzahl, regelt, macht bislang keine Trennung zwischen Schülern mit und ohne Behinderung.
Katzer geht davon aus, dass allein die von der Initiative geforderten Personalverstärkungen ein Plus von 600 bis 650 Stellen ausmachen würden. Das entspreche in etwa einem Volumen von 40 Millionen Euro. Der SPD-geführte Senat hat seit 2012 an den staatlichen allgemeinbildenden Schulen nach Angaben der Schulbehörde bereits 1141 Vollzeitstellen von Lehrern und Sozialpädagogen für Aufgaben der Inklusion geschaffen.
„Die personellen und räumlichen Ressourcen für die Inklusion reichen im schulischen Alltag nicht aus“, sagt Maik Findeisen, Elternrat an der Irena-Sendler-Stadtteilschule (Wellingsbüttel) und Mitgründer der Volksinitiative. „Alle sind bemüht, aber man merkt, dass niemand einen Führerschein für Inklusion hat – weder die Schüler noch die Lehrer“, sagt Findeisen. Es sei ein längerer Prozess nötig, damit alle Beteiligten zusammenfänden.
Anfang Februar soll die Sammlung der Unterschriften starten. Innerhalb eines halben Jahres müssen dann 10.000 Unterstützer gewonnen werden, damit die nächste Stufe – das Volksbegehren – erreicht wird. Die Initiatoren dürften den Zeitraum auch mit Blick auf den dann einsetzenden Bundestagswahlkampf gewählt haben, um den Druck auf die Politik zu erhöhen.
Vorbild könnte eventuell die Volksinitiative „Guter Ganztag“ sein, die sich im Juni mit Rot-Grün auf einen Kompromiss geeinigt hatte.