Hamburg. Rund 4000 Menschen wohnen neben den Messehallen: Manche fühlen sich mit dem Aufgebot vor ihrer Tür nur unwohl, manche protestieren.

Die Blicke vieler Passanten sind gen Himmel gerichtet. Alle paar Meter steht jemand, der versucht, mit dem Handy die beiden Hubschrauber zu filmen, die jetzt immerzu über dem Karoviertel kreisen. Aber die tatsächliche Nähe und vor allem die Lautstärke lassen sich kaum einfangen. Die Rotorengeräusche sind mal lauter, mal leiser, aber sie sind immer da, Tag und Nacht.

Das macht vielen der rund 4000 Einwohner im Karoviertel zu schaffen. In einem Twitter-Eintrag ist von Krippenkindern die Rede, die „alle verängstigt heulen“. Dazu patrouillieren Polizisten auf der Straße – hoch und runter. Fernsehteams stapfen von Geschäft zu Geschäft, um irgendeine wie auch immer geartete Empörung einzufangen.

Karo-Viertel bekommt es direkt zu spüren

Sicher könnte man sagen, dass das alles so oder so ähnlich zu erwarten gewesen ist. Dass das Karoviertel die massiven Sicherheitsmaßnahmen für den OSZE-Gipfel sehr direkt zu spüren bekommen würde, war lange angekündigt.

Auch Mariann von Redecker, die mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern an der Flora-Neumann-Straße und damit in der Hochsicherheitszone lebt, hatte mit vielem gerechnet, im Vorfeld für Verständnis geworben und sich gegen reflexhafte Kritik ausgesprochen. Jetzt, als es so weit ist, sagt sie: „Ich habe das alles ziemlich unterschätzt und würde jetzt auch sagen, dass es falsch war, die Veranstaltung hier auszurichten.“ Was genau sie unterschätzt habe? „Diese diffuse Gefährdungslage um einen herum und dass man überhaupt nicht abschätzen kann, ob nun etwas passiert oder nicht. Auch, dass die Polizei vorm Haus patrouilliert und der Hubschrauber über dem Dach kreist. Ich tue mich jedenfalls deutlich schwerer damit, als ich dachte“, so die 39-Jährige.

Menschen flanieren wie immer auf der Straße

Die Kinder habe sie bereits am Mittwoch zu den Großeltern aufs Land geschickt, sie sei inzwischen nachgefahren, ihr Mann hütet die Wohnung. „Da wir das Auto aber schon Anfang der Woche wegparken mussten, mussten wir das Gepäck Hunderte Meter zum Auto schleppen. Es ist einfach alles mühseliger als gedacht.“ Jedenfalls bekomme man ein „Feeling vom Ausnahmezustand“. Für das G20-Treffen im Juli 2017 hat sie beschlossen: „Da werde ich Urlaub nehmen. Das kann ja nur schrecklich werden, zumal da ja wirklich das ganze Gruselkabinett kommt.“

Wer einfach nur als Passant durch die Marktstraße schlendert, wer das Rotorengeräusch nur ein paar Minuten lang mitbekommt, der spürt wenig von dem, was einige Anwohner hier als Ausnahmezustand beschreiben. Junge Menschen, alte Menschen, Mütter mit Kinderwagen und Punker flanieren auf der Straße.

Die einen sagen „läuft alles wie immer“, die anderen schimpfen über Umsatzeinbußen. Die Trennlinie verläuft in etwa auf Höhe der Glashüttenstraße. Während im östlichen Teil Richtung Karolinenstraße alles aussieht wie immer, sind die Schaufenster im westlichen Teil nahezu durchgängig mit Anti-OSZE-Parolen dekoriert. Eine Auswahl: „OSZE, geh, wo du wohnst“, „Wir brauchen keine Gipfel hier im Norden und kein G20 in der Stadt“, „OSZE, du solltest hier nicht sein.“ Für ein mehr oder weniger deutliches „FCK OSZE“ hat sich Mitra, die Inhaberin der Teehandlung Mitali an der Marktstraße, entschieden. „Der Umsatz ist schon am Mittwoch weggeblieben. Gerade jetzt in der Weihnachtszeit ist das bitter“, sagt Mitra, die auch im Karoviertel lebt.

Herrenaussstatter Herr von Eden hat ein Konzert organisiert

Als Anwohnerin nerve sie besonders der Hubschrauber. „Der macht die ganze Nacht Krach, das ist sehr anstrengend.“ Am anderen Ende der Straße zeigt man sich entspannter, einige Händler bestätigen aber: „Viele Kunden denken, dass hier alles gesperrt ist und dass man hier nicht hinkommt, und machen sich deshalb gar nicht erst auf den Weg“, sagt einer von ihnen.

Der Herrenausstatter Herr von Eden hatte für Donnerstagabend ein Konzert des Sängers Timm Völker im Laden organisiert. Laut Geschäftsführer Florian Töbe wolle man damit vermitteln: „Hier geht alles normal weiter.“ Man wolle sich nicht verrückt machen lassen oder gar den Laden dichtmachen, wie es vereinzelt Geschäfte getan haben. „Wir lassen uns nicht provozieren. Und wer weiß, vielleicht will hier ja jemand von den Delegierten einen Anzug kaufen.“ So hätten die italienischen Delegierten gerade um die Ecke im Lokal Pizza gegessen und Bier getrunken. „Ist doch alles prima.“

Ein paar Meter neben dem Wasserwerfer macht Anwohner Harald Lemke die Nachbarschaftsbeete „Keimzelle“ winterfest und erntet die letzten Kartoffeln. Er ist inzwischen ziemlich genervt von allem. Besonders von der „Überwachung aus der Luft“ und von der Polizeipräsenz auf der Straße. „Das ist alles deutlich mehr, als ich gedacht habe.“

Lemke war von Anfang an dagegen, dass das OSZE-Treffen mitten in der Stadt und vor allen Dingen in seiner direkten Nachbarschaft ausgerichtet wird. Und jetzt, wo es so weit ist, fühlt er sich mit all seinen Sorgen bestätigt. „Diese permanente Demonstration von Macht ist anstrengend.“ Was ihn auch nervt: „Dass die Politiker immer so tun, als wären die Kritiker nur linke Querulanten. Aber das sind nun mal die Sorgen der ganz normalen Anwohner.“