Hamburg. Der deutsch-iranische Schriftsteller erhielt am Sonntag den Marion Dönhoff Preis. Ehrenpreis für Hamburger Kleiderkammer.

Vor ein paar Wochen wurde er sogar als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten gehandelt; für sein Buch „Einbruch der Wirklichkeit“ zog er mehrere Wochen lang mit Flüchtlingen durch Osteuropa und die Türkei; seine Rede im Bundestag zum 65. Geburtstag des Grundgesetzes vor zwei Jahren wurde als „Rede des Jahres“ ausgezeichnet; er kennt sich wie kaum ein anderer im Werk des Rockmusikers Neil Young aus; er ist ein glühender Anhänger des 1. FC Köln; bei Lesungen seiner Bücher in Hamburg ging er in Orte wie ein Riesenrad, eine Moschee und ein Bordell: Navid Kermani ist ein magischer Schriftsteller und scharfsinniger Denker, wie es sie nicht viele in Deutschland gibt. Deshalb bekam er im vergangenen Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Am gestrigen Sonntag wurde ihm nun der Marion Dönhoff Preis für internationale Verständigung und Versöhnung verliehen.

Kermani über Amerika

In seiner brillanten halbstündigen Dankesrede im Deutschen Schauspielhaus widmete sich Kermani Amerika. Er erzählte von Erfahrungen, die er vor zwei Jahren bei einer mehrwöchigen Reise durch den Nordosten der USA gemacht hat, und setzte sie in Relation zum Ausgang der Präsidentschaftswahlen. Fast verklärend beschrieb er idyllische Landstraßen in New Hampshire und Maine, freundliche Gespräche in einem Coffeeshop. „Das ländliche Amerika will mit dem Rest der Welt nicht viel zu tun haben“, stellte Kermani fest. Warum „mein Amerika“, wie er sagt, zum Trump-Land geworden sei, erklärte er auch mit dem fehlenden Enthusiasmus für die demokratische Kandidatin Hillary Clinton. Die Aussicht auf Veränderung erzeuge Begeisterung, deshalb habe ihr demokratischer Mitbewerber Bernie Sanders so viele junge Leute erreicht und auch Trump habe von dem „Enthusiasmus-Faktor“ profitiert.

Immer wieder zitierte Kermani aus Songs von Bob Dylan und Neil Young. „Freiheit habe ich von Amerika gelernt“, sagte er. Die Folk- und Rockmusiker der 60er-Jahre waren für ihn Leitfiguren für eine gerechte und bessere Welt. Als „heilige Schriften“ bezeichnete der habilitierte Orientalist deren Plattencover und CD-Booklets. Am Ende seiner Rede erklang Dylans früher Song „Girl From The North Country“, und Navid Kermani sagte: „Ich verneige mich vor Bob Dylan, der in der kommenden Woche den Nobelpreis bekommt.“

Laudatio von Martin Schulz

In seiner Laudatio bezeichnete Martin Schulz (SPD), noch Präsident des Europäischen Parlaments, Kermani als „Brückenbauer zwischen Islam und Christentum“ und „moralische In­stanz“ – ein Ausdruck ganz im Sinne von Marion Gräfin Dönhoff, der langjährigen Chefredakteurin und Mitherausgeberin der „Zeit“, die den mit 20.000 Euro dotierten Preis seit 2003 vergibt. Auch Schulz, ein vehementer Verfechter des europäischen Gedankens, setzt sich in seiner beeindruckenden Rede mit Populismus, Hass und Diffamierung der Presse auseinander. „Es sind die Spalter und Vereinfacher, die das Versagen (der Demokratie) beschwören, um selbst davon zu profitieren. Jene, die für nichts eine Lösung haben, aber für alles einen Sündenbock. Ich halte diese Rhetorik ... für brandgefährlich. Es ist die Rhetorik der 20er- und 30er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts.“

Ehrenpreis für Hamburger Kleiderkammer

Tosenden Beifall erhalten bei der Preisverleihung auch die Mitglieder von Hanseatic Help. Der Verein hatte sich vor einem Jahr gegründet, als 10.000 Flüchtlinge in Hamburg ankamen. Die Messehallen wurden zur größten Kleiderkammer Europas. In einer beispiellosen Aktion sammelten ehrenamtliche Helfer Kleidung und Alltagsbedarf, um die Bedürftigen mit dem Nötigsten auszustatten. Arnd Boekhoff, der junge Vereinsvorsitzende, würdigte das Engagement der vielen Bürger mit dem schlichten Satz: „Wir danken dir, Hamburg, für deine Herzlichkeit.“