Altona. Eine Hamburgerin soll eine Reinigungskraft beleidigt und verletzt haben. Wie aus einer Bagatelle ein handfester Streit wurde.

Der Tag, an dem Karin N. (Name geändert) sich so gebärdete, dass sie auf sich selbst so wirkte wie eine vollkommen Fremde, hätte eigentlich ein schöner Tag werden sollen. Es war der Geburtstag ihres Sohnes, und die 41-Jährige hatte sich für dieses Ereignis einiges vorgenommen. Stattdessen aber, will sie nun den Menschen um sich herum vermitteln, habe sie sich einfach nur furchtbar benommen – und zwar ganz gegen ihre Natur und ihre Überzeugungen, wie sie betont. Sie wirkt verkrampft, als sie dies sagt, aber den Kopf hält sie hoch.

Kann ein Mensch so aus der Rolle fallen? Die Selbsteinschätzung der Karin N. scheint in krassem Widerspruch zu dem Verhalten zu stehen, mit dem die Hamburgerin gleichsam mit der Wucht eines Orkans auf eine Reinigungskraft lostobte und sie mit Beleidigungen und Verletzungen überzogen haben soll. Deshalb steht die 41-Jährige jetzt vor dem Amtsgericht. Laut Staatsanwaltschaft hat sie die Türkin mit den Worten „Geh in dein Land, dies ist mein Land! Lern erst mal Deutsch!“ beschimpft. Zudem soll sie der Frau ins Gesicht gespuckt, sie geschlagen, gewürgt und an den Kopf geschlagen haben. Und sie habe ihr gedroht: „Ich töte dich.“

Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt jede Woche über einen außergewöhnlichen Fall
Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt jede Woche über einen außergewöhnlichen Fall © Andreas Laible / HA

Zunächst ergreift der Verteidiger der Hamburgerin das Wort. Es habe tatsächlich seitens seiner Mandantin ein „intolerables Verhalten“ gegeben, erklärt der Anwalt. „Sie ist über ihr Selbstbild erschüttert.“ Und sie habe wegen des Vorfalls „in Tränen aufgelöst“ bei ihm gesessen. In einem Brief schildert Karin N. die Ereignisse so: Wegen des Geburtstags ihres Sohnes hatte sie für seine Klasse gebacken und wollte am Nachmittag in der Schule die Kuchenform abholen. „Ich war total im Stress.“ Da kam ihr die Aufforderung der Reinigungskraft, den soeben von ihr gewischten und noch nassen Klassenraum nicht zu betreten, wie ein Affront vor. „Und sie sagte es auf respektlose Art.“ Der Wortwechsel sei eskaliert. Und dann habe sie der Frau mit dem Kopftuch gesagt, wenn ihr in Deutschland bestimmte Bräuche nicht passten, könne sie sich „verpissen“. Daraufhin habe die Reinigungskraft sie mit ihrem Schrubber attackiert. „Da kniff ich sie.“ Später habe sie sie noch aufgefordert, „erst mal richtig Deutsch zu lernen. Sie spuckte, ich spuckte zurück. Doch ich habe sie weder gewürgt noch geschlagen“.

Die Angeklagte entschuldigt sich für ihre „rassistische Aussage“

Für ihre „rassistische Aussage“ wolle sie sich „ausdrücklich entschuldigen“, so die Angeklagte weiter. Sie habe die Zuwanderung früher „als Bereicherung empfunden“. Doch vor Jahren sei ihre damals 13 Jahre alte Tochter von einem Afghanen vergewaltigt worden. Das habe bei ihr „rassistische Vorurteile ausgelöst“. Jetzt mache sie mehrere Therapien. „Ich bin überhaupt nicht fremdenfeindlich“, betont die Angeklagte. Ihre beste Freundin sei Türkin. „Und meine Tochter ist halb türkisch.“ Der Vater ihres Sohnes komme aus Südamerika.

Doch es bleiben die massiven Beleidigungen, die die Reinigungskraft als Zeugin erneut schildert. Zudem habe Karin N. sie attackiert, erzählt die 33-Jährige. „Sie packte mich am Hals, drückte fest zu und versetzte mir Faustschläge an den Kopf“, schildert die Zeugin, merklich aufgewühlt. „Um mich zu schützen, habe ich sie weggeschubst.“ Schließlich habe die 41-Jährige noch gedroht: „Ich bringe dich um.“ Sie habe Angst bekommen, fährt die Reinigungskraft fort, und später „geweint und geweint. Das war ungeheuerlich. Ich hatte Panik“. Sie habe wegen der Übergriffe unter Albträumen gelitten und sich eine andere Arbeit suchen müssen. „Ich will, dass hier Gerechtigkeit waltet.“

Ein Vorstoß des Verteidigers, ob das Verfahren noch gegen Zahlung eines Schmerzensgeld eingestellt werden könne, scheitert. „Es ist eskaliert, was nicht eskalieren durfte“, meint die Staatsanwältin, und die Amtsrichterin hält die Tat für „viel zu heftig“. Ihre Anregung: Die Angeklagte nimmt ihren Einspruch gegen einen Strafbefehl, also ein früheres schriftliches Urteil, zurück, das die Verhängung einer Geldstrafe vorsah. Karin N. akzeptiert diesen Vorschlag, damit wird nun eine Verurteilung zu 90 Tagessätzen à 30 Euro rechtskräftig. Es sei ihr Wunsch, „zu befrieden“, erklärt ihr Anwalt. „Sie ist massiv bemüht, an sich zu arbeiten.“ Die Angeklagte hat es zuvor so formuliert: „Ich möchte nicht, dass Völkerverständigung und kulturelle Vielfalt kaputt gehen.“