Hamburg. Damals hatte schon fast jedes zweite Haus eine Toilette. Erstaunliche Zahlen aus einer langen Statistik.

Es sind Zahlen, die mitten aus dem Leben kommen: Jede dritte Geburt in Hamburg ist ein Kaiserschnitt. Oder: Die Bevölkerungszahl der Hansestadt stieg im Jahr 2015 auf 1,787 Millionen. Diese und viele andere Daten werden kontinuierlich vom Statistischen Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein erhoben, gesammelt und analysiert. Die Hamburger Abteilung residiert im Gotenhof in der Altstadt, durch den in diesen Tagen ein Hauch von Geschichte weht. Denn das Statistikamt verkündete jetzt in eigener Sache und mit gebührendem Stolz: „150 Jahre amtliche Statistik in Hamburg“.

Seit November 1866 schon werden relevante Daten über Bevölkerungszahlen, Wohn- und Einkommensverhältnisse und vieles andere statistisch in der Hansestadt erfasst – ein Meilenstein der regionalen Demografie.

Mit Grafiken wurden die Daten zur
Cholera-Epidemie
1873 aufbereitet
Mit Grafiken wurden die Daten zur Cholera-Epidemie 1873 aufbereitet © Statistik Nord

„Amtliche Statistik ist keinesfalls so nüchtern, wie es im ersten Moment erscheint“, sagte Renate Cohrs (58), die heutige Vorständin des Statistischen Amts für Hamburg und Schleswig-Holstein, dem Abendblatt. „Alles, was hier im Statistikamt Nord erhoben und veröffentlicht wird, ist ein direkter Querschnitt unseres alltäglichen Lebens.“

Der Wunsch nach einer staatlichen Statistik entsprach im 19. Jahrhundert ganz dem Zeitgeist und den Ansprüchen der wirtschaftlich aufstrebenden Hansestadt. Deshalb erfolgte die Einsetzung eines „neuen Beamten bei der Steuer-Deputation“ nach einer Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft vom 16. April 1866 recht zügig. Der Beamte sollte das „neu zu errichtende Bureau für die Steuerstatistik“ leiten und die Mehrarbeit durch die Einführung der Einkommenssteuer unterstützen.

So übernahm vor genau 150 Jahren der volkswirtschaftlich bewanderte Gold- und Silberwarenhändler Johann Christoph Friedrich Neßmann die Leitung des gut zehnköpfigen „Bureaus für Steuerstatistik“. Diese Funktion übte er immerhin bis 1883 aus; ein Jahr später starb er an den Folgen eines chronischen Gelenkrheumatismus.

Es war eine Zeit, in der die Arztdichte mit der medizinischen Versorgung heute kaum zu vergleichen ist. Im Jahr 1871 kamen auf einen Arzt in Hamburg exakt 485 Einwohner, hatte das „Bureau für Steuerstatistik“ damals erhoben. Nach Angaben des Statistikamts war es 2015 ein Mediziner für 386 Einwohner.

Lebenserwartung bei durchschnittlich 39 Jahren

Zu den ersten Amtshandlungen des „Statistik-Bureaus“ der Hansestadt gehörte eine Volkszählung, mit der auch die Wählerliste für die Parlamentswahl des Norddeutschen Bundes erhoben wurde. Weil die heutige Größe des Stadt- und Staatsgebiets mit der damaligen nicht zu vergleichen ist, ergab die erste per Fragebogen durchgeführte Volkszählung im Dezember 1866 rund 213.800 Einwohner. Die Lebenserwartung der Menschen im 19. Jahrhundert lag, bedingt durch die hohe Kindersterblichkeit, durchschnittlich bei 39 Jahren. Laut Statistik von 1872 starben allein 28 Prozent der Kinder im ersten Lebensjahr. Als Todesursachen werden in der Statistik von 1873 unter anderem Lebensschwäche (16 Prozent), Schwindsucht (11,4 Prozent) und akute Infektionskrankheiten (23 Prozent) genannt.

Heute werden Hamburger Frauen im Schnitt 83 und Männer 78 Jahre alt. Noch unter der Leitung des Volkszählers Neßmann mussten die Statistiker erstmals auch die Zahl der Toten und Erkrankten der Choleraepidemie von 1873 nach Berlin melden.

An der Bleichenbrücke hatte das Statistik-Büro
seinen ersten Sitz
An der Bleichenbrücke hatte das Statistik-Büro seinen ersten Sitz © Statistik Nord

Akribisch wurden neben Datum und Geschlecht auch die Tagestemperatur, die Regenmenge und der Luftdruck erfasst. Bekanntlich waren die hygienischen Bedingungen vor allem in den Gängevierteln katastrophal. Was zur Folge hatte, dass bei der viel schwereren Epidemie 1892 rund 8600 Menschen ums Leben kamen. Bei seiner Hamburg-Visite war der Direktor des Berliner Hygienischen Instituts, Robert Koch, entsetzt: „Ich habe noch nie solche ungesunden Wohnungen, Pesthöhlen und Brutstätten für jeden Ansteckungskeim angetroffen wie in den sogenannten Gängevierteln (...). Ich vergesse, daß ich mich in Europa befinde.“ Der Blick in die statistischen Annalen belegt allerdings, dass die hygienischen Bedingungen keineswegs überall so schlimm waren. Das „Statistische Bureau der Steuerdeputation“ ermittelte damals, dass 45 Prozent aller Wohnungen im hamburgischen Staatsgebiet über Wasserklosetts verfügen. Zum Vergleich: in Berlin waren es gerade mal 8,7 Prozent.

Während des Ersten Weltkrieges übernahm das nunmehrige Statistische Amt unter anderem die Ausgabe von Lebensmittelkarten und die Vermittlung von Wohnungen. Zu einem enormen Bevölkerungs- und Gebietszuwachs führte das Groß-Hamburg-Gesetz von 1937, mit dem solche Städte wie Altona und Wandsbek Teil Hamburgs und seiner amtlichen Statistik wurden.

Umbenennung von 1665 Straßen

Noch kurz vor Kriegsende lieferten die Mitarbeiter ihre Zahlen und Daten pflichtgetreu an das Reichsamt – darunter die „Schlachtungsstatistik für den Februar 1945“ und die Übersicht „Ermittlungen über die Stutenbedeckungen 1944“.

Nach dem Krieg arbeitete das Amt an der Umbenennung von 1665 Straßen mit. Es folgten später Volkszählungen und schließlich 2004 die Fusion des Statistischen Landesamts Hamburg mit der Schwesterbehörde in Schleswig-Holstein. Seit sechs Monaten steht die Volkswirtin Renate Cohrs an der Spitze dieser Institution. Für sie und ihre Mitarbeiter sei es eine „große Freude, die Menschen mit verlässlichen und objektiven Daten zu versorgen“ – in einer Zeit der kaum versiegenden Datenflut.