Hamburg. 1621 Übergriffe in einem Jahr. Angriffe mit Gabeln und Hämmern. Jobcenter in Hamburg sind besonders betroffen.
Tatort Amtsstube: In den Hamburger Behörden und Ämtern (ohne Polizei) ereignen sich pro Arbeitstag durchschnittlich mehr als sechs Übergriffe. Wie aus einer Analyse des städtischen Personalamts hervorgeht, die dem Abendblatt vorliegt, meldeten die Beschäftigten im öffentlichen Dienst 2015 insgesamt 1621 Übergriffe verbaler, psychischer oder physischer Art. Allein 218-mal wurden Beschäftigte im Vorjahr körperlich und teils mit gefährlichen Gegenständen wie Gabeln, Thermoskannen, Stuhlbeinen und Fleischerhämmern angegriffen.
Fünf Bedienstete erlitten schwere Verletzungen, elf mussten vorübergehend, drei dauerhaft dienstunfähig geschrieben werden. Bei den Tätern handelt es sich weit überwiegend um Männer. 222-mal erteilten die Ämter Hausverbote, in 217 Fällen erstatteten die Opfer Strafanzeige.
Beleidigungen, Beschimpfungen und Bedrohungen
Wie schon in den Jahren zuvor nehmen in der Statistik die 16 Jobcenter von team.arbeit (ehemals Arbeitsämter) in der Statistik den Spitzenplatz ein. 622 Anfeindungen durch wütende Kunden mussten die Mitarbeiter im Vorjahr erdulden – immerhin 77 weniger als 2014. In keiner anderen Hamburger Behörde sahen sich die Beschäftigten so oft Beleidigungen, Beschimpfungen und Bedrohungen gegenüber.
Körperliche Attacken auf Jobcenter-Mitarbeiter waren aber vergleichsweise selten. Bei dem Angriff eines 56-Jährigen, der am vergangenen Montag seine im Jobcenter am Friedrich-Ebert-Damm (Tonndorf) arbeitende Noch-Ehefrau mit einem halben Liter Salzsäure überschüttete und verletzte, handelt es sich um einen drastischen Einzelfall. Fast dreimal so viele Übergriffe wie im Vorjahr gab es allerdings in den Kfz-Zulassungsstellen (2015: 87; 2014: 33). Dabei handelte es sich in erster Linie um Verbalattacken.
Angriff mit Salzsäure im Jobcenter Wandsbek
Hingegen meldeten Lehrer und Erzieher dem Personalamt besonders häufig Fälle körperlicher Gewalt. „Bei den Angriffen wurden unter anderem ein Metallstab und eine Pfefferspraydose eingesetzt“, sagt Bettina Lentz, Leiterin des Hamburger Personalamts. Allerdings ist die Zahl der Attacken auf das Schulpersonal stark gesunken: von 157 im Jahr 2014 auf 69 im Jahr 2015.
Weniger Übergriffe sind auch im Landesbetrieb Erziehung und Berufsbildung aktenkundig geworden. Der LEB betreibt viele Erstversorgungseinrichtungen für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Doch auf keine Bediensteten der Stadt Hamburg waren 2015 so viele Attacken mit (gefährlichen) Gegenständen verübt worden wie dort – acht der 36 registrierten Übergriffe fallen in diese Kategorie.
Meisten Vorfälle im Bezirksamt Wandsbek
Insgesamt ist die Zahl der Übergriffe 2015 leicht zurückgegangen. Im Jahr davor hatte es mit 1766 Fällen noch 145 Attacken mehr gegeben. Allein ein Viertel aller Übergriffe wurde 2015 aus den sieben Bezirksämtern der Stadt gemeldet. Die meisten Vorfälle – vor allem Pöbeleien und Bedrohungen – verzeichnete das Bezirksamt Wandsbek (126). Körperliche Angriffe auf Bedienstete gab es vor allem im Bezirksamt Altona – 54 wurden hier im Vorjahr gezählt. In sechs Fällen gingen die Täter sogar mit gefährlichen Gegenständen auf die Bediensteten los, einer wurde schwer verletzt.
Ursache dafür seien Probleme bei den Zwangsvorführungen psychisch kranker Menschen, die in Altona amtsärztlich untersucht werden und bei denen gegebenenfalls eine Zwangsunterbringung angeordnet werde, sagt Bettina Lentz. Dies führe nicht selten zu „Gefahrenlagen“.
Gefährlicher als ihre Kollegen in den meisten Ämtern leben auch Feuerwehrleute und Bedienstete im Strafvollzug. Die Angreifer gingen unter anderem mit Tischbeinen, Taschenmessern, Holzlatten und Schuhen auf sie los. Drei der fünf im Vorjahr schwer verletzten Behördenmitarbeiter sind im Strafvollzug tätig. Während die Zahl der Übergriffe im Strafvollzug von 104 auf 81 leicht zurückging, ist sie bei der Feuerwehr von 27 auf 45 gestiegen. Vier Feuerwehrleute waren danach zeitweise nicht mehr diensttauglich.
Hohe Dunkelziffer
Die Dunkelziffer dürfte noch deutlich höher liegen, wie die Doktorandin Janina Lara Dressler in einer empirischen Studie für das kriminologische Institut der Universität Bonn mit Hunderten von Hamburger Feuerwehrleuten herausfand: Bei ihren Recherchen war ihr von 1600 „strafrechtlich relevanten Übergriffen“ berichtet worden. Insbesondere im rettungsdienstlichen Bereich werden demnach Feuerwehrleute immer wieder misshandelt und drangsaliert. Die Diskrepanz zu den deutlich niedrigeren offiziellen Zahlen erklärt Dressler damit, dass viele Feuerwehrleute keine Anzeige erstatten, weil sie den bürokratischen Aufwand scheuten. Als frustrierend empfänden es die Betroffenen zudem, dass die Täter nur in den allerwenigsten Fällen verurteilt würden.
Handlungsbedarf sieht der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Dennis Gladiator: „Der Senat muss seiner Fürsorgepflicht nachkommen und alles tun, um die Mitarbeiter der Verwaltung besser vor An- und Übergriffen zu schützen.“ Um die Staatsdiener auf den angemessenen Umgang mit wütenden Kunden vorzubereiten, bietet die Stadt seit Jahren Schulungs- und Sicherheitstrainings, Kommunikationskurse und Übungen in deeskalierender Gesprächsführung an.
Für den Notfall gibt es einen Alarmknopf
Im Notfall kann, etwa in den Jobcentern, ein Alarmknopf betätigt werden. Gladiator: „Neben der Durchführung von Deeskalationstraining ist auch über den Einbau von Fluchttüren und die Ausstattung mit Schutzwesten beispielsweise für die Feuerwehr nachzudenken. Hier muss es eine Null-Toleranz-Linie geben.“
Allerdings hat die Feuerwehr-Führung der Forderung nach stich- und schlagdämpfenden Schutzwesten, wie sie auch der Berufsverband der Feuerwehr verlangt, eine Absage erteilt. Der Fokus liege eindeutig auf Vorbeugung.