Hamburg. Es gibt zu wenig Bereitschaftspflegeeltern für Kinder in Not. Von 283 Anfragen konnten 17 Kinder vermittelt werden.
Ein leeres Haus mögen die Spiekermanns nicht. Deshalb holen sich die Eltern von vier erwachsenen Kindern, die mit zwei Hunden und zwei Katzen zusammenwohnen, seit 20 Jahren Leben in ihr Wandsbeker Reihenhaus: Sie geben fremden Kindern ein Zuhause auf Zeit. Es sind Kinder, die nicht in ihren Familien bleiben können, weil dort ihr Wohl gefährdet ist.
Gerd und Heike Spiekermann engagieren sich als Bereitschaftspflegeeltern. 68 Kinder, das jüngste war drei Wochen alt, das älteste 18, haben in ihrer Familie in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein Zuhause gefunden. Die Stadt ist auf Menschen wie die Spiekermanns angewiesen, weil die Nachfrage nach solchen Plätzen höher ist als das Angebot. 26 Bereitschaftspflegefamilien mit 32 Plätzen gibt es derzeit. „Viel zu wenig“, sagt Ralf Portugall vom Verein Pfiff, der im Auftrag der Stadt Bereitschaftspflegefamilien sucht. Seit Jahresbeginn hatte der Verein 228 Anfragen von Jugendämtern für 283 Kinder und konnte lediglich 17 Kinder in Familien vermitteln. Und auch die fünf Kinderschutzhäuser mit 63 Plätzen sind belegt. Jugendamtsmitarbeiter schlagen Alarm, weil sie in Notfällen Kinder kaum unterbringen können (wir berichteten).
Die Kinder bekommen Geborgenheit und Ruhe
„Kinder bringen Leben ins Leben“, sagt Heike Spiekermann. Und das ist einer der Gründe, warum sie und ihr Mann, NDR-Urgestein Gerd Spiekermann („Hör mal’n beten to“), so gern Kinder um sich habe. Als ihr jüngster Sohn vier Jahre alt war und feststand, dass sie kein fünftes Kind bekommen, kam das Paar auf die Idee, sich als Bereitschaftspflegeeltern zu engagieren. Und das tun sie immer noch, obwohl sie mit 61 und 64 Jahren bereits Großeltern sind und vier Enkelkinder haben. Bereitschaftspflege bedeutet, dass sie Kindern in Notsituationen (weil die Mutter psychisch krank ist, es keinen Vater gibt, weil es vernachlässigt oder misshandelt wird) ein Zuhause bieten, dass sie ihnen Geborgenheit, Sicherheit und Struktur geben. Höchstens für ein halbes Jahr, dann sollen die Kinder langfristig untergebracht werden oder zu ihren leiblichen Eltern zurückkehren.
Gerade sind die Spiekermanns von einem sechsmonatigen Argentinien-Aufenthalt zurückgekommen. Gleich danach hatten sie wieder Nachwuchs im Haus: Seit knapp zwei Wochen leben die 17-jährige Lisa und die 13-jährige Melanie (Namen geändert) bei ihnen als Pflegekinder. Zusätzlich haben sie Räume an zwei Jungs aus Bangladesch untervermietet, die beiden sind aber keine Pflegekinder. Das Reihenhaus der Spiekermanns hat 8,5 Zimmer – Platz ist da. Aber es geht um viel mehr. „Wir bieten ihnen Ruhe, Verlässlichkeit und feste Regeln“, sagt Gerd Spiekermann. Sie geben das, was für diese Kinder nicht normal ist: saubere und ordentliche Kleidung, vor allem Mutter und Vater.
Die ersten Pflegekinder brachten Läuse ins Haus
An das erste Geschwisterpärchen in ihrer Obhut erinnern sich beide noch gut: Sie waren fünf und sieben Jahre alt und brachten jede Menge Läuse ins Haus. Oder der vietnamesische Säugling, den Frau Spiekermann aus dem Krankenhaus abgeholt hatte, weil die leibliche Mutter psychisch schwer krank war. Ein halbes Jahr blieb die Kleine bei ihnen. Die Spiekermann-Kinder hatten das Baby so ins Herz geschlossen, dass beim Abschied Tränen flossen. Ein Baby kommt Gerd Spiekermann nicht mehr ins Haus: Die Nächte mit einem schlaflosen Baby sind zu anstrengend.
Es gab auch Situationen, in denen das Kind frühzeitig gehen musste: wie der 16-Jährige, der das Wort „nein“ nicht akzeptierte und die Möbel zerschlug, Türen vor Wut eintrat. Diese Gewaltausbrüche konnten sie nicht akzeptieren. „Der Junge war ein Straßenkind und schwer traumatisiert“, sagt Gerd Spiekermann fast entschuldigend. Obwohl diese Pflegschaft mit Krach zu Ende ging, kam der Junge später noch zu Besuch. „Wir sind immer offen für unsere Kinder“, sagt Frau Spiekermann.
Ein bis zwei ihrer Pflegekinder waren gewalttätig. Ein anderes hatte sie beklaut. Der Unterschied zu den eigenen Kindern: „Man hat keine Erwartungen und kann auch nicht enttäuscht werden“, sagt Gerd Spiekermann. Es gehe bei null los. „Wir nehmen die Kinder so, wie sie sind.“ Er erziehe die Kinder nicht und stelle nur wenige Regeln auf. Zum Beispiel: Ab 20 Uhr sollen alle in ihre Zimmer, „damit wir ein wenig Privatsphäre haben.“
Heike Spiekermann liebt Herausforderungen
„Diese Arbeit ist der Hammer“, sagt Heike Spiekermann und lacht. Am liebsten seien ihr ältere Kinder. „Wir mögen die verbale Auseinandersetzung. Das finde ich total spannend.“ Die Frau mit dem Kurzhaarschnitt ist eine, die Herausforderungen liebt. Es macht sie glücklich. Was sie und viele andere Pflegeeltern verbindet: Sie sind Christen, haben selbst leibliche Kinder. Und sie bringen die nötige Gelassenheit und Wärme mit. Ohne geht es auch nicht.
Sobald die Kinder zurück zu ihren Eltern können oder in eine dauerhafte Pflegefamilie, bereiten die Spiekermanns es psychologisch darauf vor. Das macht die Trennung für alle leichter. „Wir lassen nie einen Zweifel daran, dass wir das Kind nur vorübergehend betreuen.“ Das macht es auch den leiblichen Eltern leichter, das Ehepaar Spiekermann nicht als Konkurrenz zu sehen.
Die größte Unterstützung bekommen Gerd und Heike Spiekermann übrigens von Fenja und Nele. Die beiden verschmusten Hündinnen sowie die Katzen seien die besten Therapeuten für die Kinder.