Hamburg. Diesmal engagiert sich Abendblatt-Reporterin Miriam Opresnik im grünen Ehrenamt und lernt, was es mit „Entkusseln“ auf sich hat.
Freiwillig? Von wegen! Fühle mich gerade weder frei noch willig. Wenn es nach mir ginge, müsste diese Folge nicht grünes Ehrenamt heißen – sondern grüne Zwangsarbeit. Denn von Freiwilligendienst kann gar keine Rede sein. Bin nur hier, weil mein Chef darauf bestanden hat, dass ich im Rahmen der Serie auch bürgerschaftliches Engagement zeige. Für die Umwelt. Nachdem ich mich vor dem ersten Einsatz bei der Frosch- und Krötenwanderung im Frühling angesichts meiner leichten bis mittelschweren Batrachophobie (Sie wissen schon! Angst vor Fröschen und so) gerade noch drücken konnte, gibt es jetzt keine Ausreden mehr. Bin zur Biotop-Pflege verdonnert worden. An einem Sonnabend! Meinem freien Tag!
Dabei hatte ich mir das ganze Thema im Vorfeld so schön ausgemalt. Hatte mir vorgestellt, dass ich mit einigen Ehrenamtlichen über ihr Engagement spreche, ein paar Umweltprojekte in Hamburg vorstelle und die Freiwilligentätigkeit über den grünen Klee lobe. Nicht vorgestellt habe ich mir hingegen, dass ich selbst mit schockgefrorenen Füßen in Gummistiefeln durchs Moor stapfe, um irgendwas zu „entknusseln“ – oder so.
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Ent - was??? Genau! Habe wieder einmal keine Ahnung, wovon die Rede ist, als mich Jürgen Hoppe vom Naturschutzbund Hamburg ein paar Tage zuvor am Telefon in den Arbeitseinsatz einweist. Hoppe ist 79, stellt sich aber mit Vornamen vor. Weil das in seiner Gruppe so üblich sei. Seine Gruppe, das ist die NABU-Stadtteilgruppe Langenhorn/Fuhlsbüttel, die sich für die Natur in ihrem Stadtteil einsetzt. Einmal in der Woche, immer Montagmorgen, treffen sich die Mitglieder zu Arbeitseinsätzen. Sie pflegen Laichgewässer für Amphibien, beschneiden Knicks, stellen Nisthilfen auf, sammeln Müll, entschlammen Teiche, betreuen im Auftrag der Stadt Hamburg die beiden Naturschutzgebiete Raakmoor und Rothsteinsmoor. 20 Mitglieder hat die Gruppe, fünf bis zehn von ihnen kommen zu den Arbeitseinsätzen. Die meisten sind Rentner, ein paar Freiberufler, die sich ihre Zeit selbst einteilen können.
Jürgen Hoppe packt an, wo er kann. „So gut er kann“, sagt er. Das Alter macht ihm manchmal zu schaffen. Trotzdem, oder gerade deswegen, wolle er nicht nur in der „Karibik rumtingeln“, wie er es nennt. Sondern sich engagieren. Was tun. „Und wo ginge das besser als vor der Haustür – und im Naturschutz?“ Es ist keine Frage. Es ist ein Statement. Ein Aufruf. Ein Appell. An alle. „Ich weiß, wie schwer gesellschaftliches Engagement ist, wenn man Kinder hat, berufstätig ist“, sagt Jürgen Hoppe. Er hat selbst drei Kinder, war früher Oberregierungsrat. Engagiert hat er sich trotzdem, auch damals. Weil er findet, dass jeder was für die Gesellschaft tun sollte, jeder ein bisschen Zeit aufbringen kann. Egal, wie viel oder wenig es ist.
Doch Jürgen Hoppe will nicht der Moralapostel sein. Er will niemanden ermahnen, sondern animieren. Motivieren. Er will Gelegenheiten schaffen, damit sich jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten engagieren kann. So wie bei den Pflegeeinsätzen, die die Nabu-Stadtteilgruppe einmal im Monat veranstaltet. Am Sonnabend. „Damit auch Berufstätige mitmachen können“, sagt Jürgen Hoppe. Ich sage lieber nichts, recherchiere aber nebenbei im Internet, was es eigentlich mit diesem „entknusseln“ auf sich hat, von dem ständig die Rede ist. Vermute mal, dass es irgendwas mit knusseln zu tun hat. Mit werkeln, herumwirtschaften, rumtüdeln. Oder so.
Zwei Tage später ist klar, dass ich damit genauso falsch liege wie mit meiner Klamottenauswahl. Die Jacke ist zu dick und zu eng für einen Arbeitseinsatz, die Gummistiefel hingegen zu dünn und zu kalt für einen feuchten Oktobertag im Moor. Füße und Stimmung sind am Gefrierpunkt. Die Sache ist klar: Wenn ich mich noch mal für die Umwelt engagieren muss, betreue ich in irgendeiner Schule eine Umwelt-AG oder verteile Infobroschüren an Passanten. An einem Arbeitstag! Im Einkaufszentrum! Da ist es wenigstens schön warm. Und die Gefahr, sich dabei zu blamieren, ist vermutlich auch geringer als bei dem Versuch, ein Moor zu entknusseln – das eigentlich entkusselt werden muss.
Dass damit das Entfernen unerwünschter Gehölze – sogenannter Kusseln – gemeint ist, damit seltene Pflanzen erhalten bleiben, weiß ich natürlich wieder einmal nicht. Das erfahre ich wenig später von Bettina Amedick (50) Einsatzeiterin der Stadtteilgruppe, die den Arbeitsauftrag für den heutigen Vormittag umreißt: Das Schilf am Teich muss zurückgeschnitten und der aufkommende Gehölzwuchs von Birke und Weide auf der Heidefläche entfernt werden.
Klingt erst mal recht leicht. Zumindest in der Theorie, in der Vorbesprechung. Als wir uns um kurz vor zehn Uhr auf dem Parkplatz am Krohnstieg treffen, von dem wir gemeinsam losgehen wollen. Als wir erfahren, wie wichtig es ist, die Birken mit Wurzeln herauszureißen und das Schilf tief genug abzuschneiden. Als wir uns mit Arbeitsgeräten ausrüsten, Spaten, Ast-, Hecken- und Gartenscheren in Schubkarren packen. Und als mich so was wie Aufbruchstimmung überkommt, Unternehmungslust. In diesem Moment kann ich es kaum erwarten anzupacken, loszulegen. Mich zu engagieren. Weil die Aufgabe diesmal so klar ist. Und weil es sich gut anfühlt, nicht alleine zu sein. Sondern in einem Team tätig zu sein.
Es ist jeden Tag ein Krampf
Wir sind 16 Personen an diesem Morgen. Nicht nur Leute von der Nabu-Stadtteilgruppe, sondern auch viele Freiwillige, die sich nicht regelmäßig engagieren, sondern nur ab und zu mitmachen. Die was für die Umwelt tun wollen, sich aber nicht fest einem Verband oder Verein verpflichten wollen. Die sich für den Umweltschutz interessieren, aber trotzdem nicht alles umsetzen können, was sie wollen. Und die nicht auf andere herabschauen, andere verurteilen.
Wenn ich in den vergangenen Monaten mit Naturschützern über mein Projekt und meine Probleme gesprochen habe, habe ich mich oft als Außenseiterin gefühlt. Als Verliererin, manchmal sogar als Versagerin. Weil ich immer vor Augen geführt bekommen habe, wie mühelos die anderen das umsetzen, woran ich verzweifele. Weil ich erfahren musste, dass viele, die schon lange grün leben, nicht mehr wissen, wie anstrengend der Weg dorthin ist. Dass sie anscheinend vergessen haben, wie schwierig es ist, grün zu werden. Oder dass sie es selbst nie so empfunden haben und es deswegen nicht nachvollziehen können, dass es ein Kampf ist. Ein Krampf. Jeden Tag.
Heute ist das anders. Heute habe ich nicht das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen, entschuldigen zu müssen. Ich habe nicht das Gefühl, etwas vorspielen zu müssen, sondern ehrlich sein zu dürfen. Zugeben zu dürfen, dass ich keine Ahnung vom Entkusseln habe. Dass ich mich zum ersten Mal im Naturschutz engagiere. Und ja, selbst das: dass ich eigentlich nicht freiwillig hier bin.
Doch das spielt keine Rolle. Es geht nicht darum, warum jemand heute hier ist. Sondern dass man überhaupt hier ist. Dass man mitmacht. Anpackt. „Für uns zählt jeder Helfer – und jede Stunde Arbeitseinsatz“, sagt Bettina Amedick. Denn ohne diese zusätzlichen Helfer bei den monatlichen Arbeitseinsätzen könnten sie die Aufgabe nie bewältigen.
Mit einer Nagelschere den Rasen im Garten schneiden?
Die Aufgabe, die auf dem Parkplatz in der Vorbesprechung so einfach schien – und die einem wenig später im Moor sprichwörtlich über den Kopf zu wachsen scheint. Im Nachhinein kann ich nicht mehr sagen, was ich mir genau vorgestellt habe. Vermutlich ein paar Schilfhalme am Rand eines Teichs. Was ich mir nicht vorgestellt habe, ist eine rund 80 Quadratmeter große Fläche, die mit riesigen Schilfpflanzen überwuchert ist. Mit mannshohen Schilfhalmen und daumendicken Rohren. Und das sollen wir mit unseren Gartenscheren beseitigen? Kommt mir vor, als ob ich mit einer Nagelschere den Rasen im Garten kürzen soll. Unmöglich. Und irgendwie unnötig! Wächst doch sowieso wieder, oder? „Und genau deswegen muss es weg! Weil Schilf so dominant ist, dass es andere Pflanzen und Gräser verdrängt“, sagt Bettina Amedick, bevor sie selbst zur Schere greift und loslegt.
Ich bin immer noch unschlüssig, wie ich vorgehen soll. Überlege krampfhaft, wie man die Sache vereinfachen kann. Vielleicht mit einer Kettensäge? Bettina lacht. „Viel zu gefährlich“, sagt sie und macht unbeirrt weiter. Es hilft nichts. Ich muss ran. Und verzweifle schon nach den ersten Rohren, die so dick sind, dass ich die Schere kaum zusammengedrückt bekomme. Himmel, ist das anstrengend. Und falsch ist es auch noch. „Musst ein bisschen tiefer abschneiden. So ist’s zu hoch“, sagt Jürgen, der selbst mit tief gebeugtem Rücken mitten im Schilf steht und die Rohre dicht unter der Wasseroberfläche abschneidet. Schon beim Zuschauen bekomme ich Rückenschmerzen – und ein schlechtes Gewissen, weil Jürgen trotz des Altersunterschieds von fast 40 Jahren so viel fitter ist als ich. Würde mich am liebsten hinknien, um mich nicht so tief runterbeugen zu müssen, doch der Boden ist überall nass. Klar, wir stehen ja am Teichufer. Vielleicht in die Hocke gehen? Nein, zu wackelig, kein Halt auf dem matschigen Untergrund. Also doch beugend arbeiten. Wenn das mein Orthopäde sehen würde!
Ein paar von den anderen haben Latzhosen aus Gummi an. Vorhin, beim Treffen auf dem Parkplatz, habe ich mich kurz gewundert, warum Erwachsene derlei Matschhosen tragen, die ich sonst nur aus dem Kindergarten kenne. Jetzt weiß ich es besser: die sind nicht zum Hinknien oder Rummatschen. Sondern, damit man ins Wasser waten kann, um dort zu arbeiten. Während ich mit meinen Gummistiefeln nur am Ufer arbeiten kann und mir trotzdem nasse Hosenbeine hole, stehen die anderen bis zur Hüfte im Wasser. Und bleiben trocken. „Aber kalt ist es“, sagt Gaby. Sie hat fast zwei Stunden im Wasser gearbeitet, jetzt macht sie Pause und erzählt. Dass sie 48 Jahre alt und IT-Beraterin ist. Dass sie zum dritten Mal bei einem der monatlichen Arbeitseinsätze dabei ist. Und dass sie diese Art des Engagements so toll findet, weil es so ungezwungen ist. Nicht verpflichtend. Freiwillig.
Ich habe den Kampf mit der Schere aufgegeben und trage stattdessen die abgeschnittenen Schilfrohre weg, die Gaby und die anderen gekappt haben. Die Bündel sind leicht, aber so lang und unhandlich, dass ich ständig über herunterhängende Blätter stolpere. Immer wieder stapfe ich die kleine Anhöhe rauf, lade das Schilf ab, marschiere zurück zum Teichufer und klemme mir ein neues Bündel unter den Arm. Rauf, abladen, runter, abladen. Rauf, abladen, runter, abladen.
Zwei Stunden wird gearbeitet, dann ist Mittagspause. Wir stellen gemeinsam Bierbänke auf, decken den Tisch, verteilen Brötchen und Kekse. Die Brötchen hat Bettina Amedick geschmiert, 50 Hälften. Heute morgen, ganz früh, vor dem Einsatz. Auch das ist Ehrenamt.
Als der Einsatz zu Ende ist, erlaube ich mir eins jener heißen Vollbäder, die es in unserem angehenden Öko-Haushalt sonst kaum noch gibt. Dabei denke ich an die rund 31 Millionen Menschen in Deutschland, die sich ehrenamtlich engagieren. 3,5 Prozent von ihnen im Umwelt-, Natur- oder Tierschutz. Ich weiß nicht, ob ich eines Tages zu dieser Gruppe gehören werde. Ob ich zusätzlich zu meinem Engagement in der Kinderkirche noch ein weiteres Ehrenamt übernehmen werde. Aber ich weiß, dass ich nicht im Umweltschutz aktiv sein muss, um aktiv etwas für die Umwelt zu tun. Nächsten Monat werde ich das Thema mal in der Kinderkirche ansprechen. Und hoffen, damit einen Grundstein zu legen. Damit die Kinder von heute zu Umweltschützern von morgen werden. Freiwillig.