Hamburg. Seit Januar sind drei Radfahrer in Hamburg bei Kollisionen mit Lkw gestorben. Betroffene werden immer wieder von Lkw-Fahrern übersehen.

Erst ein Blick in den Rampenspiegel, dann ein Blick in den Anfahrtsspiegel – erst dann sollte ein Lkw-Fahrer aufs Gaspedal treten. Hinter dem Lenkrad eines Lastwagens ist die Sicht auf die unmittelbare Umgebung alles andere als optimal: Links und rechts, aber vor allem direkt vor der Führerkabine befinden sich „tote Winkel“, die der Fahrer nicht einsehen kann. Ein bekanntes Problem, das aber in diesem Jahr zu steigenden Unfallzahlen mit tödlicher Folge geführt hat. Betroffen sind vor allem Fußgänger und Fahrradfahrer, die leicht von Lkw-Fahrern übersehen werden können.

Seit Jahresbeginn sind in Hamburg allein bei Unfällen zwischen Lkw und Fahrradfahrern bereits drei Menschen tödlich verunglückt. Vergangenes Jahr gab es keine Unfälle dieser Art mit Todesfolge. Erst vor zwei Wochen kam es zu zwei folgenschweren Unfällen: Ein elfjähriger Junge wurde in Ochsenwerder von einem Lastwagen überrollt. Einen Tag darauf starb eine 19 Jahre alte Radfahrerin auf der Wandsbeker Chaussee in Eilbek. Der Lkw-Fahrer hatte sie beim Rechtsabbiegen übersehen und überfuhr die junge Frau. Sie starb noch an der Unfallstelle.

Im toten Winkel können Schulklassen „verschwinden“

„Wir möchten alle Verkehrsteilnehmer dafür sensibilisieren, wie gefährlich der tote Winkel ist“, sagt Polizeibeamtin Cécile Poirot, verantwortlich für Präventionsarbeit. Auf der Straße Lange Mühren (Altstadt) hat die Polizei einen Lastwagen aufgestellt – die Fläche, die als toter Winkel bezeichnet wird, ist mit einer orangefarbenen Plane und Kreide markiert. Wie groß dieser ist, hängt davon ab, wie groß der Lkw-Fahrer ist und auf welcher Höhe er sitzt.

Auch die Haltung der Fahrer am Steuer sei entscheidend, sagt Lkw-Fahrer Ralf Frickel. „Natürlich sehe ich mehr, wenn ich aufrecht sitze.“ Er erklärt interessierten Passanten „seinen“ Arbeitsplatz. „Vor jeder Abfahrt sollte jeder Fahrer die Spiegel einstellen.“ Sonst sei das Sichtfeld verengt. Er verfügt über sechs Spiegel, auf die er vor jeder Anfahrt schaut, damit er weiß, was sich vor seinem Fahrzeug, aber auch links und rechts daneben abspielt.

Die Zusatzspiegel – Rampenspiegel und Anfahrtsspiegel – helfen, den toten Winkel so klein wie möglich zu halten. Neue Lkw-Modelle sind serienmäßig damit ausgestattet, ältere würden nachgerüstet, sagt Maren Hering, Sprecherin des Verbands Straßengüterverkehr und Logistik Hamburg. „Wir sensibilisieren unsere Fahrer, die Spiegel vor der Abfahrt zu kontrollieren.“ Dass das wichtig ist, verdeutlicht die Plane, die rechts neben dem Polizeilaster in der Altstadt ausgebreitet ist. „Wenn der Spiegel nicht richtig eingestellt ist, verschwindet eine ganze Schulklasse“, sagt Polizeibeamtin Cécile Poirot.

Radfahrer sollten auf ihr Vorrecht verzichten

Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) fordert, Abbiege- und Bremsassistenten für Lkw zur gesetzlichen Pflicht zu machen. Diese elektronischen Systeme warnen Rechtsabbieger vor Radfahrern oder Fußgängern, die im rechten Seitenraum übersehen werden, und bremsen bei Gefahr den Lkw bis zum Stillstand ab. Es sei eine Kostenfrage, diese Systeme in alle Lkw einzubauen, so Hering. „Es sind immer Menschen, die am Verkehr teilnehmen. Und Menschen machen Fehler.“

Deshalb sei Vorsicht geboten, meint auch der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC). Zur eigenen Sicherheit sollten Radfahrer sich nicht im toten Winkel aufhalten: Das bedeute, an einer roten Ampel lieber hinter einem Lkw stehen, statt daneben zu warten. Und lieber auf sein Vorrecht zu verzichten und den Laster ganz abbiegen zu lassen, als eine Kollision zu riskieren. Der ADAC rät auch, Blickkontakt mit dem Fahrer aufzunehmen und sich als Radfahrer bemerkbar machen.

„Hamburg kann sehr gefährlich sein“

Generell sei es besser, nicht mit Hektik und in Eile im Straßenverkehr unterwegs zu sein, sagt Polizeidirektor Ulf Schröder. „Der Fall der tödlich verunglückten 19 Jahre alten Radfahrerin hat uns sehr betroffen gemacht.“ Mit der Aktion in der Innenstadt wolle man den toten Winkel wieder stärker ins Bewusstsein bringen.

Am Präventionsstand informieren sich auch Dajana Milling und Sohn Linus. „Er ist fasziniert von Lastwagen“, sagt sie, als der Sechsjährige auf den Fahrersessel klettert. Von dort aus kann Linus seine Mutter nicht sehen – sie steht im toten Winkel auf dem Asphalt. „Wir machen uns Sorgen“, sagt Dajana Milling. „Der Stadtverkehr in Hamburg kann sehr gefährlich sein“.