Hamburg. Rado und Agapi Rethmann haben sich mit Gutding einen Lebenstraum erfüllt – jetzt wollen sie expandieren.

Eigentlich wollten sie nur ihr Ding machen. Etwas tun, woran sie Freude haben. Nicht nur arbeiten, um Geld zu verdienen, um davon leben zu können. Sondern etwas tun, woran sie glauben. Etwas, das Sinn macht. Das einfach gut ist. So entstand Gutding – eine Manufaktur für vegetarische und vegane Brotaufstriche. Natürlich bio-zertifiziert.

Was vor zweieinhalb Jahren als kleines Herzensprojekt in der heimatlichen Küchen begann, hat sich zu einem erfolgreichen Unternehmen entwickelt. Inzwischen produzieren Rado (50) und Agapi Rethmann (44) jede Woche mehrere Tausend Gläser ihrer Brotaufstriche. Rund 250 Läden in Hamburg und Berlin, Bremen, Hannover und Erfurt haben die Pasteten und Dips mit Namen wie „Bolle“, „Schmauch“, „Samt“ oder „Schnucki“ bereits im Sortiment. Wie viele es genau sind, das wissen die beiden Unternehmer selbst nicht.

„Irgendwann haben wir den Überblick verloren“, sagt Agapi. Auf ihren Nachnamen verzichtet sie meistens, sie möchte einfach nur mit Agapi angesprochen werden. Früher, als sie Gutding bekannt machen wollten, sind sie zu jedem Bio-Laden selbst gefahren, haben ihre Aufstriche in Hunderten von Geschäften persönlich vorgestellt. Heute schaffen sie es nicht mehr, überall selbst vorstellig zu werden, Gutding wird über Großhändler wie Terra, Grell, Dennree oder Naturkost Nord vertrieben oder im Internet über die Seite von Veganbasics verkauft. Preis: Zwischen 3,50 und vier Euro für 100 oder 110 Gramm.

Umsatz in Höhe von 160.000 Euro

Immer freitags am Nachmittag, wenn in der Großküche von Vollmund in Bramfeld Feierabend gemacht wird, beginnt für Agapi und Rado die Arbeit. Dann mieten sie sich bis Sonntag mit vier Aushilfen in den Räumen ein, in denen sonst Essen für Kindergartenkinder in Bio-Qualität gekocht wird, und beginnen mit der Produktion ihrer Zwiebel-Konfitüren, Curry-Dattel-Pasteten oder Paprika-Dips. Nach zweieinhalb Tagen, in denen sie selbst schnippeln, abfüllen, pasteurisieren und etikettieren, sind bis zu 400 Kilogramm der herzhaften und würzigen Aufstriche fertig für den Verkauf. Tendenz steigend. Im vergangenen Jahr lag der Umsatz bei 110.000, in diesem Jahr sind es geschätzt schon 160.000 Euro.

Die Nachfrage ist groß – doch die Kapazitäten in der Kindergartenküche werden langsam zu klein. Aus diesem Grund wollen Agapi und Rado die Produktion nach Neverstaven verlegen, rund 33 Kilometer von Bramfeld entfernt. Dort, auf einem alten Gut, leben die beiden seit zwei Jahren gemeinsam mit anderen Familien. Und es könnten noch mehr Bewohner werden. So der Wunsch von Rado und Agapi. Denn die beiden träumen von einer Gemeinschaft mit Gleichgesinnten. Einem Ort, an dem Menschen zusammen leben, zusammen arbeiten. An dem sie Bezug nehmend aufeinander wirtschaften und sich dadurch verbunden fühlen.

„Wir glauben, dass Produktivität verbindet"

Genau so einen Ort hatten sie bereits vor vier Jahren gesucht, waren dafür sogar bis nach Neuseeland gereist. „Mit Anfang, Mitte 40 hatten wir beide das Gefühl, etwas im Leben ändern zu wollen. Nicht so weitermachen zu können“, sagt Agapi und erzählt, wie sie daraufhin ihre Werbeagentur sowie Rado seine Anteile an einer Firma für Damenmode verkauft haben. Wie sie alles abgebrochen haben, womit sie bisher beschäftigt waren und auf die Suche gingen. Nach dem Sinn des Lebens? Agapi lacht. Ja, auch. Aber vor allem nach diesem einen Ort. Einem Dorf, einer Lebensgemeinschaft. Von Menschen, die gemeinsam an einer Idee arbeiten. Denn das war ihnen besonders wichtig: das gemeinsame Tun. „Wir glauben, dass Produktivität verbindet. Dass Neid und Missgunst dann entsteht, wenn man nicht Bezug nehmend arbeitet“, sagt Agapi.

Dass sie diesen Ort schließlich ein paar Jahre später durch die Begegnung mit einem alten Bekannten vom Kattendorfer Hof fanden, den sie 16 Jahre lang nicht gesehen hatte, sei mehr als ein Zufall gewesen, glaubt sie. Es war „magic“, sagt Agapi und meint: magisch. Schicksal. Vorbestimmung.

Bisher leben sie und Rado gemeinsam mit den Eigentümern, einer sechsköpfigen Familie, im Gutshaus. „Wir sind zutiefst berührt, in der Eigentümerin eine interessierte und engagierte Macherin gefunden zu haben und gemeinsam mit ihr und dem Kattendorfer Hof den Ort entwickeln zu dürfen“, sagt Agapi.

Auf dem Gutsgelände und den angrenzenden Häusern im Dorf gibt es Platz für bis zu 70 Menschen – und für eine neue Produktionsstätte, die Rado und Agapi hier bauen wollen. Bereits jetzt laufen Verhandlungen mit der Besitzerin und dem nahe gelegenen Kattendorfer Hof, einem Demeter-Betrieb, der Gutding dann mit Erzeugnissen beliefern kann – und im Gegenzug die veredelten Lebensmittel der Manufaktur in seinem Hofladen und an seine Mitglieder verkaufen würde.

Beide haben noch mehr Visionen

Und das soll erst der Anfang sein, denn die beiden haben noch mehr Wünsche und Visionen. Von einem Landschulheim, in dem Kinder das Landleben und gesundes Essen kennenlernen können. Von einer Alten-WG, in der die Generationen miteinander leben und wirtschaften. Und von einem eigenen Hofladen mit Holzbackofen.

Finanziert werden sollen die Projekte auch durch den Verkauf ihrer Brotaufstriche. „Gutding ist für uns eindeutig Mittel zum Zweck!“, sagt Rado mit Nachdruck.

Manchmal fragen ihn die Leute, warum sie sich keinen Investor suchen. Dann schüttelt er den Kopf und versucht zu erklären, warum das für sie überhaupt nicht infrage kommt. Weil sie sich nicht gegenüber einem Investor rechtfertigen wollen, warum sie arbeiten, wie sie arbeiten. Weil sie nicht um jeden Preis Gewinne und noch mehr Gewinne machen wollen, sondern mit ihrem Unternehmen nur ihren Traum einer Dorfgemeinschaft ermöglichen wollen. Und weil sie einfach ihr eigenes Ding machen wollen. Ein gutes Ding.