Hamburg. Zu den Führungen durch das Autonome Zentrum kamen auch Menschen, die sich sonst nicht reingetraut hätten. Unsere Reporterin war dabei.

„Junge, Junge“, sagt der Anfang 60-Jährige fast schon reflexartig jedes Mal, wenn er einen Raum betritt. Und es sind viele Räume. Manchmal fährt er mit den Seglerschuhen auch über die matten Fußdielen und schüttelt dabei den Kopf. Er wirkt wie ein entrüsteter Vermieter bei der Wohnungsübergabe, der gleich etwas sagen könnte wie: „Die Dielen hätten auch mal einen Schwung Wasser und einen Klecks Farbe vertragen können.“

Aber das verkneift er sich dann doch. Außerdem ist er ja auch kein Vermieter, sondern nur zu Gast. Genau wie die anderen rund 30 Menschen, die am Sonnabend zum Tag der offenen Tür anlässlich des 27. Jubiläums der Besetzung in die Rote Flora gekommen sind.

Ein bisschen wie ein Labyrinth

Bei der ersten Führung um 14 Uhr sind junge Leute, alte Leute, ein händchenhaltendes Studentenpärchen, Menschen mit Rucksäcken und Wetterjacken und im gediegenen Elbvororte-Outfit dabei. Sie alle möchten die seltene Gelegenheit nutzen, um einmal hinter die Kulissen des Gebäudes zu blicken, das sich zwar als Kultur- und Stadtteilzentrum definiert – aber offenbar nicht allen Menschen das Gefühl gibt, einfach mal reinzuschauen zu können. Und so ist es für alle Teilnehmer der Führung heute eine Premiere.

Erster Eindruck beim Betreten: groß. Zweiter Eindruck: richtig groß. Auf drei Ebenen reiht sich ein Raum an den nächsten, hinter jeder Ecke geht es irgendwie noch weiter. Ein bisschen wie ein Labyrinth, in dem jedes Zimmer sehr ähnlich aussieht, nämlich bunt. Graffiti, Farbe, Anti-Racism-Aufkleber (wahlweise auch sexism oder irgendein anderer „-ism“) und Infozettel zieren die Wände so lückenlos, dass es auch eine Postertapete sein könnte. Dazu hängen in losen Abständen Kabel von der Decke und in den meisten Zimmern gibt es eine Bar. Die größte ist im Erdgeschoss, gleich hinter dem Eingang. Hier gibt’s Bier von Großkonzernen à zwei Euro (Becks und Jever), sowie Mate-Tee und Sekt-Mate. „Aber keinen Schnaps“ sagt Hans-Martin, der die Gruppe durch die Räume führt und seit der ersten Besetzerstunde dabei ist.

„In den allerersten Wochen gab es hier sogar ein komplettes Alkoholverbot, weil wir hier keine Betrunkenen haben wollten. Aber am Ende konnte man es nicht verhindern. Jetzt gibt’s hier zwar Bier, aber kein hartes Zeug mehr.“ Hans-Martin, vom Aussehen eher Typ Lehrer als Typ linksautonom, nimmt sich gut eine halbe Stunde für die Geschichte des Gebäudes und erzählt davon, dass die Rota Flora mal ein Theater war, später ein Kino und noch später der Sitz des Kultkaufhauses „1000 Töpfe“. Und dann natürlich von den Plänen Ende der 1980er-Jahre, hier ein Musical-Theater zu errichten. Was dann passierte, ist bekannt: Die Gegner, die das befürchteten, was man heute Gentrifizierung nennt, protestierten gegen die Pläne und erreichten ihr Ziel. Und auf dem Weg dahin entwickelten sie ihre ganz eigenen Vorstellungen von der Zukunft der Flora. Ein politischer und kultureller Treffpunkt sollte es werden. Im Herbst 1989 erklärten sie das Gebäude für besetzt – und das ist es bis heute. Nur die Eigentumsverhältnisse änderten sich. 2014 kaufte die Stadt die Rote Flora von Immobilienkaufmann Klausmartin Kretschmer zurück. Sie wird seitdem treuhänderisch von der La­waetz-Stiftung verwaltet.

Weniger „Geheimmief“ in der Roten Flora

Für weite Teile der Hamburger war die Rote Flora über Jahre ein Ort, der gleichzeitig präsent und abwesend war. Präsent durch die zentrale Lage und die alljährlichen Krawalle zum Schanzenfest – und abwesend, weil ein unsichtbares Schild am Eingang zu hängen schien, auf dem „betreten verboten“ stand. Doch seit dem vergangenen Jahr wurde die Tür einen Spalt geöffnet. Die Besetzer kündigten große Umbaumaßnahmen an und bekundeten den Willen, die Flora öffnen zu wollen. Jeder solle dann bei den Autonomen seinen Kaffee trinken können, hieß es damals, und überhaupt solle es einfach weniger „Geheimmief“ geben.

Gegen genau diesen Geheimmief fragen die Teilnehmer der Führung an. Allerdings interessieren sie sich weniger für den ideologischen Überbau als für ganz praktische Dinge: Wie sind eure Öffnungszeiten? Wo kann ich euer Programm finden? Wann finden Führungen statt? Wer einen Verweis auf ein volkshochschulähnliches Jahresprogramm erwartet hat, wurde enttäuscht. Aber das hat wahrscheinlich auch niemand. Man solle auf der Homepage schauen oder auf den Flyern, heißt es. Außerdem sei ja alles ehrenamtlich und finde nur statt, wenn es jemanden gebe, der Lust dazu habe. Ergo: Ohne Lust, fällt’s auch mal aus.

Fotografieren bleibt verboten

Die 63-jährige Teilnehmerin Ellen Schuttrich aus Eimsbüttel möchte es jetzt genau wissen: „Also kann ich hier jetzt einfach reinspazieren und einen Kaffee trinken?“ Eine klare Antwort bekommt sie nicht, stattdessen erfährt sie die Öffnungszeiten der Fahrradwerkstatt und dass es am Abend noch ein Punk-Konzert geben soll. Ellen Schuttrich schreitet fast andächtig durch die Räumlichkeiten. Als sie in den 70er-Jahren das letzte Mal in der Roten Flora war, konnte man hier noch Küchengeräte kaufen. Und wärmer war es auch. Die Heizung funktioniere derzeit zwar „theoretisch“ auch, aber derzeit in vielen Räumen spürbar irgendwie nicht. „Es gibt noch viel zu tun“, sagt Flora-Guide Hans-Martin. Als nächstes seien die Böden dran. Die 60-minütige Führung geht schnell vorbei, Fotografieren war verboten, am Eingang wartet die nächste Gruppe. Wieder sind alle Alterststufen vertreten, auch Kinder sind da. Am späten Nachmittag ist die letzte Tour mit den „Flora-Touristen“ durch. Dann schließt sich die Türe wieder.

Ein Rotflorist sagte im Anschluss an die Veranstaltung, dass es nur bedingt gelungen sei, ein Zentrum für alle zu errichten. Im Grunde seien hier alle jung und/oder linkspolitisch aktiv. Ganz am Anfang, vor 27 Jahren, habe man auch mal Kaffee und Kuchen für Senioren angeboten. Aber das habe nicht richtig geklappt. Besucher wie Ellen Schuttrich – 63 Jahre alt und in der CDU aktiv – gehören also eher nicht zu der Zielgruppe. Zufrieden ist sie nach dem Premieren-Besuch trotzdem: „Nachdem es jahrelang gar nicht möglich war, war ich heute zumindest endlich mal drin. Und das ist doch schon mal was.“