Hamburg . Bei der Urteilsverkündung brach erst eine Frau zusammen, dann verlor ein Prozess-Zuschauer die Nerven und beschimpfte das Gericht.
Als die Vorsitzende Richterin Jessica Koerner das Urteil verkündet, bricht im Zuschauerraum des Hochsicherheitssaals eine Frau zusammen – mutmaßlich die Angehörige eines Angeklagten. Die Bewusstlose wird zunächst auf einer Bank in eine stabile Position gebracht, jemand fächelt ihr Luft zu, Justizbeamte bringen ihr Wasser. Gleichzeitig verliert ein Zuschauer komplett die Nerven. Er schreit, zürnt, bepöbelt das Gericht. Während die Justizbediensteten den tobenden Mann gewähren lassen, fährt die Vorsitzende unbeeindruckt mit der Urteilsbegründung fort. „Fünf Jahre, wofür? Der lebt doch noch, sitzt nicht mal im Rollstuhl“, schreit indes der wütende Zuschauer.
Adressat des zynischen Statements im Gerichtssaal ist Hidayet „Hidi“ K., ein ehemaliger Mongols-Rocker, der von drei der sechs Angeklagten so brutal misshandelt wurde, dass eine fünfseitige Ausführung der Rechtsmedizin kaum ausreichte, alle Wunden des Mannes aufzuzählen. Die Täter hatten ihn grün und blau geschlagen, sie hatten ihn mit Messern geschnitten, ihn getreten, ihm die Nase zertrümmert, ihn möglicherweise mit einem Schlagring malträtiert. Kurz nach der Tat Anfang Januar 2016 schwebte der 26-Jährige in Lebensgefahr.
Gegen die drei jungen Haupttäter hat das Landgericht am Freitag wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung hohe Haftstrafen zwischen vier und fünfeinhalb Jahren verhängt. Alle sind mehrfach vorbestraft und haben zum Teil schon Jahre hinter Gittern verbracht. Zwei der drei ebenfalls angeklagten Helfer müssen für zweieinhalb bzw. zwei Jahre und neun Monate in Haft. Die einzige, die mit einer Bewährungsstrafe von einem Jahr davonkam, ist die angeklagte Tatjana Z. Das Gericht blieb damit bei allen Angeklagten unter den Strafanträgen der Staatsanwaltschaft, übertraf jedoch bei weitem das, was die Verteidigung gefordert hatte: Freisprüche oder Bewährungsstrafen.
Das Opfer wurde mit Frauen in eine Falle gelockt
Sichere Feststellungen zum Tatmotiv konnte das Gericht zwar nicht treffen. Es liegt jedoch nahe, dass sich der Überfall vor dem Hintergrund der brutal eskalierten Fehde zwischen den Hells Angels und der inzwischen zerschlagenen Rocker-Gang Mongols abspielte. Wenigstens einer der Haupttäter fühlte sich den Rockern „freundschaftlich verbunden“. Am 29. Dezember 2015 war Hidayet K. auf der Reeperbahn durch einen Streifschuss verletzt worden – mutmaßlich durch Gefolgsleute der Hells Angels. Am 2. Januar sollte es den Mongols-Rocker eneut treffen.
Der angeklagte Georgis L., der Hidayet K. noch aus dem Gefängnis kannte, stellte ihm an jenem Tag via Facebook eine Liebesnacht mit zwei Frauen in Aussicht. Der 26-Jährige schluckte den Köder. Mit einem weiteren Angeklagten brachten Georgis L. und die Prostituierten Tatjana Z. und Jacqueline H. den Mann zu einer Kleingartenanlage am Derbyweg.
Nachdem sie einen Joint geraucht hatten, schnappte die Falle zu: Vier maskierte Männer – die angeklagten Brüder Dennis (21) und Daniel P. (25), Bengi G. (24) und der bisher unbekannte Täter – stürmten mit einer Schusswaffe in die Laube und stürzten sich auf den Mongols-Rocker. Während sie ihn misshandelten, beschimpften sie ihn als „Mongol“. Als er sich nicht mehr rührte, fesselten sie ihn mit Klebeband. Dann warfen sie ihn in den Kofferraum eines Autos. „Der Kopf stieß so wuchtig gegen die Kofferraumkante, dass Blut gegen die Scheibe spritzte“, sagte Koerner.
Schließlich ließen sie den Mann in der Schimmelmannstraße, in der Nähe eines Krankenhauses, aus dem Wagen. Danach, so Koener, hätten die Angeklagten die brutale Tat noch gefeiert und sich über ihr Opfer lustig gemacht. Schließlich hätten die Haupttäter die Frauen zum Tatort zurückgeschickt, um die Laube vom Blut zu säubern. Dabei seien sie von der Polizei überrascht worden.
Richterin Koerner sprach von einem kaltblütigen Verbrechen, von einer „an Gefühlskälte und Rohheit“ kaum zu überbietenden Tat. Man könne „in gewisser Weise von Folter sprechen“. Weil der bullige Mann den Angreifern körperlich überlegen und nach dem Streifschuss im Dezember mutmaßlich bewaffnet war, hätten die Angeklagten sicherstellen müssen, dass „jede Gegenwehr schon im Keim erstickt wird“, sagte Koerner. Nach dieser Maßgabe sei auch der Tatplan ausgearbeitet worden. So seien die beiden Frauen angewiesen worden, mit dem Mongol zu „chillen und einfach nur lieb zu sein“. Ihnen sei klar gewesen, dass sie die Lockvögel spielen sollten.
Auf die spärlichen und an den jeweiligen Ermittlungsstand angepassten Aussagen der Angeklagten gründete das Gericht praktisch nichts. Die Gehilfen hatten noch versucht, ihre eigene Rolle bei der Tat herunterzuspielen, indem sie den vierten, bisher unbekannten Täter belasteten -- seinen Namen nannten sie dem Gericht jedoch nicht.
Eine Mitangeklagte sagte als Kronzeugin aus
Umso wertvoller waren für die Strafkammer die Angaben einer 22 Jahre alten ehemaligen Mitangeklagten, gegen die das Verfahren abgetrennt worden war. Sie hatte als Kronzeugin umfangreich gegen die Angeklagten ausgesagt – und war dabei aufs Übelste von ihnen beschimpft worden – wohl auch, weil die „Angeklagten nicht damit gerechnet hatten, dass die H. zusammenbrechen würde“, so Koerner weiter. Zusammen mit der Zeugenaussage des Opfers und weiteren objektiven Indizien wie sichergestellten Chat-Nachrichten habe sich für das Gericht jedenfalls ein klares Bild vom Geschehensablauf ergeben.