Hamburg. Gegenseitig Geld mit dem Smartphone überweisen oder die besten Zinsen finden. 53 Start-ups rollen die Finanzbranche auf.

Die Idee entstand am Küchentisch einer Wohngemeinschaft in Hamburg. Wer hat für was wie viel Geld ausgelegt? Wie lassen sich die Beträge schnell miteinander verrechnen und die Restschuld bezahlen. Am besten mit einer App, denn das Smartphone hat jeder ständig dabei, dachte Jan Michaelis. Inzwischen hat der Unternehmer fast alle klassischen Banken von seiner App Tabbt überzeugt. Sie ermöglicht es Menschen, sich einfach und schnell gegenseitig Geld zu überweisen. Denn die Konten der Nutzer lassen sich miteinander vernetzen. Tabbt hilft nicht nur in einer Studenten-WG. Mit der innovativen App kann man von Kollegen auch das Geld für ein Geburtstagsgeschenk oder ein gemeinsames Frühstück unkompliziert einsammeln. Wer mitmacht, bezahlt über die App per Smartphone seinen Anteil – und die Überweisungen finden automatisch statt.

Das junge Hamburger Unternehmen der beiden Gründer Lucas Romero und Jan Michaelis hat sich mittlerweile wie Paypal oder Paydirekt als Zahlungsdienstleister etabliert. Aber die Zielrichtung sind weniger die Bezahlvorgänge bei Onlineshops als vielmehr die Abwicklung der Finanzen im Freundeskreis. „Zahlungen können bei uns zudem mehr sein als reine Geldtransfers. Tabbt erlaubt auch, kleine Geschichten des Alltags festzuhalten und zu teilen“, sagt Michaelis. Denn außer der Überweisungsfunktion gibt es auch Like-, Chat- und Kommentarfunktionen. Außerdem will Michaelis mit seinem Sicherheitskonzept punkten: „Es gibt eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung“, sagt er. Nachrichten und Transaktionen werden auf dem Smartphone des Nutzers verschlüsselt und erst beim Empfänger wieder entschlüsselt. „Wir kommen nicht mit den Bankdaten der Nutzung in Kontakt“, sagt Michaelis. „Das unterscheidet uns von Wettbewerbern.“ Die App unterstützt 127 Währungen und wird in über 50 Ländern genutzt.

Neuer Ansatz für Bankdienstleistungen

Tabbt ist eines von 53 sogenannten Fintechs in Hamburg, die den Banken Konkurrenz machen. Fintechs werden diese jungen Firmen genannt, weil sie traditionelle Bankdienstleistungen (Finanzen) mit moderner Technik verknüpfen. Geld überweisen, Kapital anlegen, Ratenkredite abschließen: Für immer mehr Bankdienstleistungen finden diese Anbieter einen neuen Ansatz, der für Verbraucher besonders bequem oder innovativ ist. Meist reicht ein Smartphone oder Tablet, um die Angebote nutzen zu können. In dieser Woche versammeln sich die Hamburger Fintechs zu einem Branchentreffen in der Hansestadt.

Bei Vorträgen und Veranstaltungen treffen bis zum Freitag rund 2000 Akteure aus der Fintech- und Bankenbranche bei 20 Veranstaltungen aufeinander. Auch Banken wie die Hamburger Sparkasse (Haspa) und die Sutor Bank sind dabei, denn bei aller Konkurrenz sind Fintechs und Geldinstitute aufeinander angewiesen. „Bestimmte Dienstleistungen wie Konten eröffnen oder das Einlagen- und Kreditgeschäft dürfen nur Kreditinstitute betreiben“, sagt Hartmut Giesen von der Hamburger Sutor Bank, die mit drei Fintechs zusammenarbeitet. „Durch Kooperationen können wir Kundengruppen erschließen, die bisher für uns unerreichbar waren. Banken, die sich dem Wandel nicht stellen, werden zu den Verlierern zählen.“

Der Fintech-Standort Hamburg müsse sich nicht hinter anderen Städten wie Frankfurt und Berlin verstecken, sagt Arno Walter, Chef der Comdirect Bank, die selbst auch Fintechs fördert. Hamburg steht zwar bei den deutschen Fintech-Standorten, gemessen an der Anzahl der Unternehmen, erst auf dem vierten Platz, wie aus einer neuen Studie hervorgeht. Aber die Hamburger ziehen mit ihren Ideen viel Kapital an. Seit 2012 konnten sich Hamburger Fintechs rund 212 Millionen Euro Risikokapital in insgesamt 23 Finanzierungsrunden sichern. „Damit ist die Hansestadt die Nummer zwei in Deutschland“, sagt Walter. Während es Banken schwer- fällt, Geld zu verdienen, versprechen sich Investoren von den Banken der Zukunft offenbar bessere Gewinne. Ein Grund für die Gewinnerwartungen: Die Fintechs sind kostengünstig aufgestellt, weil die Nutzer einen Großteil der Arbeit selbst übernehmen.

Ausländische Institute bieten höhere Zinsen

Auch am Beispiel der niedrigen Sparzinsen lässt sich veranschaulichen, wie die neue Bankenwelt funktioniert. Ausländische Institute bieten derzeit noch etwas höhere Zinsen als die deutsche Konkurrenz. Aber für jede Geldanlage bei einer Bank muss ein neues Konto eröffnet werden. Hier hat das Hamburger Unternehmen Deposit Solutions angesetzt, das Tages- und Festgeldangebote von fünf in- und ausländischen Geldinstituten vermittelt. Maximal ein Konto ist dafür erforderlich und das möglichst bei der eigenen Hausbank. „Unsere Zinsanlagen werden bisher von vier Geldinstituten in Deutschland angeboten“, sagt Tim Sievers, Gründer von Deposit Solutions. „Als nächstes kommt die Deutsche Bank hinzu – das ist ein Meilenstein für uns. Mit zehn weiteren Banken sind wir im Gespräch.“

Die Sutor Bank führt die Konten für Deposit Solutions, wenn die Hausbank des Kunden nicht mit den Hamburgern zusammenarbeitet. Bei der Deutschen Bank soll das aber ab dem nächsten Jahr der Fall sein. Nur 0,05 Prozent Zinsen gibt es dort für ein zweijähriges Festgeld. Bei Deposit Solutions (www.zinspilot.de) kann der Kunde bis zu 1,65 Prozent für diesen Anlagezeitraum bekommen. „Ab Frühjahr 2017 werden Privatkunden auf einem digitalen Marktplatz der Deutschen Bank zwischen unterschiedlichen Termingeldangeboten anderer Banken wählen können“, bestätigt ein Sprecher der Deutschen Bank. „Das Ganze ist Teil unserer Digitalisierungsstrategie.“ Eine Milliarde Euro will das Institut in die Digitalisierung ihrer Angebote investieren.

Auch Finanzcheck.de, der Hamburger Vermittler von Ratenkrediten, ist auf Erfolgskurs. Das Unternehmen arbeitet mit rund 30 überregionalen Banken zusammen. „Wenn Kunden auf unser Vergleichsportal gehen, ist die Chance auf einen Kredit bei uns mehr als doppelt so hoch wie bei einer Bank, und häufiger sind unsere Konditionen günstiger als bei den Banken selbst“, sagt Moritz Thiele, Geschäftsführer und Gründer von Finanzcheck. Bisher wurde ein Kreditvolumen von rund zwei Milliarden Euro vermittelt.

Auch die Hamburger Sparkasse hat die Start-ups der Finanzbranche längst entdeckt. So hat FinReach für die Haspa im September den digitalen Kontowechselservice umgesetzt. Gini Pay arbeitet gerade an einer Funktion, die Fotoüberweisungen in die Sparkassen-App integriert. „An vielen FinTechs gefällt mir, dass sie radikal vom Kunden her denken“, sagt Tobias Lücke, Leiter Digitaler Vertrieb der Haspa. „Wir als Haspa haben eine starke Marke und einen großen Kundenstamm, was für Fintechs schwer aufzubauen ist. Deshalb profitieren beide Seiten von einer Kooperation.“

Selbst Versandhändler Otto investiert

Aber bei der friedlichen Koexistenz auf der Basis gegenseitiger Abhängigkeit muss es nicht bleiben. Erfolgreiche Fintechs können auch eine Banklizenz beantragen, wie das Beispiel N26, die erste Bank ausschließlich für das Smartphone, gezeigt hat.

Für die Kunden werden die Bankprodukte durch Fintechs individueller, flexibler, transparenter und bedienungsfreundlicher. „Die Entwicklung geht in Richtung eines Finanzsupermarktes, in dem die Kunden ihre bevorzugten Produkte nutzen können“, sagt Hartmut Giesen von der Sutor Bank. Doch Verbraucherschützer sehen auch Risiken. „Was als Alternative erscheint, kann auch zum Risiko werden“, sagt Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Er hat dabei vor allem Anlageprodukte mit hohen Zinsen im Blick, wo das Risiko für Kunden nicht erkennbar ist.

Deposit Solutions, die von Facebook-Investor Peter Thiel und einer Beteiligungsgesellschaft der Otto Group mitfinanziert werden, hat weitere 25 Millionen Euro für die Expansion zur Verfügung. „Wir bringen jetzt unser Geschäftsmodell nach Großbritannien und in die Schweiz“, sagt Sievers. Auch für den Heimatmarkt sind die Ziele groß. Sievers: „Langfristig soll jeder Sparer in Deutschland über seine Hausbank Zugang zu unseren Zinsangeboten bekommt.“ Bisher kann das Unternehmen zehn Millionen Kunden erreichen.