Harburg. Geldinstitute in der Harburger Innenstadt schließen ihre Automaten ein. Grund: Vandalismus. Kunden sind genervt.

Dirk Sempel ärgert sich: „Ich bin schwer zu nerven, aber jetzt bin ich schwer genervt“, sagt er und wedelt mit seiner Bankkarte durch die Harburger Nachtluft. Um ihn herum gähnt die Leere der Lüneburger Straße weit nach Geschäftsschluss. Es ist kurz vor Mitternacht. Dirk Sempel war im Kino und hat jetzt noch Lust, auf einige Bier in die Altstadt zu gehen. Dafür braucht er Geld. Das hat er auch, nur nicht in der Tasche. Dafür hat Sempel seine Bankkarte. Damit kann er virtuelles Geld am Automaten in Bares tauschen – dachte er.

Denn zwar leuchten über den meisten Bankeingängen die blauroten ec-Logos, die anzeigen, dass sich hier ein Geldautomat befindet und in Betrieb ist, nur kommt man nicht an den Automaten heran. Die Glastür zum Vorraum der Bank ist abgeschlossen. Neben oder an der Tür hängt meistens eine Notiz, in der das Geldinstitut sein Bedauern über den Umstand ausdrückt, ihn aber offensiv verteidigt. „Sicherheitsgründe“ werden angeführt und „Vandalismus.“

„Ich habe jetzt schon drei Banken ausprobiert und überall ist es das selbe“, schimpft Sempel. „Das kann doch nicht angehen!“

Geht er noch ein wenig weiter, wird er fündig werden: Die Hamburger Volksbank am Lüneburger Tor gehört zu den fünf Geldhäusern, die ihren Selbstbedienungsbereich in der Harburger Innenstadt durchgehend geöffnet halten. Diese fünf – es sind außer der Volksbank noch die Targo-Bank, die Hamburger Sparkasse, die Sparkasse Harburg-Buxtehude sowie die Deutsche Bank – sind in der Minderheit: Sieben andere schließen die Türen nachts.

Die Automaten sind an, doch die Tür bleibt zu. Das ist das Bild, das viele Harburger Bankfilialen derzeit bieten
Die Automaten sind an, doch die Tür bleibt zu. Das ist das Bild, das viele Harburger Bankfilialen derzeit bieten © xl | Lares Hansen

Die Schließzeiten variieren: Die Santander Bank und die Santander Consumer Bank schließen ihre Vorräume gleich nach Geschäftsschluss ab. Das spart Zeitschloss oder Wachdienst. Die Automatenzone der Postbank wird kurz nach 20 Uhr zusammen mit allen anderen Geschäften in den Harburg-Arcaden eingeschlossen. Bei den anderen ist zwischen 21.30 und 23 Uhr die Zeit gekommen, die Kunden draußen vor defr Tür stehen zu lassen.

Das ist kein reines Harburger Phänomen: In weiten Teilen Nordrhein-Westfalens werden zum Beispiel derzeit die Banken nachts abgeschlossen, weil hier Automatensprenger unterwegs sind. Als diese vor einiger Zeit im Landkreis Harburg aktiv waren, waren auch hier zahlreiche Bankfilialen vorsichtshalber nachts zu.

Die Santander-Gruppe schließt die SB-Bereiche aller Großstadtfilialen nach Geschäftsschluss ab, „um Vandalismus vorzubeugen, der in Großstädten weit verbreitet ist“, sagt Santander-Pressesprecherin Eva Eisemann.

Der Vandalismus hat unterschiedliche Gesichter: In Berlin sind die SB-Zonen der Banken schon mal Ziel formverfehlter Systemkritik, anderswo lassen Kunden den Frust über ihren Kontostand am Automaten aus und ganz häufig haben diese Bereiche ungebetene Nachtgäste, die die Kunden verunsichern.

„Wir hatten in unserer Harburger Filiale Beschwerden, weil sich dort nachts Obdachlose im SB-Bereich versammelt haben“, sagt Dennis Bartel, Pressesprecher der Commerzbank. „Wir haben es zunächst mit unregelmäßigen Wachdienstpatrouillen versucht, aber das hat nichts gefruchtet. Deshalb haben wir uns zu der nächtlichen Schließung entschlossen, obwohl es uns schwerfiel, denn wir wollen für unsere Kunden da sein.“

„Das Problem ist, dass diese Leute im SB-Bereich nicht nur übernachtet, sondern auch gefeiert haben. Außerdem haben einzelne unsere Kunden belästigt und angebettelt“, sagt Norbert Koßyk, Filialleiter der Sparda-Bank am Schlossmühlendamm, „und ich wollte unserem Reinigungspersonal nicht länger zumuten, jeden Morgen die Exkremente zu beseitigen.“

Eine Analyse ergab, dass im Schnitt vier Kunden pro Nacht den Sparda-SB-Bereich nutzen. „Da haben wir uns entschlossen, abzuschließen“, sagt Koßyk.

Seine Nachtgäste sind schräg über die Straße gezogen und kampieren nun in der Hamburger Sparkasse. Auch Dirk Sempel ist dort angekommen. Als Nicht-Sparkassen-Kunde muss er für seine Barabhebung fast vier Euro bezahlen. Doch nicht nur das stinkt ihm: „Puh, riecht es streng hier drin“, sagt er. „Jetzt brauche ich erst recht etwas zu trinken.

Auch die Hamburger Sparkasse wird ihre Harburger Selbstbedienungs-Zone demnächst nachts schließen. „Wir werden aber Außenautomaten installieren“, sagt Sprecherin Stefanie von Carlsburg.

KOMMENTAR

Mal mehr als einen Atemzug nehmen

Ist es schäbig von den Banken, ihre Türen vor den Obdachlosen zu verschließen? Im ersten Atemzug neigt man dazu, dies zu sagen. Doch lassen Sie uns einmal ein paar weitere Atemzüge nehmen, ich gehe da gerne voran! Ich lebe auch zu dunkler Stunde und hebe deshalb auch mal nachts Geld ab.

Meine Bank mit den vielen Vornamen hat übrigens zur Geisterstunde deutlich mehr Kunden, als nur vier. Sie hat auch Übernachtungsgäste. Sie drängeln sich meistens in einer Ecke des großen SB-Bereichs, so dass der Rest frei nutzbar ist. Dann und wann spricht jedoch einer auch die Kunden an und bettelt.

Ich bin nicht zimperlich. Wer das nicht glaubt, weil er mich nicht kennt: Ich habe die äußeren Abmessungen eines Getränkeautomaten, bin durchaus gewaltkompetent, meine Nase ist einiges gewohnt und auch Armut schrickt mich nicht, denn ich war selbst schon mal arm. Solidarität ist für mich keine Sozialromantik. Und selbst ich halte den Atem an, wenn ich den Bank-Vorraum betrete.

Selbst meine Solidarität stößt an ihre Grenzen, wenn jemand meint, mir ein schlechtes Gewissen machen zu können, weil ich gerade Geld in der Hand habe und er nicht, denn auch mir spuckt die Maschine weiß Gott nicht unbegrenzt Banknoten in die Finger.

Ich halte diese Situation aus und toleriere die Nachtgäste. Das kann ich aber nicht von jedem erwarten, wo doch ich schon an meine Duldens-Grenzen gerate. Nach den Beschwerden ihrer Kunden und ihrer Reinigungskräfte haben viele Bankfilialen die Tür zugemacht. Mehr nicht. Sie hätten auch die Polizei rufen können. Das haben sie nicht. Die Privatperson, die so milde reagiert, wenn ihr regelmäßig jemand auf die Fußmatte macht, möchte ich sehen!

Man kann den Banken als Institution durchaus gesellschaftliche Verantwortung abverlangen. Eine einzelne Filiale ist jedoch nicht „das System“, sondern ein Mikrosystem aus Menschen: Kunden, Angestellte und Reinigungskräfte haben auch alle ihre Rechte, und wenn es das Hausrecht der Filialleiter ist. Ausatmen!