Hamburg . Mieterverein registriert zunehmende Benachteiligung von Familien. Grundeigentümer-Verband hält das für Blödsinn.

Die Wohnungsanzeige im Internet las sich für das Ehepaar Grichisch wie ein Glücksgriff: „5 Zimmer-Haushälfte in ruhiger Lage! Uneinsehbarer Garten mit großer Sonnenterrasse, Garage /Carport“, schrieb das Maklerbüro. Die 150 Quadratmeter große Doppelhaushälfte in Lurup schien dem Pärchen ideal, das mit ihren drei Kindern seit einem Dreivierteljahr eine größere Bleibe sucht. Und auch der Mietpreis von 1400 Euro kalt war für das Paar ein gutes Angebot „Wir haben die Maklerin sofort angeschrieben, um einen Besichtigungstermin zu vereinbaren“, sagt Nadja Griechisch. Doch daraus wurde nichts.

Zwar bekam die 41-Jährige noch am selben Tag eine Rückmeldung von der Maklerin, die ihr einen Besichtigungstermin in der Woche drauf anbieten wollte. Doch zunächst mussten die Sozialpädagogin und ihr Mann, ein Umwelttechniker, eine Berufsangabe machen – und die Anzahl der Personen nennen, die in das Mietobjekt einziehen wolle. Doch diese Antwort ließ den Traum von der Doppelhaushälfte mit Garten für die fünfköpfige Familie kurzerhand platzen.

Mieterverein: Familien werden oft benachteiligt

„Der Eigentümer wünscht, dass maximal vier Personen in das Haus einziehen“, ließ die Maklerin, die sich nicht weiter zu dem Fall äußern möchte, die Familie per Mail wissen. „Ich war fassungslos, als ich das gelesen habe“, sagt Nadja Grichisch, deren Kinder neun und sieben Jahre sowie vier Monate alt sind. „Dass man aber aufgrund der Anzahl der Kinder keine Wohnung auf dem ohnehin sehr schwierigen Hamburger Wohnungsmarkt bekommt, ist moralisch ein Skandal.“ Sie und ihre Familie fühlen sich diskriminiert.

Siegmund Chychla
Siegmund Chychla © Michael Rauhe | system

Nach Angaben des Mietervereins zu Hamburg ist das kein Einzelfall. „Das Problem ist bekannt. Es kommt sehr häufig vor, dass Vermieter Pärchen oder Einzelmieter den Familien vorziehen“, sagt Siegmund Chychla, Geschäftsführer des Mietervereins zu Hamburg. „Sogar gut situierte Familien mit mehreren Kindern sind betroffen und haben es schwer auf dem Wohnungsmarkt.

CDU: Es fehlt massiv an erschwinglichen Wohnungen

Dabei leben ohnehin nur noch in 17 Prozent aller Hamburger Haushalte schulpflichtige Kinder. „Diese Gruppe gehört zu einer Minderheit“, sagt Chychla. „Eine Minderheit, die auf dem Wohnungsmarkt benachteiligt wird. Häufig fürchteten die Vermieter Konflikte mit anderen Mietern im Haus, etwa wegen Kinderlärms. Vor Jahren sei das noch anders gewesen. „Rechtlich ist den Vermietern jedoch nichts vorzuwerfen. Schließlich haben sie die Wahl“, sagt er. Vielmehr handele es sich um ein gesellschaftliches Problem, dass Familien ausgegrenzt würden. Siegmund Chychla: „Die Gesellschaft müsste sich einen Ruck geben.“

Philipp Heißner, familienpolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion hofft indes, dass es sich nicht um ein Massenphänomen handelt. „Sollten Familien bei der Wohnungssuche diskriminiert werden, finde ich das nicht richtig“, sagt der Christdemokrat. „Kinder bereichern das Wohnungsumfeld.“ In Hamburg sei es wichtig, dass gerade Mehrkindfamilien gefördert würden. „In der Stadt fehlt es nicht nur an Mietwohnungen, sondern auch besonders an erschwinglichen Eigentumswohnungen für Familien“, so Heißner. Zu diesem Thema bereite die Fraktion gerade einen Antrag vor.

Hamburger Wohnung ist im Schnitt 75,8 Quadratmeter groß

Dass es in der Hansestadt generell zu wenig Wohnraum gibt, sieht auch der FDP-Bürgerschaftsabgeordnete Daniel Oetzel als Hauptproblem. „Sicherlich haben Familien Probleme auf dem Wohnungsmarkt. Aber auch Singles, Pärchen, Alleinerziehende und alle anderen Gruppen suchen häufig verzweifelt eine Wohnung“, sagt Oetzel. Die Situation sei insgesamt extrem unbefriedigend. „Manche Vermieter präferieren vielleicht Einzelmieter, andere aber wiederum Familien.“ In Hamburg sei so ziemlich jede Wohnung sofort weg, da die Nachfrage so groß sei. Oetzel: „Die Lösung kann nur lauten: Bauen, bauen, bauen.“

Aktuell gibt es in der Hansestadt rund 924.000 Wohnungen mit einer Durchschnittsgröße von 75,8 Quadratmetern. Das geht aus aus dem Statistischen Jahrbuch Hamburg 2015/2016 hervor. Größer sind die Wohnungen, die in Hamburg neu gebaut werden: Im Jahr 2014 wurden insgesamt fast 7000 Wohnungen fertig gestellt, die über eine durchschnittliche Wohnfläche von 88,9 Quadratmetern verfügen.

Dass es Familien auf dem Hamburger Wohnungsmarkt besonders schwer haben, sieht auch der Grundeigentümer-Verband anders und widerspricht dem Mieterverein zu Hamburg. „Das ist Blödsinn“, empört sich Heinrich Stüven, Vorsitzender des Grundeigentümer-Verbands Hamburg. „Es gibt keine familienfreundlicheren Anbieter als die Hamburger Eigentümer.“ Familien seien sogar besonders beliebt bei den Vermietern. Denn bei einem Paar mit Kindern handelt es sich häufig um langfristige Mieter. Und genau diese sind Vermietern am liebsten. „Jeder Umzug kostet schließlich Zeit und Geld“, argumentiert Stüven. Das eigentliche Problem sei sogar, dass es zu wenige Familien in Hamburg gebe.

Familien sollten kompromissbereit bei der Wohnungssuche sein

Für Andreas Gnielka, Bereichsleiter Wohnimmobilien Bestand des Maklerunternehmens Grossmann & Berger, liegt die Wahrheit in der Mitte. „Das generelle Problem ist die Knappheit an Wohnungen in Hamburg“, sagt er. „Dass Familien diskriminiert werden, stimmt nicht.“ Der Privatmieter möchte in der Regel langfristige Mieter haben, die er kenne. Auch mehrere Generationen in einem Haus seien beliebt.

„Jedoch kommt es vor, dass Vermieter lieber eine Familie mit zwei als mit drei Kindern nehmen“, räumt Gnielka ein. „Etwa, weil er bei einer Vier-Zimmer-Wohnung die Befürchtung hat, dass die Familie die Räumlichkeiten nur aus der Not heraus nimmt und wieder auszieht, sobald sie eine größere Bleibe gefunden hat.“ Zudem gelte: Je mehr Personen in einer Wohnung leben, desto höher die Abnutzung.

Mehr Chancen in Reinbek oder Bergedorf

Der Experte rät, dass Familien ihr Suchgebiet vergrößern und auch Wohnorte in Betracht ziehen, die sie zuvor ausgeschlossen haben. „Der angespannte Wohnungsmarkt bringt es mit sich, dass man kompromissbereit sein sollte – das gilt nicht nur für Familien, sondern für alle Gruppen“, sagt Gnielka. „Innerhalb des Rings 2 eine große, familiengeeignete Wohnung zu finden, ist schwierig, da hier die Fluktuation gering ist.“ Das bedeutet: Wer in beliebten Stadtteilen eine Bleibe gefunden hat, zieht nicht mehr so schnell wieder aus.

Mehr Chancen auf eine geräumige Wohnung habe man etwa in Reinbek oder Bergedorf. Gnielka: „Man muss sich davon verabschieden, in der Innenstadt kurzfristig eine Wohnung zu finden.“ Zudem sei es von Vorteil, mit offenen Karten zu spielen. „Es spricht also nichts dagegen, die Kinder bei Besichtigungsterminen mitzunehmen“, sagt er. „Dass Familien als Mieter generell abgelehnt werden, erleben wir nicht“, betont der Bereichsleiter Wohnimmobilien Bestand des Maklerunternehmens Grossmann & Berger.

Der Eindruck der Familie Grichisch ist ein anderer. Aus ihrem Optimismus bei der Wohnungssuche sind Ernüchterung und Wut geworden. „Ich frage mich, wie Paare, die schlecht bezahlte Jobs und mehrere Kinder haben, eine Wohnung in Hamburg finden“, sagt Nadja Grichisch. Für das Paar geht die Suche nun weiter – mit weniger Zuversicht, aber immer noch der Hoffnung auf einen Glücksgriff.