Hamburg. Birgit Eschenburg hilft ihren Kunden, Ordnung zu schaffen – in der Wohnung und damit auch im Kopf.
Es gibt Berufe, die klingen zunächst sonderbar. Aufräum- oder Ordnungscoach ist so einer. Und doch scheint die Nachfrage nach jemandem, der Ordnung ins Chaos bringt, da zu sein. Birgit Eschenburg jedenfalls kann nicht klagen. Aufträge hat die 54-Jährige aus Eidelstedt genügend. Tendenz steigend, genau wie bei ihrer Mitbewerberin. Denn: „Das tatsächliche Aufräumen haben die meisten Menschen nie gelernt“, sagt sie. Dabei sei das so wichtig, weil befreiend.
Seit drei Jahren bringt die gelernte Bankkauffrau Struktur in die Wohnungen von Fremden. In den USA ist das schon länger angesagt, jetzt kommt der Trend nach Deutschland.
Erster Check in der kleinen Dachgeschosswohnung von Birgit Eschenburg in Eidelstedt: Sie ist aufgeräumt, die Kissen auf dem Sofa drapiert, die silberne Kaffeemaschine kommt Ton in Ton mit anderen Küchenutensilien daher. Alles scheint seinen Platz zu haben, nichts liegt einfach so herum, nichts scheint dem Zufall überlassen zu sein. Keine Zeitschriften, keine Bücher, die auf dem Tisch liegen. Fast ein wenig steril wie in einer Möbelhausausstellung. Wenn da nicht die lebhafte und lebendige Art von Birgit Eschenburg wäre. Ihr Wesen ist das Gegenteil von steril – zugewandt, freundlich, herzlich.
Als Profi-Aufräumerin muss man kein Spielverderber sein, der in Bulldozer-Manier alles wegschmeißt, was in die Quere kommt. Ordnung hat mit Feingefühl zu tun. Mit Loslassen. Dabei muss die Mutter eines erwachsenen Sohnes behutsam mit ihren Kunden umgehen wie ein Psychologe. Bis dann doch der eigentliche Schritt kommt: Dinge müssen weggeworfen, verkauft oder verschenkt werden.
Gemeinsam finden sie heraus, was man wirklich braucht
Ihre Kunden? Manchmal kümmert sie sich um Menschen, die ihren Partner verloren haben und nicht nur ihr Seelenleben aufräumen müssen, sondern wie in einem Fall auch die Werkstatt des Verstorbenen. Bei der psychischen Betreuung kann Birgit Eschenburg nicht helfen, aber sie sorgt für die äußere Ordnung. „Der Mann war gegangen, mitten aus dem Leben gerissen“, erzählt Birgit Eschenburg. Sie räumt niemals selbst auf, aber sie hat jemanden organisiert, der alles weggeschaffen hat. Ordnung und Klarheit sind Begriffe, die Birgit Eschenburg am häufigsten benutzt. Sie sind die Essenz ihres Schaffens. „Da nehme ich die Leute mit. Das ist meine Leidenschaft.“
Ihre klassischen Kunden sind neben Firmen auch ältere Menschen, die etwa überlegen, vom großen Haus in eine kleinere Wohnung umzuziehen. Die Kinder sind aus dem Haus und die Senioren überlegen: Was ist, wenn man später ganz allein ist? Ist das Haus zu groß? Was nehme ich mit in eine kleinere Wohnung? Mit der richtigen Fragestellung finden der Ordnungscoach und ihre Kunden gemeinsam heraus, was man wirklich braucht und von welchen Dingen man sich trennen kann.
Andere Kunden sind die Youngsters, junge Männer, die gerade in die erste eigene Wohnung ziehen. Da gehe es dann eher um praktische Lebenshilfe. „Die treffen schnelle Entscheidungen.“ Sie geht auch in Familien mit Jugendlichen und zeigt ihnen Abläufe, wie sie Ordnung und System in den Haushalt bekommen. Es müssen Plätze gefunden werden. „Wo bringe ich Dinge unter, die für alle wichtig sind?“ Damit das lästige Suchen nach dem Haustürschlüssel, der Brille oder der Handtasche wegfallen. Ordnung schaffe man nicht um der Ordnung willen, sondern um Zeit zu sparen.
Echte Überzeugungsarbeit
„Das Loslassen ist das allergrößte Problem bei Jung und Alt“, so Eschenburg. Viele seien so erzogen worden, dass man Dinge nicht einfach wegschmeißen dürfe. „Man muss sich dem ganz behutsam nähern.“ Und der noch funktionstüchtige Staubsauger muss ja nicht in den Müll geschmissen werden, wenn es einen neuen gibt: „Es gibt Sozialkaufhäuser, wo man Dinge spenden kann. Es gibt viele Möglichkeiten, funktionierende Sachen abzugeben.“
Sie muss manchmal echte Überzeugungsarbeit leisten, wie bei dem Kunden, der im Keller 500 Schallplatten stehen hatte, aber überhaupt keinen Plattenspieler besaß. „Ich habe es organisiert, dass die Platten von einem Sammler abgeholt wurden“, so Eschenburg. Meistens, sagt sie, seien es die Männer, die nicht loslassen könnten.
Ihr Credo: „Ich kann für niemanden etwas wegwerfen. Das muss jeder selbst machen.“ Aber sie stellt solange Fragen, so einfühlsam wie möglich, bis ihr Kunde es von selbst einsieht, bestimmte Dinge nicht wirklich zu brauchen. Die Frage ist: kann das weg oder nicht? Dann lacht Birgit Eschenburg und erzählt vom Rumtopf, so ein Klassiker: „Diese Monster stehen immer noch in vielen Haushalten. Ich möchte ja nicht alle Rumtöpfe wegschmeißen. Wenn jemand das mit Leidenschaft macht, hat der seinen Sinn.“ Aber in den meisten Fällen wurde der Topf schon jahrelang gar nicht benutzt. Sicher, an manchen Dingen hänge einfach das Herz. Ihr Vorschlag: Fotoalben mit Erinnerungen anlegen und die geliebten Dinge als Foto aufbewahren.
Warum ihr Beruf Konjunktur hat? Vielleicht, sagt sie, liegt es an der digitalen Welt mit ihrer Informationsflut. „Wir haben nie gelernt, damit umzugehen.“ Neue Informationen erfordern ständig Entscheidungen. „Unser Konsum ist so schnell geworden, alles ist auf Multitasking aus, aber unser Gehirn ist nicht unbedingt multitaskingfähiger geworden.“
Diffus kann es sogar in der Wohnung eines Ordnungsprofis werden. Denn auch Birgit Eschenburg sammelt, und zwar Wohnzeitschriften, die sie jeden Monat ins Haus geliefert bekommt. Von denen kann sich Eschenburg nur schwer trennen. Sie hat jetzt einen Trick entwickelt: Für jede neue Ausgabe, muss eine alte weg.