Hamburg . 22 Abgeordnete aus Bürgerschaft und Bundestag unterrichteten eine Stunde lang an Hamburgs freien Schulen – durchaus mit Erfolg.
An den Wänden hängen selbst gebastelte Filmplakate. Vorne die Tafel. Dahinter Tische und Stühle in Zweier- und Dreierreihen. 21 Schüler. Durch die offenen Fenster hört man Kinder spielen und lachen. Ein ganz normaler Schultag? Nicht ganz. Stefanie von Berg, Bürgerschaftsabgeordnete und schulpolitische Sprecherin der Grünen, betritt den Klassenraum. Philosophielehrer Gerrit de Jong sitzt, anders als sonst, ganz hinten. „Sie macht heute meine Stunde, ist das nicht schön?“, freut er sich.
Von Berg ist nicht die einzige Politikerin, die an diesem Freitag eine Unterrichtsstunde zum Thema Demokratie an einer Freien Schule gestaltet. Insgesamt nehmen 22 Abgeordnete der Hamburger Bürgerschaft und aus dem Bundestag am „Tag der Freien Schulen“ teil. Unter dem Motto: „Politik macht Schule: Eine Stunde für die Freien“, besuchen sie Schulen in freier Trägerschaft und ersetzten die Lehrer. Für eine Stunde. Das Abendblatt hat drei von ihnen begleitet.
„Was bedeutet Demokratie für euch?“, fragt Stefanie von Berg die Neuntklässler der Christian-Morgenstern-Schule, einer Waldorfschule in Eimsbüttel, zu Beginn der Stunde. Die Antworten bleiben geheim. Die Schüler sollen sie für sich auf einem Zettel notieren. Zehn Minuten haben sie dafür Zeit. Reflexives Schreiben nennt von Berg diese Einheit. Stille. Die Politikerin ist routiniert. Man merkt ihr an, dass sie Erfahrung im Unterrichten hat. Sie ist ausgebildete Berufsschullehrerin. Beim anschließenden Quiz geht es dann lebhafter zu. Die Klasse wird in zwei Gruppen geteilt. Fragen unterschiedlicher Schwierigkeitsstufen zu den Themen Bundestag, Grundgesetz, Senat und Bürgerschaft können ausgewählt werden. Je schwieriger die Frage, desto mehr Punkte. Es wird viel diskutiert. Die Schüler sind engagiert bei der Sache.
Seit wann gibt es den Deutschen Bundestag? Die Antworten der ersten Gruppe liegen zwischen 1800 und 1983. Gruppe zwei trifft mit 1949 ins Schwarze. Zwischendurch wird darüber diskutiert, ob die NPD verboten werden sollte und wieso die AfD so viele Stimmen holt. Ein kurzer Abstecher zur Legalisierungsforderung von Cannabis der Grünen ist auch dabei. Schnell geht es aber wieder ums Wesentliche. „Lasst uns weiterspielen“, ruft einer der Schüler.
Am Ende gibt es dann noch die Gelegenheit, der Politikerin Fragen zu stellen. Wieso sie in die Politik gegangen sei und warum zu den Grünen, will die Klasse wissen. Aber auch, wie alt ihr Sohn ist und was sie von Freien Schulen hält. „Das war total interessant und spannend, Politik mal von der anderen Seite zu erleben“, sagt die 15-jährige Marlene nach der Stunde und ihre umstehenden Klassenkameraden nicken zustimmend. Der 14-jährige Anton habe beim Quiz viel gelernt, sagt er.
Den Fragen wissbegieriger Schüler stellt sich auch der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Dirk Kienscherf in der katholischen Sankt-Ansgar-Schule in Borgfelde. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde dürfen die Zehntklässler alles fragen, was sie interessiert. Besonders beliebt sind die Themen Flüchtlinge und städtische Bebauung. Die Schüler wollen vor allem wissen, ob sie sich in ein paar Jahren noch eine Wohnung leisten können und wo Flüchtlinge langfristig untergebracht werden sollen. Kienscherf erklärt ausführlich, wie mit neuen Flächen und effizientem Wohnungsbau die brisante Lage des Wohnungsmarktes entschärft werden soll. Er sei auch überzeugt, die „Wahnsinnsaufgabe“ der Flüchtlingskrise in Hamburg in den Griff zu bekommen. Ganz schülernah gibt es dann auch noch konkrete Tipps für die Zukunft. So erklärt Kienscherf beispielsweise, wie durch den Eintritt in eine Genossenschaft bei der späteren Wohnungssuche Vorteile erzielt werden können.
Eine große Sorge der Schüler gilt Hamburgs Parkanlagen, für die der Politiker Entwarnung gibt: „Hamburg wird grün bleiben.“ Genau wie in Eimsbüttel, wollen auch die Schüler in Borgfelde wissen, wieso die AfD so erfolgreich werden konnte. Kienscherf zeigt sich überraschend kritisch und rügt die Streitereien innerhalb der SPD und der Bundesregierung, die bei den Bürgern Unsicherheiten auslösen würden. Das mache sich die AfD seiner Meinung nach zu eigen. Noch weit über das Stundenklingeln hinaus werden Fragen gestellt. Am Ende sind sich alle Schüler einig: „Das war Politik auf Augenhöhe, interessant und in lockerer Atmosphäre.“ Eine Unterrichtsstunde der besonderen Art, die, wie es einstimmig aus den Schülerreihen tönt, auf jeden Fall wiederholt werden sollte.
Weil er Schüler für Politik begeistern möchte, spricht André Trepoll in seiner Stunde nicht über Politik. Der Fraktionsvorsitzende der Hamburger CDU erzählt den 18 Zehntklässlern des Jenisch-Gymnasiums in Altona lieber, dass sein Abitur vor knapp 20 Jahren nicht gut genug war, um in Passau oder Regensburg Jura zu studieren und er für sein Studium deshalb in Hamburg bleiben musste. Oder wie er früher am Wochenende feiern gehen wollte und an den S-Bahnen scheiterte, weil die nur bis Mitternacht fuhren und er spät nachts zurück nach Hause, nach Harburg, kommen musste.
Damals war er Vorsitzender der Jungen Union Hamburg. Er sammelte Unterschriften für einen durchgehenden S-Bahn-Betrieb am Wochenende und stellte einen entsprechenden Antrag beim CDU-Parteitag. Mit Erfolg. „Seitdem bringen die S-Bahnen in Hamburg am Wochenende auch nach Mitternacht alle nach Hause, sogar nach Harburg“, sagt Trepoll. „Es ist ein Privileg, etwas verändern zu dürfen. Wer politisch aktiv ist, kann seine Zukunft selbst in die Hand nehmen.“ Die Schüler nicken und klatschen. „Also der klang gar nicht wie ein Politiker, sondern richtig normal“, sagt eine Schülerin nachher. Wie klingt denn ein Politiker? „Weiß nicht. Die reden halt den ganzen Tag, tun aber nie irgendwas.“ Und Trepoll ist anders? „Er hat sich darum gekümmert, dass die S-Bahnen länger fahren. Das ist schon cool.“