Hamburg . Ein 65-Jähriger hatte Stefanie von Berg Vergewaltigung gewünscht. Richterin spricht von „erschreckender abscheulicher Tat“.

Das Amtsgericht Hamburg hat einen 65 Jahre alten Rentner aus Telgte (Münsterland) zu einer relativ hohen Geldstrafe wegen Beleidigung der Grünen-Politikerin Stefanie von Berg verurteilt. Der frühere Kaufmann Jürgen J. hatte die Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete in zwei E-Mails beschimpft und beleidigt und ihr eine Vergewaltigung durch Muslime gewünscht, weil er sich über eine ihrer Aussagen in einer Bürgerschaftsrede geärgert hatte.

"Sie mögen an irgendeinem Abend, beim Spaziergang mit Ihrem Hund (falls Sie einen haben) oder auf dem Weg von einer Sitzung im Rat, oder einfach von da nach dort, von einem Muslim überfallen und vergewaltigt werden, einfach aus dem Grund, weil eine blonde Frau unanständig sein muss, wenn sie ohne männliche Begleitung abends allein unterwegs ist“, heißt es in einer Mail, die Jürgen J. am 30. November um 23:14 Uhr an von Berg schickte. Außerdem bat er von Berg in der Mail, ihm ein Land zu nennen, „in dem Menschen geistig so krank sind wie Sie“.

Anfang Januar, kurz nach den massenhaften Übergriffen von Köln, legte J. in einer weiteren Mail nach und schrieb unter anderem: „Sie hätten vielleicht Silvester zum Kölner Hauptbahnhof fahren sollen!!! Erlauben Sie mir, Ihnen noch ein beglückendes neues 2016 zu wünschen, verbunden mit einem augenzwinkernden Tipp: Sollte es im Verlauf des Jahres nicht geklappt haben, nicht verzagen, kommendes Silvester finden Sie an vielen Hauptbahnhöfen unserer Großstädte genügend nordafrikanische Triebtäter mit muslimischem Frauenweltbild, die dieses Jahr für Sie in einer stoßenden Krönung, feuerwerksgleich, enden lassen!“

Anlass war eine Rede von Bergs in der Bürgerschaft

Erster Anlass für J.s hasserfüllte Mails an die Politikerin war nach dessen eigenem Bekunden vor Gericht eine Rede von Bergs, in der sie im Herbst 2015 in der Bürgerschaft gesagt hatte, sie sei der "Auffassung, dass wir in 20, 30 Jahren gar keine ethnischen Mehrheiten mehr haben in unserer Stadt“. Das würden auch Migrationsforscher prognostizieren. Die Stadt werde eine "superkulturelle Gesellschaft" sein, so die gebürtige Göttingerin. "Und ich sage Ihnen auch ganz deutlich, gerade hier in Richtung rechts: Das ist gut so.“

Diese Rede hatte die AfD auf ihre Facebook-Seite gestellt. Er habe das Video über Facebook von einem Bekannten bekommen, erzählte der 65-Jährige vor Gericht, der nach eigenem Bekunden aber erst seit März 2016 Mitglied der AfD ist – und zwar weil er „die Gleichschaltung der Altparteien nicht ertragen“ könne und „wir keine Demokratie mehr haben“, wie er dem Abendblatt vor der Verhandlung sagte. Er sei aber ganz und gar nicht rechtsradikal. Früher habe er auch mal die Grünen gewählt.

Sohn einer Russin und eines Kriegsgefangenen

Als Reaktion auf die Rede war ein Shitstorm aus aller Welt mit massiven persönlichen Beleidigungen und Bedrohungen per Mail und über die sozialen Netzwerke auf von Berg niedergegangen. Gegen viele der Beleidigungen ging sie juristisch vor. Jürgen J. war nun der Erste, der in diesem Zusammenhang vor Gericht stand.

J. schilderte in Saal 176 des Strafjustizgebäudes am Sievekingplatz, dass er in Russland als Sohn eines deutschen Kriegsgefangenen und einer Russin geboren und mit zwölf Jahren nach Deutschland gekommen sei. „Ich habe meinen russischen Namen abgelegt, weil ich Deutscher werden wollte. Wir wollten uns in dieser Gesellschaft integrieren. Meine Mutter hat alles getan, die Sprache zu lernen. Heute ist das leider anders.“ Er sei stolz, in diesem Land leben zu dürfen, Stolz auf Dichter und Komponisten.

In Saudi Arabien einen scheinheiligen Islam kennengelernt

Als Kaufmann habe er Ende der 70er-Jahre für zwei Jahre in Saudi Arabien gelebt und dort „einen Islam kennengelernt, der mich wirklich angewidert hat mit seiner Doppelzüngigkeit und Scheinheiligkeit“. Einerseits habe er dort „so viel Whiskey trinken müssen wie nie zuvor“, andererseits seien Menschen bei öffentlichen Hinrichtungen die Köpfe abgeschlagen worden. „Und jetzt finde ich dieses Land, unser Deutschland, in einer Situation, in der wir genau in dieser Richtung tendieren“, so J., der durchweg in relativ ruhigem Ton sprach und keinesfalls wie jemand wirkte, der nicht Herr seiner Sinne ist. „Niemand, kein Engländer, Franzose oder Südafrikaner, hat mir je so etwas gesagt, wie es Frau von Berg in ihrer Rede gesagt hat.“

Er habe von Berg mit seinen Mails aufrütteln wollen, „Ich wollte ihr sagen, was passiert eigentlich, wenn sie bloß, weil sie blond ist, gefährdet ist? Sie können das Testosteron ja nicht mit Religion zähmen.“ Junge Männer aus dem arabischen Raum hätten „keine Möglichkeit, sich von dem sexuellen Druck zu befreien“.

Krebskrank und 645 Euro Rente

Als die Richterin nach seiner persönlichen Situation fragte, berichtete J., dass er geschieden sei und zwei erwachsene Kinder habe. Wegen einer Krebserkrankung habe er 2012 seinen Job als Kaufmann verloren. Bis zur Rente sei er auf Hartz IV angewiesen gewesen. Nun bekomme er 645,23 Euro Rente, dazu 128 Euro Zuschuss zur Wohnung. Aus Telgte sei er mit dem Fahrrad zum Gerichtstermin gekommen, da er sich die Zugfahrt nicht hätte leisten können.

Nötig geworden war der Prozess nur, weil J. einen Strafbefehl über 1200 Euro wegen Beleidigung nicht akzeptiert hatte. Er werde auch nicht zahlen, sagte er vor und in der Verhandlung. Notfalls werde er ins Gefängnis gehen. „Dann betrachte ich mich als politischen Gefangenen.“

"Das war eine politische Reaktion von mir"

Schließlich räumte der Mann im Gerichtssaal ein, er sei „übers Ziel hinausgeschossen“. Das könne man vielleicht seinen russischen Wurzeln zuschreiben. Er habe aber „nicht die Person oder Frau ansprechen wollen, sondern die Politikerin“, so J. „Das war eine politische Reaktion. Ich wollte ein Gegengewicht schaffen. Was ich anbieten kann, ich bin bereit, mich bei der Person zu entschuldigen, ich denke dass das im Prinzip angemessen wäre.“

Richterin Gesine Schulz machte den Angeklagten schließlich darauf aufmerksam, dass Stefanie von Berg mit ihrer Anwältin im Gerichtssaal anwesend sei. Er könne sich also hier und jetzt persönlich entschuldigen. Von Berg aber gab ein Zeichen, dass die Richterin so deutete, als würde sie in diesem Moment keine persönliche Entschuldigung wünschen.

Die Staatsanwältin plädierte schließlich auf eine Strafe wegen Beleidigung mit 60 Tagessätzen zu 25 Euro. Als Beleidigung sei dabei fast ausschließlich der Passus der ersten Mail zu werten, in dem J. die Grünen-Politikerin indirekt als geisteskrank bezeichnet habe. Das sei regelmäßig als Beleidigung nach Paragraph 185 des Strafgesetzbuches zu werten.

Die Richterin wertete die Lage anders – und verdoppelte die von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafe auf 120 Tagessätze zu je 25 Euro - also auf 3000 Euro. Mit einer so hohen Zahl von Tagssätzen wäre der Mann aus Telgte vorbestraft, sollte das Urteil Bestand haben.

"Die Mails waren selbst eine Form sexualisierter Gewalt"

„Warum haben Sie nicht eine andere Form gewählt?“, fragte die Richterin. „Die Worte sind so drastisch, dass es den Tatbestand der Beleidigung erfüllt.“ Es sei überhaupt kein Problem, nicht einverstanden zu sein mit Dingen, die ein Politiker sage. „Das ist in Ordnung. Die Gedanken sind frei und sollen es bleiben. Unsere Gesellschaft lebt davon. Aber in unserer Demokratie ist ein anderer Weg der richtige Weg, um damit umzugehen. Es gibt Wege unterhalb der Begehung von Straftaten. Anders als die Gedanken sind die Worte nicht frei. Wo Ehre und Menschenwürde anderer anfangen, dort sind Grenzen“, so die Richterin. „Sie haben sich offenbar in Rage geschrieben. Was Sie geschrieben haben, ist nicht nur ehrverletzend und hasserfüllt, Sie haben Frau von Berg nicht nur als geistig krank bezeichnet, sondern ihr auch gewünscht, sie möge sexualisierte Gewalt erfahren. Damit sind diese Worte selbst eine Form von sexualisierter Gewalt.“

In der zweiten Mail seien die Formulierungen noch deutlich schlimmer gewesen, „das musste eine drastische Erhöhung der Geldstrafe geben“, so die Richterin. „Finden Sie einen konstruktiven Weg, sich einzubringen und zu ringen um das, was gut und richtig ist“, legte sie dem Verurteilten nahe. „Eine erschreckende, abscheuliche Straftat – das ist nicht der Weg. Finden Sie einen anderen Weg!“

Von Berg und Steffen begrüßen das Urteil

Stefanie von Berg begrüßte nach der Verhandlung das Urteil und sagte: „Das ist auch ein deutliches Signal an Leute, die sich an einem Shitstrom beteiligen.“ Die Urteilsbegründung sei „klar und überzeugend“ gewesen. Sie selbst habe sich durch die Mails von J. „beschmutzt“ gefühlt. Sie sei „sehr froh über dieses Urteil“.

Hamburgs Justizsenator Till Steffen (Grüne) äußerte sich bei Facebook zu dem Fall. „Diese Geschichte zeigt, wie die AfD Politik macht. Die Veröffentlichung des Videos mit der Rede war für ihre Anhänger ein Aufruf mit Hasskommentaren darauf zu reagieren“, so Steffen. „So übt die AfD über ihre Anhänger Druck aus, um Andersdenkende einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Sie nutzt die Instrumente von persönlicher Herabwürdigung und erzeugt ein Klima der Angst. Dieser Politikstil ist verachtenswert. Unsere Gesellschaft kann dieses Verhalten nicht dulden.“

Jürgen J. will durch alle Instanzen gehen

Der Verurteilte Jürgen J. sah sich auch nach dem Urteil selbst als Opfer. Er legte sofort Berufung ein und verkündete, er werde durch alle Instanzen gehen. „Wir sehen uns in Straßburg“, sagte der 65-Jährige zum Abschied, bevor er sich auf dem Rad auf den Rückweg ins Münsterland machte. In Straßburg hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seinen Sitz.

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