Hamburg. Beziehungen zwischen Sportspaß und den übrigen Vereinen sind seit jeher angespannt. Dem HSB gingen bei Austritt 490.000 Euro verloren.
Der organisierte Sport in der Stadt steht vor grundlegenden Veränderungen. Sportspaß, mit derzeit 71.000 Mitgliedern nach dem HSV (74.000; darunter 68.000 Supporter) Hamburgs größter Verein, will zum Jahresende aus dem Hamburger Sportbund (HSB) austreten. Damit würden fast 17 Prozent der aktiv in Vereinen Sporttreibenden (rund 421.000) den Dachverband verlassen. Das hätte gravierende Folgen. Dem HSB und dem Verein für Turnen und Freizeit (VTF/167.000), bei dem Sportspaß die meisten seiner Mitglieder gemeldet hat, entgingen im nächsten Jahr Beiträge von zusammen etwa 490.000 Euro. Aus dem VTF und weiteren kleinen Verbänden ist der Club bereits in dieser Woche mit Wirkung zum 1. Januar 2017 ausgetreten, um entsprechende Fristen zu wahren. Beim VTF löste der Eingang des Kündigungsschreiben Entsetzen aus. Mitarbeiter der Geschäftsstelle weinten.
„Das ist ein bedauerlicher Schritt, der die politische Position des Vereinssports in Hamburg erheblich schwächt, wenn er nicht mehr mit einer Stimme spricht“, sagt HSB-Geschäftsführer Ralph Lehnert. Schatzmeister Holger Hansen beklagt „die Entsolidarisierung“. Der HSB hat Sportspaß jetzt Anfang Oktober zum Krisengipfel gebeten. Auch die Stadt will vermitteln. „Wir haben schon vor einer Weile mit beiden Parteien gesprochen und haben beide bereits zu einem gemeinsamen Gespräch eingeladen. Ein Auseinanderdriften im Sport wäre nicht gut. Wir brauchen auch hier Zusammenhalt“, sagte Sportstaatsrat Christoph Holstein dem Abendblatt.
Kommentar: Ein Kompromiss muss her
Gravierendste Auswirkung des Austritts wäre im schlimmsten Fall, dass HSB und VTF ihre Aufgaben nicht mehr in vollem Umfang erfüllen könnten, Angestellte entlassen müssten. Der HSB, mit rund 590.000 Mitgliedschaften in 819 Vereinen Hamburgs größte Personengesellschaft, hatte zuletzt erhebliche Einschnitte in sein Tätigkeitsfeld nur mit einer Beitragserhöhung für das Jahr 2017 von 60 Cent pro erwachsenem Mitglied abwenden können. Sportspaß hatte auf der HSB-Mitgliederversammlung am 28. Juni gegen den Antrag des Präsidiums gestimmt. Der Club hätte dadurch im nächsten Jahr rund 40.000 Euro mehr an den HSB zahlen müssen.
Sportspaß zahlte 441.000 Euro an HSB und VTF
„Wir sehen keinen Vorteil mehr darin, Mitglied des HSB zu sein. Die Förderrichtlinien des HSB sind ,zufällig‘ immer so gestrickt, dass wir an die großen Töpfe für Sanierung und Renovierung von Sportstätten nicht herankommen, aus denen sich die anderen größeren Vereine sehr erfolgreich bedienen. Wir werden vom Verband nur vor Wahlen wahrgenommen, wenn unser großes Stimmenpaket gebraucht wird“, begründet Sportspaß-Geschäftsführer Jürgen Hering den im Vorstand beschlossenen Schritt. HSB-Mann Lehnert bringt dafür sogar Verständnis auf, sagt aber: „Wir haben die Förderrichtlinien inzwischen modifiziert, sodass auch Sportspaß künftig stärker von ihnen profitieren könnte.“
2015 führte der Verein an Beiträgen rund 224.000 Euro an den HSB und 217.000 Euro an den VTF ab. Im Gegenzug erhielt Sportspaß direkte Zuschüsse vom HSB, unter anderem für Übungsleiter und Sanierung vereinseigener Anlagen, von 116.000 Euro. Per Saldo zahlte der Club 325.000 Euro in die Solidargemeinschaft ein. Hering: „Das war nie anders, und inzwischen können wir das gegenüber unseren Mitgliedern nicht mehr verantworten, Geld in einen Apparat zu geben, der nichts für uns tut.“
Die Beziehungen zwischen Sportspaß und den übrigen Vereinen sind seit jeher angespannt. Der rasant gewachsene Fitnessclub, 1977 gegründet, ist im Basistarif mit Monatsbeiträgen von fünf Euro für Jugendliche und 9,30 Euro für Erwachsene weiter konkurrenzlos günstig. In den sieben über das Stadtgebiet verteilten Zentren werden jede Woche mehr als 1600 Kurse mit 112 unterschiedlichen Themenschwerpunkten angeboten. Das alle vier Monate erscheinende Programmheft umfasst 128 Seiten. Schlanke Strukturen, der Verzicht auf Wettkampf- und Leistungssport hilft Kosten sparen. Der einstige Vorwurf, Sportspaß mache keine Jugendarbeit, ist heute nicht mehr haltbar. Momentan 7508 Mitglieder sind Kinder und Jugendliche. Sportspaß übt besonders auf Frauen Anziehungskraft aus. 78 Prozent der Mitglieder sind weiblich, im gesamten HSB sind es etwa 44 Prozent. Für die meisten Mitglieder ist Sportspaß ihr erster Verein. Hering: „Wir bringen regelmäßig 70.000 Menschen in Bewegung, viele zum ersten Mal in ihrem Leben. Das ist eine große Leistung, die vom HSB nicht angemessen gewürdigt wird.“
Lehnert sieht das anders: „Der Verzicht auf Wettkampf- und Leistungssport, den andere Clubs aus ihren Mitgliedsbeiträgen quersubventionieren, führt zu großen Einsparungen. Insofern ist es eine solidarische Unterstützung dieser Aktivitäten, wenn Sportspaß mehr in den HSB einzahlt, als der Club herausbekommt. Rechnet man alle Transfer- und sonstigen Leistungen des HSB zusammen, ist die Differenz zwischen Ausgaben und Einnahmen bei Weitem nicht so hoch, wie Sportspaß jetzt behauptet.“ Der Plan, den Sportbund zu verlassen, wird bei Sportspaß seit Jahren diskutiert. Die aktuelle Entwicklung des Fitnessmarktes hat den Entschluss beschleunigt. Fitness liegt weiter im Trend. Mit 301.000 Mitgliedern allein in kommerziellen Studios (Stand Anfang 2015), rund 17,3 Prozent der Bevölkerung, und 14,8 Anlagen pro 100.000 Einwohnern ist Hamburg dabei mit Abstand die Fitness-Hauptstadt der Republik. Sportspaß hatte dennoch zuletzt mehrere Tausend Mitglieder verloren, war von 74.000 auf 70.000 gefallen. Besonders junge Leute blieben dem Verein fern. Inzwischen sind die Zahlen wieder stabil.
Doch der Druck bleibt, der Verdrängungswettbewerb läuft, Discounter erobern den Markt. Die finanzstarken landesweiten Fitness-Ketten locken mit 24-Stunden-Betrieb, innovativen, zum Teil virtuellen Trainings- und Gesundheitskursen und preiswerten Monatsbeiträgen um die 20 Euro. „Wir müssen reagieren, vor allem noch stärker in Trainer, Technik und Räumlichkeiten investieren, damit wir unsere Stellung behaupten können“, sagt Hering. Außerhalb des HSB falle Sportspaß dies leichter.
HSB-Vereine haben Vorrang bei Nutzung von Turnhallen
Der Austritt aus dem Sportbund hätte für Sportspaß auch negative Folgen. Leistungen, die bisher HSB und VTF übernahmen, insgesamt etwa 90.000 Euro, müssten nun selbst finanziert werden. Die Gema-Gebühren (Musik) wären höher, zusätzliche Versicherungen müssten abgeschlossen, Aus -und Fortbildungen für Trainer und Mitarbeiter bezahlt werden. Zudem droht die Nutzung der Schulsporthallen schwieriger zu werden. 18 Prozent der Sportspaß-Kurse finden hier statt. In der gültigen „Gemeinsamen Dienstvorschrift 1990“, welche die Nutzung von Schulsportstätten regelt, ist festgehalten, dass bei der Vergabe die dem HSB angeschlossenen Clubs Vorrang haben (Punkt 5, Absatz 2). Sportspaß müsste also den HSB-Mitgliedsvereinen bei der bezirklichen Sporthallenvergabe den Vortritt lassen. Denen würden dann künftig mehr Hallenzeiten zur Verfügung stehen. „Das war aber nie anders, da kann es keine Verschlechterung geben“, klagt Hering.
Gehen Sportspaß und HSB getrennte Wege, kämen auf die Stadt wohl neue finanzielle Forderungen zu. Der HSB könnte seinen 16-Millionen-Haushalt nicht mehr decken, wäre auf zusätzliche (öffentliche) Mittel angewiesen. Aber auch Sportspaß könnte fordern, in einem gesonderten Sportfördervertrag bedacht zu werden. Bisher unterstützt der Senat die sportlichen und sozialpolitischen Aufgaben des HSB und des Hamburger Fußballverbandes mit rund zehn Millionen Euro im Jahr. Auch wenn die Stadt stets die Autonomie des Sports betont, in diesem Fall dürfte sie ureigenes Interesse haben, dass HSB und Sportspaß sich im letzten Moment auf eine gemeinsame Zukunft verständigen.