Hamburg. Volumen der Neukredite um bis zu 20 Prozent gesunken. Betroffen von der neuen EU-Richtlinie sind in Hamburg auch junge Familien.
Das Einfamilienhaus in bester Hamburger Lage ist schuldenfrei und hat einen Wert von einer Million Euro. Die Besitzerin, eine Rentnerin, möchte es für Renovierungsarbeiten mit 200.000 Euro beleihen. Doch diesen Kredit bekommt sie nicht mehr. Pech hat auch ein junges Paar mit Kind. Kredit abgelehnt. Nach Ende der Zinsbindung in zehn Jahren erscheint der Bank das Familieneinkommen wegen der aktuellen Elternzeit nicht hoch genug, um die Restschuld auch bei gestiegenen Zinsen bedienen zu können. Ein Immobilienerbe, das die Frau erwartet, kann die Bank nicht umstimmen. Selbst Topverdiener mit einem Nettogehalt von 8000 Euro monatlich scheitern an der neuen Vergaberichtlinie für Baufinanzierungen. Denn der Rentenanspruch des angestellten 55 Jahre alten Geschäftsführers ist deutlich niedriger als sein Gehalt. Folge: Kredit abgelehnt.
So oder ähnlich geht es immer mehr Kunden, die einen Immobilienkredit haben möchten. Die Zinsen sind extrem niedrig, doch nicht alle können davon profitieren. Schuld daran ist die Wohnimmobilienrichtlinie der EU, die im März in deutsches Recht umgesetzt wurde. Die Kreditwürdigkeit der Kunden muss noch genauer als bisher geprüft werden. Entscheidend ist, ob der Kunde das Darlehen zu Lebzeiten aus seinem laufenden Einkommen zurückzahlen kann. „Die neue Herausforderung ergibt sich daraus, dass eine Finanzierung nun bis zur vollständigen Rückzahlung nachgewiesen werden muss“, sagt Dieter Jurgeit, Chef der PSD Bank Nord. „Das ist bei Betrachtungszeiträumen von bis zu 40 Jahren von hohen Unsicherheiten geprägt.“
Auch die Haspa lehnt Anträge wegen der neuen Richtlinie ab
Die Auswirkungen werden jetzt immer sichtbarer. Bis zu zehn Prozent der Kreditanträge werden nach den neuen Regularien zunächst abgelehnt, berichten die Baugeldvermittler Enderlein, DTW und Creditweb übereinstimmend. „Die Anträge werden nicht angenommen, oder die Kunden müssen nachträglich zusätzliche Sicherheiten stellen oder eine höhere Tilgung leisten“, sagt Angela Roth von Creditweb. Allein die Sparkassen haben im ersten Halbjahr 2016 rund neun Prozent weniger Wohnungsbaukredite zugesagt als im Vorjahr. Das zeigt sich auch in der Kreditstatistik der Deutschen Bundesbank. Im Juli brach das Volumen der Neukredite um rund 20 Prozent ein. „Selbst wenn man einen längerfristigen Zeitraum von drei Monaten betrachtet, liegt das Minus gegenüber dem Vorjahr noch bei knapp 13 Prozent“, sagt Stefan Schilbe, Chefökonom des Bankhauses Trinkaus & Burkhardt, der zu den Auswirkungen der Kreditrichtlinie eine Studie verfasst hat. „Die Banken haben ihre Vergaberichtlinien in mehreren Schritten verschärft“, sagt er.
Nach einer Umfrage des Abendblatts bei zehn Kreditinstituten, räumt die Hälfte der Banken eine Ablehnung in Einzelfällen aufgrund der neuen Gesetzgebung ein. Darunter ist auch die Hamburger Sparkasse, während etwa die Sparkasse Harburg-Buxtehude „keine gestiegene Ablehnungsquote erkennen kann“.
Leidtragende sind primär junge Familien, Rentner und Selbstständige sowie Menschen in besonderen Lebenssituationen, die kein hohes Einkommen haben, aber dennoch nicht arm sind. „Jungen Menschen wird so der Zugang zu einer sicheren Altersversorgung erschwert, Rentner haben Nachteile beim altersgerechten Umbau oder bei Sanierungsmaßnahmen“, sagt Stephan Scharfenorth, Geschäftsführer des Baufinanzierungsportals Baufi24.
Bisher war die Immobilienfinanzierung recht einfach. Die Bank bewertet das Objekt, prüft die Einkommensverhältnisse. Wenn die Kreditrate vom aktuellen Einkommen bezahlt werden kann, gab es kaum Probleme. Im Mittelpunkt der Beratung stand die finanzielle Belastung während der Zinsbindungsfrist, also meist zehn oder 15 Jahre. Danach konnte noch die Belastung nach dem Ende der Zinsbindungsfrist bei höheren Zinsen erörtert werden. „Jetzt ist es schon schwierig, wenn ein Kunde nur Konditionen in Erfahrung bringen will“, sagt Christoph Santel vom Baugeldvermittler Enderlein. „Ohne die Zusendung der vorvertraglichen Informationen darf gar kein Beratungsgespräch beginnen.“ Vielen Kunden ist das viel zu umständlich, denn sie wollen nur Angebote vergleichen. Gleichzeitig stehen sie unter Zeitdruck, denn die Verkäufer der Immobilien warten nicht gern lange auf eine Finanzierungszusage.
Doch der Beratungsaufwand und die Dokumentationspflichten der Banken haben sich deutlich erhöht. „Die Verbraucher bekommen bis zu 20 Seiten Papier. Alles muss dokumentiert werden“, sagt Santel. Für die Bewilligung eines Kredits werden enge Grenzen gesetzt: „Der Kreditnehmer muss das Darlehen über die gesamte Laufzeit aus seinem heute bekannten laufenden Einkommen bedienen“, sagt Haspa-Sprecherin Stefanie von Carlsburg.
Es müssen Einflussfaktoren wie Familiengründung, Familienabsicherung und deren Auswirkungen auf das Haushaltsbudget berücksichtigt werden, was die Kreditvergabe für junge Familien erschwert. „Früher konnten auch zu erwartende Einkommenssteigerungen oder steigende Immobilienwerte mit eingeplant werden“, sagt von Carlsburg. Der Wert der Immobilie darf für die Kreditvergabe keine Rolle mehr spielen. Das führt vor allem bei älteren Kunden zur Kreditablehnung.
„Wenn der Kredit nicht innerhalb der statistischen Lebenserwartung zurückgezahlt werden kann, müssen wir den Kreditwunsch ablehnen, auch wenn das voraussichtlich verbleibende Restdarlehen bei Weitem durch den Wert der Immobilie abgedeckt ist“, sagt Steffen Streudel vom Bundesverband der Deutschen Volksbanken. Die EU-Richtlinie ist ein Ergebnis der Finanzkrise. Angesichts der Probleme mit Immobilienkrediten in den USA, Spanien und Griechenland sollen die Verbraucher davor geschützt werden, dass sie sich mit einer Immobilienfinanzierung übernehmen. „Dieser Grundsatz war für uns schon immer Richtschnur in der Beratung unserer Kunden“, sagt ein Sprecher der Deutschen Bank.
Kreditausfälle bei Immobilien in Deutschland sind gering
Die Kreditausfälle bei Häusern und Wohnungen sind in Deutschland sehr gering. In zehn von 13 europäischen Ländern haben Immobilienbesitzer größere Probleme, ihre Hypothekenzahlungen aufzubringen, als in Deutschland, zeigt eine neue Studie der ING-DiBa. So geben zwölf Prozent der Immobilienbesitzer in Deutschland an, dass es für sie schwierig ist, ihre Rate aufzubringen. Doch in Spanien sind es 35 Prozent und in Italien 27 Prozent.
Die deutsche Kreditwirtschaft wirft der Bundesregierung vor, die Kreditrichtlinie viel zu streng umgesetzt zu haben, und will jetzt möglichst schnell Änderungen durchsetzen. Denn die Regeln gelten nicht nur für Neukunden. Auch wer seinen Kredit schon jahrelang pünktlich bezahlt hat, kann bei der Verlängerung plötzlich abgelehnt werden.
Der deutliche Rückgang bei der Neuvergabe der Kredite ist für Experte Schilbe ein Warnzeichen. „Das kann sogar zu einem Sinken der Immobilienpreise führen. In der Vergangenheit haben die Preise mit einer Verzögerung von einem Jahr auf den Rückgang der Neukredite reagiert“, sagt Schilbe.
Doch die Bundesregierung hat noch weitere Pläne. Geplant ist die Einführung eines Melderegisters für private Immobilienkredite. Dort sollen dann Kennzahlen wie Kredithöhe, Immobilienwert oder Einkommen des Schuldners anonym gespeichert werden. Um die Verschuldung zu begrenzen, könnte dann die Regierung Obergrenzen für die Beleihung von Immobilien in bestimmten Phasen festlegen. Damit würde die Kreditvergabe noch restriktiver und der Immobilienboom schneller enden, als viele erwarten.