Hamburg. Jurist lehnt nach Zwischenbericht die geplante Vollzugskooperation mit Kiel ab und fordert Neubau einer Jugendanstalt.

Geht es nach dem Willen von Justizsenator Till Steffen (Grüne), dann schlagen Hamburg und Schleswig-Holstein beim Strafvollzug neue, gemeinsame Wege ein. Laut dem Zwischenbericht, den Steffen vor zwei Wochen präsentierte, sollen der Jugendvollzug der Länder in Schleswig-Holstein und der Frauenvollzug in Hamburg zusammengefasst werden.

Jetzt kommt Kritik aus dem Kreis der Fachleute: Der renommierte Vollzugsexperte Prof. Bernd Maelicke lehnt die geplante Gefängnis-Kooperation ab. „Der Zwischenbericht entspricht nicht dem Stand der kriminologischen Fachdiskussion, er vernachlässigt notwendige Daten und Erkenntnisse zu Lebenslagen der straffällig gewordenen Jugendlichen und Heranwachsenden und ihren biografischen Entwicklungen“, schreibt Maelicke in einem 17-Punkte-Papier, in dem er sich vorrangig mit dem Jugendvollzug beschäftigt.

Vor allem kritisiert der Jurist, der von 1990 bis 2005 die Abteilung Strafvollzug im Kieler Justizministerium leitete, die geplante neue Struktur der Gefängnisreform. „Das vorgeschlagene Kooperationsmodell setzt zwei Grundsätze des bisherigen Hamburger Jugendvollzugs außer Kraft, die auch bundesweit Geltung haben: die Trennung des Jugendvollzugs vom Erwachsenenvollzug und die Trennung zwischen Untersuchungshaft und Strafhaft“, so Maelicke. Diese Prinzipien hätten Eingang in die Jugendvollzugsgesetze anderer Bundesländer gefunden und sollten nun von Hamburg über Bord geworfen werden.

Bislang ist der Hamburger Jugendvollzug auf der Elbhalbinsel Hahnöfersand (Landkreis Stade) konzentriert. Steffen will die maroden Gefängnis­gebäude, die einen hohen Sanierungsaufwand aufweisen, aufgeben. Maelicke weist darauf hin, dass in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Neumünster, wo die Hamburger jugendlichen Straf­gefangenen künftig einsitzen sollen, der Erwachsenenvollzug dominiert. Rund 500 erwachsenen stehen nur rund 80 junge Gefangene gegenüber.

Ungezählte und unkontrollierte Kontakte

„Trotz der Unterbringung in getrennten Hafthäusern gibt es ungezählte und unkontrollierte Kontakte zwischen den erwachsenen und jungen Gefangenen“, moniert Maelicke. Beide Gruppen würden sich in schulischen und beruflichen Qualifizierungsangeboten, in Werkstätten, beim Gottesdienst oder in Besuchsräumen begegnen. „Die subkulturellen schädlichen Einflüsse auf die jungen Gefangenen können so nicht verhindert werden.“

In der JVA Neumünster fehlt außerdem die organisatorische Trennung von U-Haft und Strafhaft. Aus Sicht von Maelicke folgen daraus sogar Vorteile für die schleswig-holsteinischen Jugendlichen in U-Haft, weil sie dieselben Qualifizierungsangebote wie die jungen Strafgefangenen erhalten, was die soziale Integration nach der Entlassung erleichtere. Steffen will ­allerdings für die Hamburger jungen ­U-Gefangenen eine eigenständige ­U-Haftanstalt auf dem Gelände der JVA Billwerder errichten.

Der Jurist und
Sozialwissenschaftler
Prof.
Bernd Maelicke
Der Jurist und Sozialwissenschaftler Prof. Bernd Maelicke © HA | Klaus Bodig

Maelicke bemängelt, dass den Hamburger U-Gefangenen nicht die besseren Fortbildungsangebote der JVA Neumünster zur Verfügung stünden. Andererseits: Wenn schon an den Grundsätzen der Trennung der Gefangenengruppen bei der geplanten Kooperation nicht mehr festgehalten werden soll, wäre ein Verbleib der jungen Hamburger Gefangenen in Hamburg sinnvoller. „Aus fachlicher Sicht ist ein Neubau einer eigenständigen Jugendanstalt Billwerder für U-Haft, Strafhaft und Sozialtherapie vorzuziehen“, schreibt Maelicke. Vorbild könnte die Jugendanstalt Schleswig sein. Dort werde ein Großteil der erzieherischen und qualifizierenden Angebote an externe Dienstleister vergeben, was die Strafvollzugsbediensteten entlaste.

Blieben alle jungen Gefangenen in Hamburg, so Maelicke, lägen weitere Vorteile auf der Hand. Dazu zählten die Nähe der zuständigen Gerichte und der Staatsanwaltschaft mit der Folge kürzerer Vorführdienste sowie eine bessere Erreichbarkeit für Besucher. Mae­licke fordert Steffen auf, nicht nur die Machbarkeit des gemeinsamen Vollzugs weiter zu untersuchen, sondern Alternativen wie den Neubau einer Jugendanstalt in Billwerder einzubeziehen. Der Strafrechtler weist zudem darauf hin, dass selbst nach dem jetzigen Kooperationsmodell zwei Drittel der jungen Gefangenen – U-Haft und offener Vollzug – in Hamburg bleiben sollen. An der Weiterentwicklung dieser Bereiche werde aber nicht gearbeitet.

In Steffens erster Amtszeit als Justizsenator gehörte der Sozialdemokrat Maelicke einer von Steffen eingerichteten Expertenkommission zum Thema ambulante und stationäre Resozialisierung an.